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Die Stadt Forst in der brandenburgischen Lausitz besaß einst drei Kinos und ein Stadttheater. Ende des 19. Jahrhunderts war es ein Zentrum der Textilindustrie, das "deutsche Manchester". Vom einstigen Glanz ist nicht mehr viel geblieben. Das Lausitz Festival bringt nun wieder große Kultur in die Stadt an der polnischen Grenze. Die Uraufführung eines Theaterstücks nach dem Roman "Empusion" der polnischen Literaturpreisträgerin Olga Tokarczuk. Unter der Regie des deutsch-chilenischen Erfolgsregisseurs Antú Romero Nunes agiert für diesen "Bühnenthriller" ein komplett weibliches Ensemble mit bekannten Schauspielerinnen wie Aenne Schwarz und Anne Haug.
Forst in der Niederlausitz, direkt an der Grenze zu Polen. Seit ein paar Tagen probt die Schauspielerin Aenne Schwarz hier, sie genießt die Weite an der Neiße.
Forst war einmal eine wichtige Textilstadt: "das deutsche Manchester." Das einstige Grand Hotel und Stadttheater zeugt von glanzvolleren Zeiten. Gerade wird es aus dem Dornröschenschlaf geweckt – besser: gesungen.
Fünf Schauspielerinnen spielen lungenkranke Männer auf Kur in Schlesien; ein Setting wie im Zauberberg-Roman von Thomas Mann. Ihr Zeitvertreib: Männerrituale! Es scheint, als müssten sie sich Mut antrinken, in Sicherheit wiegen mit Heimatliedern… mit leiser Ironie: gegurgelt!
Aenne Schwarz
"Wir haben sehr viel gesungen zuhause. Für mich war das auch immer etwas quälend, aber ich hab über die Jahre auch gemerkt, dass es schön ist, dass ich die alten Lieder kenne und die durch dieses Ritual ihre ganz eigene Geschichte haben und ihre eigene Schönheit haben."
"So meine Herren, ist es nicht ein Wetterchen für einen kleinen Spaziergang?"
Ein Spaziergang in den Wald - seltsame Geisterwesen verfolgen die Männer dort. Und es gibt rätselhafte Todesfälle in diesem "Schauerstück" inszeniert nach einem Roman der polnischen Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk.
"Hold on, hold on."
Es geht darum, wie man das Leben aushalten soll, mit all seinen Widersprüchen: "Liebe – Wut – Freiheit" entdeckt die in Berlin lebende Schauspielerin Aenne Schwarz an der alten, im Krieg zerstörten Brücke über die Neisse. Worte, die zu ihrer rätselhaften Bühnen-Figur passen.
Aenne Schwarz
"Was mich sehr berührt in dem Buch ist eigentlich eine sehr zärtliche Geschichte, die diesen jungen Menschen an der Hand nimmt, der ein großes Geheimnis hat, der immer gelernt hat, etwas zu verstecken, von dem er selbst gar nicht genau weiß, was das eigentlich ist."
Mehr sollen wir nicht verraten, von dieser Gesellschaftsstudie. Das Stück spielt 1913 – damals erlebte dieses Haus noch turbulente Zeiten: als Grand Hotel und Stadttheater. Frank Owczarek vom Museumsverein Forst hat ein kleines Buch über seine Geschichte geschrieben.
Frank Owczarek, Museumsverein Forst
"Ich sammel‘ mein Leben lang schon alles von Forst. Zum Beispiel solche alten historischen Postkarten. Da gab es eine alte Werbeanzeige in einem Foster Adressbuch. Da stand drin: Extra Badeanstalt! Und mit Zentralheizung wurde geworben. Gut, 1885 war das nicht so Standard. Auch Rauchsalons, Vereinszimmer… Richtig luxuriös. Und das wurde damals auch angenommen. Ja, und zu DDR-Zeiten war es dann halt…. sah der Eingang so aus: ziemlich glatt gemacht, mit den Kino-Plakaten."
Mitte der 90er Jahre wurde das Haus dann restauriert; es gab gehobene Gastronomie, Musik-Events. Aber es lief nicht mehr. Bevölkerungsschwund, Arbeitslosigkeit. Die Randlage! Das Zentrum um die Marienkirche: Früher dicht bebaut, heute luftig, sagt Frank Owczarek. Auch ein paar Schritte weiter viel Ruhe.
Aenne Schwarz
"Es gibt so ´ne unglaubliche so Leere. Man fährt mit dem Fahrrad raus und man ist auf einmal am Ende der Welt und man denkt so: Huch... Gestern war ich auf der polnischen Seite mit dem Fahrrad. Und es ist schon interessant, weil auf der deutschen Seite sind alle Sachen rekonstruiert worden oder abgerissen worden. Also: Entweder man macht das jetzt einigermaßen sauber oder man macht es weg. Und auf der polnischen Seite sind die ganzen Sachen einfach zerfallen."
Gerade war Aenne Schwarz noch in Malaysia, auf dem Filmfestival, wo sie für ihre Rolle in "ALLE DIE DU BIST" zur besten Schauspielerin gekürt wurde. Jetzt taucht sie ab in ihre neue Rolle: diesen Menschen, der nirgends reinpasst, der gegen einengende Normen kämpft.
Aenne Schwarz
"Ich komme auch aus einer Kleinstadt. Und ich kann mich erinnern, dass es - bei uns wurde ja Schwäbisch gesprochen – und ich habe sehr oft gehört: ‚ah - des isch ned normal.‘ Und das hat mich ... das hat mich sehr beunruhigt, als Kind, kann ich mich erinnern. Ich hab auch sehr viel Streit gehabt deswegen. Und ich hatte zum Beispiel das Theater durchaus als ein Ort erfahren, indem ich so merkte: Aaah! Ich kann was Neues finden. Und wir können mit diesen Normen spielen."
"Normen sind nur Hirngespinste", schreibt Olga Tokarczuk in ihrem Roman. Aenne Schwarz bringt diese Erkenntnis jetzt in einem poetischen Theaterprojekt nach Forst.
Autorin: Petra Dorrmann