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Mit seinen vielsagenden Arbeiten über die Erfahrung von Verlust, Unterdrückung oder Gewalt ist Kader Attia einer der wichtigsten Akteure in der internationalen Kunstszene geworden. Kader Attia ist in Algerien geboren, in Frankreich aufgewachsen und lebt seit einigen Jahren in Berlin. Zum Gallery Weekend zeigt die Berlinische Galerie einige seiner Werke, die sich vor allem mit der "Reparatur" historischen Unrechts im Kolonialismus beschäftigen.
Klaffende Wunden. Entstellte, im Krieg zerschossene Gesichter. Der Künstler Kader Attia hat diese Holzskulpturen bewusst roh geschlagen. Er will an die vom Krieg gezeichneten Soldaten erinnern, die auch in diesem Anti-Kriegsfilm von 1938 zu sehen sind: Schreckensgestalten mit "kaputten" Gesichtern, Überlebende des 1. Weltkriegs.
Kader Attia, Künstler
"Wenn ich an diesen Skulpturen arbeite, bin ich buchstäblich in Trance. Und wenn ich das Leben aus ihnen herausholen will… ich glaube, ich fühle nicht den Schmerz, sondern eher das Leben dieses Soldaten."
Das Leben im Krieg, die Angst. Die Installation in der Berlinischen Galerie ist Mahnung und Warnung zugleich. Kader Attia hat sie 2015 begonnen, alarmiert vom damals weitgehend ignorierten Krieg in der Ostukraine. Er war oft in Donezk, hat dort gearbeitet und ausgestellt.
Kader Attia, Künstler
"Ich habe intensiv verfolgt, was dort passiert. Sogar unsere Ausstellungshalle wurde von Kriegsverbrechern als Folterort benutzt; das habe ich 2015 oder 16 auf Youtube entdeckt. Ich war total schockiert."
"J´accuse" – "Ich klage an" so heißt die Ausstellung, benannt nach dem Film des französischen Regisseurs Abel Gance - gedreht angesichts des erstarkenden Nationalsozialismus und der drohenden Kriegsgefahr in Europa.
Kader Attia hat früh geahnt, dass erneut Krieg droht und zwingt uns nun, die Wunden anzusehen. Ein Blick in den Abgrund menschlichen Handelns.
Kader Attia, Künstler
"Sie heilen, wenn sie zur Erinnerung werden. Es gibt ein tolles Zitat des Schriftstellers Cormac McCarthy: Unsere Narben erinnern daran, wie echt die Vergangenheit ist."
Wie können die Wunden des Lebens geheilt, repariert werden? Das ist das Lebensthema von Kader Attia. Längst ist er international bekannt, er hat die letzte Berlin-Biennale kuratiert und ist seit kurzem Professor in Hamburg. Aufgewachsen ist er fern der Kunstwelt: in Algerien und in den Banlieues von Paris; er hat im Kongo gearbeitet und lebt nun meistens in Berlin. Sein Atelier bietet einen Einblick in diesen Kosmos.
Kader Attia, Künstler
"Wenn du vor dieser Maske stehst, vervielfältigst du dich. Die Reflexion bricht sich, zeigt unterschiedliche Perspektiven! Sie spiegelt, was tief in dir drin ist: Deine Fantasien und Ängste."
Kader Attia arbeitet oft mit Bruchstücken von Spiegeln: für ihn ein Sinnbild für die Vereinzelung der Menschen, ihre Verletzlichkeit. Die gebrochene Identität.
Kader Attia, Künstler
"Außerdem mag ich das Magische an den Spiegeln, wie sie das Licht brechen und verteilen."
"Es ist wichtig zu verstehen, dass sich das Kunstwerk manchmal dem Künstler verweigert. Kunst machen ist immer ein Dialog!"
Bücher und seltsame Fundstücke aus aller Welt inspirieren Kader Attia. Auch Erinnerungsstücke, die Töpfereien aus dem Besitz seiner Familie. Sie sind Berber. Als Junge beobachtet er, wie seine Urgroßtante aus zerbrochenen Tellern neue gemacht hat. Der ewige Kreislauf: Zerstörung und Reparatur.
Kader Attia, Künstler
"Mein Interesse am Heilen wurzelt in all den unterschiedlichen Geschichten meines Lebens. Ich bin in einem sehr harten Umfeld aufgewachsen. Krasse Arbeiterschicht, in den Banlieues. Wir waren arm aber glücklich. Unsere Eltern haben uns viel Liebe gegeben. Aber draußen – da musstest du kämpfen."
Sein Kunstlehrer habe ihn damals gerettet, "geheilt", sagt Kader Attia. Durch ihn kam er zur Kunst.
Um Heilen, Reparieren geht es auch in seiner zweiten Arbeit in der Berlinischen Galerie. Die Restitution gewaltsam geraubter Artefakte durch die Kolonialmächte. Kader Attia will durch eine künstlerische Begegnung den Austausch darüber vorantreiben. Aber kann das wirklich funktionieren?
Kader Attia, Künstler
"Ich habe lange gedacht, die Menschheit ist ein einziger großer Fehler. Ein bißchen glaube ich das heute noch. Das Einzige, was mich zweifeln lässt, ist die Kunst. Sie gibt uns etwas, das hilft, weiterzumachen."
Autorin: Petra Dorrmann