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Im "MaHalla", dem ehemaligen Umspannwerk Oberschöneweide, einer Industrie-Kathedrale, zelebriert der Rundfunkchor Berlin eine "Rote Messe" mit Werken von Gioachino Rossini und Arnold Schönberg. Ein Abend, der eher an ein Clubevent erinnert, als an ein klassisches Konzert. Passend zu den vielen Orten der Berliner Clubszene, die sich im ehemaligen Industriestandort entlang der Spree in Oberschöneweide angesiedelt haben. Eine Bestuhlung gibt es nicht, die Zuschauer sind zum Herumwandern eingeladen.
In Berlin ist es ja so eine Sache inzwischen, mit dem Raum. Aber in der MaHalla hat man viel Platz. Platz zum Spielen, Platz zum Gestalten, Platz um die Gedanken schweifen zu lassen. Vor vier Jahren hat der Künstler Ralf Schmerberg bei seiner Ateliersuche diesen Ort für sich entdeckt und - sich gleich verliebt.
Ralf Schmerberg, Künstler & Betreiber MaHalla
"Wenn du dich umguckst in der MaHalla, dann ist die MaHalla ne industrielle Schönheit. Es ist ein wunderschöner Raum. Er lebt von ganz viel Einzelelementen. Er hat diesen Pariser Stahl, er hat dieses Glas, er hat diese Lichttransparenz. So baut heute kein Mensch mehr, leider."
Ralf Schmerberg kann sich für Details begeistern: die Fenster, technische Überbleibsel, die letzten Fußbodenkacheln, die eher an einen schicken Berliner Altbau erinnern. Die Mahalla war früher das, was man heute einen "Showroom" nennt - damals, als Berlin "Elektropolis" war und man hier die neueste Turbinentechnik begutachten konnte.
Ralf Schmerberg, Künstler & Betreiber MaHalla
"Hier kamen wirklich für Jahre aus aller Welt Leute, Bürgermeister, Delegationen, Wirtschaftsdelegationen, sehr international, die dieses innovative Wunder Elektrizität geshoppt haben. So wie wir Apple-Computer kaufen und in den Store rennen, sind sie hier reingerannt und wollten Elektrizität."
Inzwischen zieht dieser Ort also Kunst und Künstler an. Zurzeit den Rundfunkchor Berlin. Der hat stets den Anspruch, neben dem klassisch- etablierten Konzert auch neue Formen zu erproben.
Gijs Leenaars, Chefdirigent Rundfunkchor Berlin
"Weil wir immer gerne die Klassik, die Musik verbinden mit der heutigen Zeit. Mit der Politik, mit was hier in der Welt in diesem Moment los ist. Solche szenische Arbeit kommt immer mit Herausforderungen. Man hat ja die Abstände, wenn der Chor sich bewegt. Die Sängerinnen und Sänger müssen größtenteils auswendig singen. Das ist echt ein großer Lernprozess, braucht Zeit. Und man muss sich aufeinander und sich selbst verlassen können."
Anna-Sophie Mahler, Regisseurin
"Und die Halle hat uns einfach sofort fasziniert, weil sie in der ganzen Roheit noch da ist. Die Spuren von alten Sachen sind noch da. Oder auch dieses Fenster hat uns total fasziniert, weil das fast wie so ne Kathedrale ist. Aber so ne verfremdete Kathedrale, wo man denkt: was ist denn das hier, was soll denn hier stattfinden?"
Eine Messe wird hier gefeiert, zumindest am Anfang. Die MaHalla ist noch aus einem anderen Grund der passende Ort für diese Inszenierung: "The World Is Full Of Pain" – die Welt ist voller Schmerz – hat Ralf Schmerberg aus den alten Farbschichten herausgekärchert.
Ralf Schmerberg, Künstler & Betreiber MaHalla
"Wir leben in ner Welt, die sich schmerzhaft anfühlt. Wo vieles offen ist und sich das bewusst zu machen und es auch auszusprechen und Schmerz auch reinzubringen ins Thema finde ich gut, finde ich wichtig und finde ich für das Haus wichtig."
Das passt nun bestens zu dieser Inszenierung. Am Anfang noch wird ein Ritual begangen. Und diese Messe, ein Spätwerk von Opernkomponist Giacchino Rossini, ist teilweise süffig im schönsten Belcanto.
Anna-Sophie Mahler, Regisseurin
"Der Inhalt einer Messe und die Form passten überhaupt nicht zusammen. Das fand ich total interessant. Ich dachte, das trifft ein Gefühl, was man hat: man feiert noch weiter, konsumiert noch weiter, man lebt noch weiter, als könnte man das noch so tun. Aber eigentlich, um zu dem Motto zu kommen, "The World Is Full Of Pain", wir sind eigentlich in einer Umbruchsphase. Es kann nicht so weitergehen."
Das schöne Fest wird aufgebrochen. Unter anderem mit Musik von Arnold Schönberg – "Pierrot Lunaire". Ein Nachtwesen, dass sich in dieser geschlossenen Gesellschaft nicht zugehörig fühlt.
Anna Sophie Mahler, Regisseurin
"Es ist Pierrot, es ist erstmal ein männlicher Name, der aber immer von einem Sopran gesungen wird, traditionellerweise. Das heißt, heute würde man sagen eine nonbinäre Person, die vielleicht weder in das eine noch das andere einordbar ist."
"Was wäre denn eine Möglichkeit, dass man anfängt, nicht immer in zwei zu teilen. In, sagen wir, Mann und Frau, Mensch und Natur, Mensch und Tier, das man eigentlich sagt: wir sind eigentlich verbunden."
Der Pierrot als Systemsprenger. Was draußen in der Gesellschaft in Bewegung ist, soll sich auch in der Halle widerspiegeln, das ist Ralf Schmerbergs Wunsch. An diesem Abend geht er berückend eindringlich in Erfüllung.
Autor: Steffen Prell