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An den Ufern des Wannsee finden sich die dunkelsten und die leichtesten Kapitel der deutschen Geschichte. Hier wurde auf der Wannseekonferenz die Ermordung der europäischen Juden organisiert. Wenige Jahre später versuchte man, das alles schnell zu vergessen, mit einem Schlager, der die deutsche Nachkriegszeit prägte: "Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Schwesterlein und dann nischt wie raus nach Wannsee". Man kann Gesellschaften über ihre Bräuche, ihre Sprache, ihre Architektur oder auch über ihre Lieder erklären, sagt der Stadthistoriker Holger Schmale, aber es gibt auch Orte wie den Wannsee, an denen sich Geschichte besonders stark verdichtet hat.
"Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Schwesterlein und dann nischt wie raus nach Wannsee"....hier ist es aber auch malerisch. Aber eben nicht nur. Der Wannsee steht auch für die dunklen Kapitel der deutschen Geschichte – kaum ein Ort in Berlin hat so ein historisches Erbe.
"Wannsee. An den Ufern deutscher Geschichte" heißt ein gerade erschienenes Buch….wir haben uns mit einem der Autoren getroffen….natürlich am Wannsee.
Ganz ruhig ist es heute hier. Kleine Wellen spülen ans Ufer, die Sonne steht hoch. Eine Idylle. Auch für den Journalisten und Stadthistoriker Holger Schmale. Er kennt aber auch die Schattenseiten des Wannsees.
Holger Schmale, Autor
"Wir stehen hier an einer sehr hellen Seite, wie man sieht. Das ist das Strandbad Wannsee, was natürlich für Sonne, Wasser, Strand, Erholung steht. Aber man kann von hier aus auch auf die andere Seite des Sees schauen. Da ist die Wannsee-Villa, wo die organisierte Ermordung der Juden besprochen und beschlossen worden ist."
"Man muss sich einfach nur vorstellen, dass die SS-Leute, die da 1942 versammelt waren, die unterhielten sich darüber, wie man möglichst viele Juden umbringen kann und wie man das organisieren kann und guckten gleichzeitig über den See in das Strandbad. Ich finde, das ist ja eine kaum auszuhaltene Vorstellung. Und die zeigt eben genau diese Verdichtung von Geschichte, wie wir sie hier am Wannsee haben."
Zu Anfang des 20. Jahrhunderts ist der See ein Erholungsort für Arbeiter, die der stickigen Industrieluft der Stadt entkommen wollen. In der Weimarer Republik wird das Strandbad zum Symbol für den demokratischen Aufbruch.
Holger Schmale, Autor
"Das war eine Ansage für die breite Mehrheit der Menschen und der Bewohner Berlins, die hier plötzlich ein eigenes Strandbad, eine eigene Möglichkeit hatten, während auf der anderen Seite des Sees eben die Millionäre ihre Villen hatten. Schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Also das war tatsächlich eine gesellschaftliche Ansage, dieses Bad. Und es hat grandios funktioniert."
Holger Schmale hat für sein Buch viel Zeit am Wannsee verbracht und bekannte Orte neu entdeckt. Er hat auch Geschichten gefunden, die bislang weniger Aufmerksamkeit bekommen haben. So wie die von Philipp Franck.
Ein bekannter Maler, Impressionist und Weggefährte von Max Liebermann. Der Wannsee, das Grün und die Gärten – sie finden sich in vielen von Francks Gemälden.
Holger Schmale, Autor
"Wenn man die Bilder von Philipp Franck sieht, hat man, kriegt man einen sehr, sehr lebendigen Eindruck davon, wie schön es hier tatsächlich war."
Das Grab erinnert auch an weitere Mitglieder der Familie: den Chemiker Heinrich Franck, seine jüdische Frau Lotte Sarah Franck und an deren Tochter Ingeborg Hunzinger, eine der bedeutendsten Bildhauerinnen der DDR. Für Holger Schale ein Grab wie ein Geschichtsbuch.
Holger Schmale, Autor
"Phillip Franck hat im Deutschen Reich und in der Weimarer Republik gelebt. Dann die Nazizeit. Und das ist eine Familie, die über all diese Brüche hinweg sich fortgepflanzt hat, wie viele Familien, aber man kann eben, weil sie nun eine sehr kreative Familie war, kann man in den verschiedenen Generationen nachverfolgen: Was haben sie gemacht, wie ist das, wie hängt das zusammen? Man erfährt viel, wenn man sich mit ihnen beschäftigt über deutsche Geschichte."
Nur wenige Minuten entfernt, am kleinen Wannsee, führt uns Holger Schmale zum Schauplatz eines Dramas.
Holger Schmale, Autor
"Wir stehen an einem geradezu mythischen Ort. Hier haben sich Heinrich von Kleist und seine Gefährtin Henriette Vogel am 21. November 1811 das Leben genommen. Das heißt, Heinrich von Kleist hat erst seine todkranke Gefährtin erschossen und dann sich selbst. Dass es an diesem Ort oberhalb des Kleinen Wannsees passiert. Und daraus hat sich ja der ein Teil des Mythos Wannsee auch entwickelt."
"Diese etwas düstere, aber doch sehr romantische Geschichte und der Ort und die Inszenierung haben einfach dazu beigetragen, dass dieser Ort eine Bedeutung hat im deutschen Geistesleben und immer wieder bis heute Menschen hierher kommen und sich besinnen und nachdenken."
Ein Jahr lang haben die Autoren für ihr Buch recherchiert. Es richtet einen unverklärten Blick auf die Schönheit und das Grauen, zeichnet ein Bild vom Zusammenleben der Berliner Stadtgesellschaft und von den großen Persönlichkeiten, die diesen Ort geprägt haben.
Holger Schmale blickt nun mit anderen Augen auf den Wannsee.
Holger Schmale, Autor
"Er hat sich als doch interessanter und vielfältiger erwiesen, als wir zu Beginn der Recherchen gedacht haben. Und das ist sozusagen die Botschaft auch dieses Buches: Leute, guckt genauer hin und dann hört man auch noch viel mehr sehen."
Autorin: Marie Röder