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Der neue Roman der Berliner Schriftstellerin Katja Lange-Müller dreht sich um Frauen verschiedener Generationen und um einen jungen, eingeschränkten Mann. Es geht um Menschen, die von ihren Müttern abgelehnt wurden und die zum Teil noch bis ins hohe Alter mit ihren Versehrungen zu kämpfen haben. Erzählt im typischer Katja Lange-Müller Tonfall: lakonisch, genau, niemals beschönigend und mit einem feinen Sinn für die Komik des Scheiterns.
Die Schriftstellerin Katja Lange-Müller und das Weddinger Hinterhof-Idyll: Der Garten gehört ihrer Nachbarin, aber auch sie liebt unaufgeräumte Orte wie diesen, freut sich über das kreative Chaos, wenn sie nicht schreibt oder Kinobesuchern vom Leben der Frauen in der DDR erzählt - wie gerade im Film DIE UNBEUGSAMEN.
Katja Lange-Müller, Schriftstellerin
"Was mich an dem Film ganz besonders rührt, ist dieses unglaublich gute Archivmaterial. Und dann natürlich diese Dauerwellen, die damals en vogue waren und die du natürlich morgens um sechs nicht gebändigt kriegst. Die sehen ja alle aus wie aufgeplatzte Polsterstühle! Aber eben mit so einer Haltung, das ist sehr schön, das hat mich sehr berührt."
Ihr neuer Roman "UNSER OLE" spielt in einem brandenburgischen Dorf. Es geht um einen geistig beeinträchtigten jungen Mann und drei Frauen - Ostfrauen, Westfrauen - die sich um ihn kümmern, während sie im Wahnsinn der Gegenwart nach Orientierung suchen. Erzählt die Autorin Katja Lange-Müller auch ein wenig von sich selbst?
Katja Lange-Müller, Schriftstellerin
"Das regt mich ein bisschen auf, dass mittlerweile alles autofiktional sein muss. Und dann habe ich gedacht: machste es mal so. Denn eigentlich erwarten die Leser das ja auch, die fragen dich ja immer: ach, und haben Sie das selbst erlebt? Und dann muss man immer sagen: ja, oder nein, oder ein bisschen."
Katja Lange-Müller sucht sucht für uns mal nach alten Fotos. Aufgewachsen ist sie in der DDR, als rebellische Tochter einer Persönlichkeit aus dem obersten Machtzirkel der DDR.
Katja Lange-Müller, Schriftstellerin
"Und das ist meine Mutter, der ich überhaupt kein bisschen ähnlich sehe."
Ingeburg Lange war Kandidatin des Politbüros, Leiterin der Abteilung Frauen im ZK der SED. Auf diesen Archivbildern erscheint sie neben Margot Honecker, ihr Kleid fast so FDJ-blau wie deren Haar.
Katja Lange-Müller, Schriftstellerin
"Als Kinder haben wir das auch immer verstanden, wir haben gedacht: Ja, der Kampf um den Weltfrieden ist natürlich viel wichtiger als wir hier. Und von daher… Ich würde mal sagen: Meine Mutter war auch nicht die hellste Kerze auf der Torte. Natürlich eine überzeugte Kommunistin."
Mit 16 fliegt Katja von der Schule – sie hat Walter Ulbrichts Fistelstimme imitiert. Später unterschreibt sie die Biermann-Petition, folgt den Fliehkräften ihres Lebens und geht 1984 selbst in den Westen.
Mit ihrer Mutter spricht sie nie wieder ein Wort. Das Verhältnis zu ihr ist, sagt sie selbst, ein Lebensthema. Die Frauen in ihrem neuen Roman sind ungeliebte Töchter, müssen sich ihren Lebenslügen stellen.
Katja Lange-Müller, Schriftstellerin
"Es waren immer solche Figuren, Randfiguren, Außenseiterfiguren kann man sie auch nennen. Ich glaube, ich bin auch so eine Figur. Und ich mag solche Figuren und ich seh sie auch überall."
Menschen und Milieus beobachten, aus der Distanz, das liebt sie - es setze den "Gedanken-Transport" in Gang. Und immer wieder stößt sie dabei auf Entwurzelte, Heimatlose, Einsame.
Katja Lange-Müller, Schriftstellerin
"Ich gehe hier immer die Nazarethkirchstraße herunter und da sitzt eine alte Türkin am Fenster, wir grüßen uns seit Jahren - die sitzt immer da. Und nie habe ich gesehen, dass irgendwer mit ihr spricht oder dass sie mal nicht am Fenster wäre. Solche Existenzen fallen mir auf. Was mich aufregt, findet natürlich auch Eingang in meine, ich nenne es jetzt mal hochtrabend: Literatur."
Inzwischen lebt Katja Lange-Müller länger im Westen als im Osten, aber immer noch - und gerade wieder – wird sie von aller Welt gefragt, was da los ist im Osten, wie die ticken? Für sie ist das ganz einfach.
Katja Lange-Müller, Schriftstellerin
"Wenn man immerzu für blöd gehalten und als blöd erklärt wird, dann wird man irgendwann rappelköpfig und rebellisch und sauer und gekränkt und alles das und was Menschen, die in so eine Haltung gedrängt werden, dann so machen. Das ist nicht so, weil der Ostler der Ostler ist und der Westler der Westler, sondern das gehört einfach zum Menschsein: dass man das nicht mag."
Schwierige Zeiten. Viel Unsicherheit, Angst - und kreatives Chaos. Der Hinterhof im Wedding: Katja Lange-Müller findet in der kleinen Welt immer auch die große.
Katja Lange-Müller, Schriftstellerin
"Das ist… hier sind doch die Widersprüche so offensichtlich: das eine gedeiht, das andere gedeiht nicht. Du weißt nicht, warum es der gut geht, der miserabel, warum die nicht blühen will - es ist unergründlich. Das kennen wir von uns selbst doch auch."
Autoren: Andreas Kurt & Gerhard Lueg