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An den Universitäten und auf den Straßen Berlins eskalieren die Proteste gegen Israel. Zu den Demonstrationen und Besetzungen rufen auch linke Gruppen auf - und überschreiten dabei auch immer wieder die Grenze zum Antisemitismus. Woher kommt linker Antisemitismus? Und wie geht es jüdischen Studierenden mit der Situation? Eine Reportage von Kontraste Reportern in Zusammenarbeit mit der Kulturredaktion des rbb geht diesen Fragen nach.
Immer wieder Proteste an den Berliner Unis wie hier an der Freien Universität Berlin. Diesmal gegen die Räumung des Palästina Protestcamp eine Woche davor.
Die Unileitung hatte die Polizei gerufen wegen teils antisemitischer Parolen. Einige bekamen Strafanzeigen wegen Volksverhetzung. Dabei sind es vor allem linke Gruppen, die zu den Protesten aufrufen.
Nicholas Potter, Journalist und Publizist
"Für viele gehört zum links oder progressiv sein eine starke Abneigung gegen den einzigen jüdischen Staat der Welt. Für viele ist ganz klar Israel ist der alleinige Aggressor, steht für alles Böse in der Welt und muss deshalb auch bekämpft, verurteilt, kritisiert werden."
Der Journalist Nicholas Potter hat gerade ein Buch mit dem Titel "Judenhass Underground" veröffentlicht. Er untersucht seit Jahren, wie Antisemitismus in solchen Subkulturen funktioniert, die sich eigentlich als links begreifen. Immer wieder bezichtigen sie Israel, es begehe einen Völkermord an den Palästinensern.
"Stop the genocide, stop the genocide!"
Nicholas Potter, Journalist und Publizist
"Das ist schlicht nicht, was passiert seit dem 7. Oktober. Am 7. Oktober gab es den tödlichsten Angriff gegen Jüdinnen und Juden seit der Shoah und seitdem führt Israel Krieg im Gazastreifen, um die Hamas auszuschalten. Man kann und soll und muss als Demokrat diese Kriegsführung kritisieren. Das gehört zur zum demokratischen Diskurs dazu. Aber zu behaupten, Israel verfolge den genauen Plan, die Palästinenser*innen auszulöschen, stimmt einfach nicht. Auch wenn es viel zu viele Tote auf ziviler Seite in Gazastreifen gegeben hat."
Die Stimmung gegenüber Juden ist nach dem 7. Oktober aggressiver geworden. Die proisraelischen Demonstranten an den Unis werden mittlerweile von der Polizei geschützt. Einer von Ihnen ist der jüdische Student Lahav Shapira. Wir treffen ihn am Rosenthaler Platz. Hier wurde er vor etwa zwei Monaten Opfer einer Gewalttat. Als er mit einer Freundin in einer Bar etwas trinken will, wird er von einem Kommilitonen als einer der proisraelischen Studierenden erkannt und zusammengeschlagen, erzählt Lahav Shapira. Er kommt mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus.
Lahav Shapira, Student
"Und plötzlich hat der Typ zugeschlagen. Hat versucht, mehrmals zuzuschlagen. Ich bin ausgewichen, hat mich dann nochmal getroffen. Ich habe das Gleichgewicht verloren. Und als sich mich aufgestützt habe und aufstehen wollte, hatte er mir ins Gesicht getreten und dann bin ich aufgestanden und er ist weggerannt."
Inzwischen geht es ihm besser. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen Studenten der FU Berlin wegen gefährlicher Körperverletzung. Die Journalistin Antonia Yamin berichtet für das israelische Fernsehen aus Berlin. Sie beschäftigt sich schon lange mit dem Thema Antisemitismus. Seit den proplästinensischen Protesten an den Unis erlebt sie, dass jüdische Studierende nur noch anonym ins Fernsehen wollen. Aus Angst: Die Antwort auf ihre Interviewanfragen.
Antonia Yamin, Israelische Journalistin
"Ja, Antonia, können wir machen, aber ist es okay, wenn wir es ohne Gesicht machen. Und dann denke ich mir, aber Hallo, ihr seid doch nicht die Täter. Was habt Ihr denn falsch gemacht. Ihr wollt doch nur studieren, das kann doch nicht sein, dass Ihr Angst habt, wirklich Angst hat, zu sitzen und zusagen, wer Ihr seid."
Viele der Propalästinensischen Demonstrierenden verstehen sich als links, antirassitisch und queerfeministisch. Sie protestieren gegen Israel, nicht aber gegen die Hamas – eine fundamentalistisch religiöse Terrororganisation – die ihre progressiven Werte ablehnen.
Eine Vordenkerin des Brückenschlags zwischen fortschrittlicher Linke und der Hamas ist sie: Judith Butler, Philosophie-Professorin an der renommierten Berkeley-Universität. Die Genderforscherin ist unter Studierenden angesehen - als Feministin und Kämpferin für die Gleichberechtigung queerer Menschen.
2006 – als die Hamas die Wahlen in Gaza gewinnt, ein Jahr, nachdem Israel den Gazastreifen geräumt hat – sagt sie über die radikal-islamistische Organisation.
Judith Butler, Philosophieprofessorin
"Es ist äußerst wichtig, die Hamas und die Hisbollah als soziale Bewegungen zu verstehen, die fortschrittlich sind, die zur Linken gehören, die Teil einer globalen Linken sind."
Dabei lässt die Hamas in ihrer nach wie vor gültigen Gründungscharta keinen Zweifel an ihrem Antisemitismus. Dort wird zum Mord an allen Juden aufgerufen. Auch nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober hält Judith Butler an ihren Positionen fest und verteidigt diese.
Judith Butler, Philosophieprofessorin
"Ich denke, es ist ehrlicher und historisch korrekter zu sagen, dass der Aufstand vom 7. Oktober ein Akt des bewaffneten Widerstands war. Es ist kein terroristischer Angriff und kein antisemitischer Angriff, es war ein Angriff auf Israelis. Und Sie wissen, dass mir dieser Angriff nicht gefallen hat, das habe ich auch öffentlich gesagt."
Auch für die protestierenden propalästinensischen Studenten in Berlin ist Judith Butler ein Vorbild. Lahav Shapiras Angreifer hat an der Universität Hausverbot bis August. An die FU begleitet ihn erstmal ein Bodyguard – finanziert von einer Hilfsorganisation.
Autor:innen: Nathalie Daiber, Silvio Duwe, Marie Röder