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In der Dorfgaststätte von Lugau, einem Dorf in der Niederlausitz, gab es den einzigen DDR Nachtclub mit regelmäßigem Musikprogramm. Tausende Jugendliche fuhren in den 1980er und frühen 1990er Jahren in die Provinz, um in diesem Club Punk und Indie-Bands zu erleben. Jetzt erzählt die Ausstellung "Der Jugendclub Extrem" und ein Bildband von dieser wilden Zeit in Lugau.
Lugau im Süden von Brandenburg: eine Kirche, eine Hauptstraße, 500 Seelen - kaum zu glauben, dass im Tanzsaal der Dorfkneipe einmal das Herz der DDR-Underground-Musikszene schlug: im "Jugendclub Extrem".
Es gab rauschhafte Konzerte und Partys. Ein Bildband erzählt jetzt die Geschichte des Clubs - jedes Foto das Dokument eines Traums von Freiheit. Die Bilder erzählen auch die Geschichte von Alexander Kühne, der 1984 mit ein paar Freunden den Club gründete.
Alexander Kühne, Clubgründer, Schriftsteller
"Wir waren 17, 18-jährige und es war grässlich. Man wurde ständig die ganze Zeit indoktriniert mit Zeitungsschau und wie toll der Sozialismus ist und der Jugendclub Extrem war natürlich eine Möglichkeit, es in diesem Land überhaupt auszuhalten. Also unter dem Radar zu schwimmen oder durchzusegeln, um was Eigenes zu machen."
Man schaute Videos im Westfernsehen, kopierte die Songs auf Kassetten: Glam-Rock und Independent-Musik. Die alte Konsum-Gaststätte wurde zum Konzertsaal und zur Disco. Man schminkte sich wie die New Romantics aus England. Clubmitglied und Partyfotograf Henri Manigk war mit der Kamera dabei. Machte Fotos von den Leuten, die sich fühlten wie in einem Club in London.
Henri Manigk, ehem. Leiter "Jugendclub Extrem"
"Wir konnten hier die Musik spielen endlich, die wir hören wollten. Ein DJ, der Modern Talking aufgelegt hat, wurde nie wieder eingeladen."
Zu den frühen Stars im Jugendclub Extrem gehörte die Punkband Kotzübel.
Henri Manigk, ehem. Leiter "Jugendclub Extrem"
"Kotzübel - das war die erste Punkband in meinem Leben, die ich gesehen habe. Die konnten nur 'ne habe Stunde spielen und nicht richtig, aber das hat völlig ausgereicht, um den ganzen Saal hier zu flashen."
Der Club - ein Pilgerort für Punks und alle, die anders aussehen und vom Staat nichts wissen wollten. Doch ohne Staat ging nichts. Jedes Event musste genehmigt, Bestuhlungspläne vorgelegt werden. Offiziell waren nur 40% Westmusik erlaubt. Man umging die Regeln, soweit möglich.
Alexander Kühne, Clubgründer, Schriftsteller
"Wir haben nie auf den Bestuhlungsplan geachtet, der ja 150 Leute vorschrieb für diesen Saal, es waren immer fünfhundert, manchmal siebenhundert drin. Wir haben einfach gesagt: Augen zu und durch."
Nicht alle Dorfbewohner in Lugau waren glücklich mit den Besuchern und den zerdepperten Bierflaschen. Immer wieder schritt die Volkspolizei ein. Doch politische Parolen waren tabu. Der Club war Heimat für Außenseiter - aber offene Systemkritik wäre zu gefährlich gewesen.
Alexander Kühne, Clubgründer, Schriftsteller
"Wir waren Opposition, ohne Opposition zu sein. Ein Besucher hat gesagt, das, was ich in Lugau an Freiheit erlebt habe, war viel stärker als irgend Parole gegen das DDR-System."
Nach dem Mauerfall machte man in Lugau einfach weiter - bloß anders. Viele Clubbesucher gingen in den Westen. Westbands entdeckten die Ost-Szene. Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten trat auf zusammen mit der Band Crime and the City Solution.
Alexander Hacke, Gitarrist Einstürzende Neubauten
"Das Ostpublikum war spontaner. In den frühen 80er Jahren war im Westen das Publikum teilweise abgebrüht, sehr abgehoben. Außerdem gab es sehr viele Drogen, was es im Osten, glaube ich, nicht gab. Da gab es nur Alkohol. Insofern herrschte da so 'ne fröhliche, trunkene Stimmung."
Eine Zeitlang versuchte man es noch mit dem West-Import Techno - das kam weniger gut an. Nach zehn wunderbaren Jahren war Schluss. Doch die Erinnerung an den Jugendclub Extrem ist lebendig. Im Museum im Renaissance-Schloss Doberlug-Kirchhain, ein paar Kilometer von Lugau entfernt, erzählt jetzt eine Foto-Ausstellung die Geschichte des Clubs. Henri Manigk, der einen Teil der Fotos geschossen hat, freut sich.
Henri Manigk, ehem. Leiter "Jugendclub Extrem"
"Der Underground-Szeneclub im staatlichen Schlossmuseum, das hätte ich früher nicht gedacht, dass wir mal hier landen."
Im Rückblick erscheinen die Konzerte und Parties in Lugau wie eine Zeitkapsel, ein unwiederholbares Phänomen, das bis in die Gegenwart strahlt.
Alexander Kühne, Clubgründer, Schriftsteller
"Die Leute finden es heute noch spannend, weil dieser überschäumende Wahnsinn in einem Mangelsystem natürlich noch ganz andere Dinge hervorruft, als wenn man Parties macht, wo man sowieso alles haben kann."
Der Jugendclub Extrem - ein Stück Popgeschichte, das jetzt wiederentdeckt werden kann.
Autorin: Hilka Sinning