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Anti-AfD-Demos, Bauernproteste, Klimaaktivist*innen der Letzten Generation – Berlin ist auch die Hauptstadt des Protests! Von den einen wird das belächelt, für die anderen ist es die Rettung der Demokratie - der Weg, etwas zu verändern. Demonstrieren macht einen Unterschied, sagt der Journalist Friedemann Karig. In seinem neuen Buch beschreibt er, wie Protest erfolgreich werden kann.
Dieser Mann ruft auf zum Protest. Damit aus Altem Neues werden kann, Fortschritt! Friedemann Karig. Autor und Journalist, überzeugt von der Kraft der produktiven Wut.
Denn Protest, sagt er, kann die Welt verändern. Diktatoren stürzen, Fesseln sprengen. Aus Unterdrückten Handelnde machen. Im protestfaulen Deutschland gingen plötzlich Millionen auf die Straße – gegen die, die zurück statt nach vorne wollen. Ausgelöst durch die Recherche von Correctiv. Die war der Kipppunkt, den es braucht - meint Karig - damit eine Protestwelle entstehen kann. Oft ist es ein Hindernis, eine Ungerechtigkeit, die in ruhiger See einen Tsunami auslöst.
Wie in den USA, 2020: Black Lives Matter-Demos. Nach der brutalen Tötung von George Floyd durch einen weißen Polizisten wurde die Welle größer und größer – zur weltweiten Bewegung.
Friedemann Karig, Journalist und Autor
"Lange vorher gab es natürlich die Polizeigewalt und lange vorher gab es auch Aktivismus dagegen. Aber manchmal verdichtet sich dann eben die Erzählung der Ungerechtigkeit, gegen die Protest aufstehen will in einem Moment, in einem Video und allen ist klar: Das darf so nicht mehr weitergehen."
Wie Protest funktioniert – und wie nicht, darüber hat Friedemann Karig jetzt ein Buch geschrieben. Und über die Mythen, die sich um ihn ranken. Wie zum Beispiel die Annahme: Protest brauche Helden und Heldinnen – die alles für die Sache opfern.
Helden und Heldinnen können sogar hinderlich sein auf dem Weg zum Ziel. Jüngstes Beispiel: Greta Thunberg und ihre Äußerungen zum Israel-Gaza-Krieg. Antisemitismus-Vorwürfe wurden laut.
Friedemann Karig, Journalist und Autor
"Wenn diese Persönlichkeiten dann Fehler machen, wenn sie politisch fragwürdig agieren, wie sie in der Palästinafrage, dann schadet es natürlich auch der Bewegung. Und so hat sie, man kann sagen, einen Keil durch Fridays for Future getrieben, und das war sicherlich nicht hilfreich. Das heißt, es hat Vorteile, wenn man ikonische Figuren an der Spitze hat, an denen man sich ja anlehnen kann, die für etwas stehen, die vorausgehen. Es geht aber auch ohne."
Wie in Serbien, um die Jahrtausendwende: Da hat die studentische Bewegung "Otpor" zum Sturz des autoritären Regimes von Milošević beigetragen. Ihr friedliches Mittel: Humor. Sie riefen dazu auf, Milošević etwas zum Geburtstag zu wünschen. Zum Beispiel: Handschellen. Die könne er in Den Haag schon mal gut gebrauchen.
"Otpor" blieb beharrlich. Immer mehr Serben schlossen sich ihrem Protest an. Und weil der teilweise so albern war, drängten sie die Staatsmacht immer weiter in die Enge.
Friedemann Karig, Journalist und Autor
"Die Polizei war immer wieder vor der vor dem Dilemma: Soll man die Leute jetzt dafür verhaften, was lächerlich wirkt und irgendwann auch nicht mehr darzustellen ist? Oder soll man sie gewähren lassen und damit Schritt für Schritt sozusagen Sand ins Getriebe der Diktatur schütten? Und so hat man es dann eben geschafft, ohne großes Blutvergießen diesen Mann aus dem Amt zu jagen."
"Live the resistance!"
Woanders gab es weniger Sympathie für junge Protestler. Karig analysiert, woran das liegt: Straßenblockaden, Farb- und Kartoffelbreianschläge der Letzten Generation zielen auf Gesellschaft und Kultur, statt dahin, wo mit Umweltzerstörung Geld verdient und Macht erhalten wird.
Friedemann Karig, Journalist und Autor
"Ich hoffe, dass die ‚Letzte Generation‘ das jetzt verstanden hat, dass man den Protest näher an die Infrastruktur der Zerstörung bringen muss und dass sozusagen das Narrativ, die Erzählung, die man bilden muss, wie ungerecht eigentlich diese Klimakrise abläuft, dass das geschärft werden muss, damit sich niemand mehr raushalten kann und damit eine bequeme Neutralität in der Frage auch verunmöglicht wird."
Die Bauernproteste bekamen mehr Rückhalt, insbesondere von der Politik. Dabei blockierten sie nicht nur Straßen, sie wünschten Regierungspolitiker an den Galgen, lösten Unfälle aus. Kürzlich: mit einem Toten.
Friedemann Karig, Journalist und Autor
"Währenddessen Klimaschutzaktivisten von der Letzten Generation hochgradig kriminalisiert werden und mit einem Antiterrorgesetz in Bayern in Präventivhaft genommen werden. Und ich würde mir auch wünschen, wer Misthaufen auf Schnellstraßen ablädt und wirklich gefährliche Unfälle riskiert, dass diese Leute dann auch in Präventivhaft kommen."
Karig geht es in seinem Aufruf zum Protest vor allem um zivilen Ungehorsam. Um gewaltfreien Protest auf dem Boden des Rechtsstaats, der demokratische Grundregeln beachtet. Aktuell aber werden diese roten Linien immer wieder überschritten.
Friedemann Karig, Journalist und Autor
"Als erstes muss ich mir überlegen, wenn ich auf einer Demo stehe und da sind Neonazis oder das sind Demokratiefeinde oder da werden Politiker:innen verächtlich gemacht, dann muss ich nach Hause gehen. Es gibt da keine Toleranz. Wenn zum Beispiel dann Politiker blockiert werden, wenn da Politiker-Puppen an Galgen hängen: Hier würde ich mir eindeutig wünschen, dass die Demokratie sich gegen diese Art von zersetzendem Protest auch stärker wehrt."
Wo Ungerechtigkeiten geschehen, gibt es Menschen, die sie hinnehmen. An diese Zögerlichen richtet sich sein Buch. Selten zuvor sei Schweigen so gefährlich gewesen, sagt Friedemann Karig. Man könnte mit seinem Buch über Protest eine Scheibe einwerfen. Oder: Es jemandem geben, der bisher lieber zuschaut als mitmacht.
Autorinnen: A. Pietrzik, M. I. Vogler