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Nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen ist vor der Wahl in Brandenburg. Alle blicken jetzt wie gebannt auf den Osten. Läuft da was schief? Wer hat schuld? Das System? Die Menschen? Die Demokratie? Wir haben nachgefragt - in Thüringen, Sachsen und vor allem bei uns in Brandenburg.
Welche Halbwertzeit haben die am Straßenrand aufgereihten Versprechen? Dieser Laufsteg gesellschaftlicher Spannungen: Krieg oder Frieden, Asyl oder Abschiebung, Sicherheit oder offene Gesellschaft, Sprechverbote oder Meinungsfreiheit. Ein Defilee der Wähler-werbung und ostdeutscher Stimmungen und Verstimmungen.
Frank Strese, Friseurmeister Leipzig
"Demokratie ja, die haben wir und die ist prinzipiell sehr gut. Aber diese Demokratie ist mittlerweile so, dass sie so ein Meinungsspektrum ablehnt und nicht erträgt."
Marianne Kranisch, Lehrerin
"Mich hat man gefragt, ob ich nicht Angst hätte vor Entlassung und ob ich denn das sagen dürfte, weil ich Beamtin bin? Na ich darf doch sagen, dass ich gegen den Krieg bin."
Marko Lindecker, Friedrichroda
"Ich komme mir so vor wie im Osten. Ich bin ja nun Ossikind und musste lang genug meinen Mund halten und wenn man mal was sagt, Du bist ja gleich rechts."
Die Menschen in Sachsen und Thüringen haben ihr demokratisches Recht genutzt und ihrer Unzufriedenheit mit den Verhältnissen im Land Luft gemacht.
Schon bei der Europa- und Kommunalwahl im Juni, war die Stimmungslage, der Verdruss erkennbar. Die Farbgebung auf der politischen Landkarte, Ostdeutschland als eine Parallelgesellschaft. Seinerzeit kommentierte die Journalistin Marieke Reimann in den Tagesthemen bemerkenswert deutlich.
Tagesthemen / Kommentar 10.06.2024
"Hätten sich Politik und Medien in den letzten 35 Jahren mal ernsthaft mit den Menschen im Osten auseinandergesetzt, wäre klargeworden, hier gibt es so viele strukturelle Ungleichheiten im Vergleich zum Westen, das knallt irgendwann und jetzt knallt’s halt."
Marieke Reimann, Journalistin
"Wir feiern dieses Jahr 35 Jahre Mauerfall, nächstes Jahr 35 Jahre Wende und die strukturellen Ungleichheiten sind da, dass ist das, was die Lebenswirklichkeit der Ostdeutschen prägt und deshalb muss man das bei jedem Einstieg in den Diskurs über den Osten mit den Ostdeutschen eigentlich voranstellen, um zu wissen, aus welcher Perspektive kommen sie denn."
"Ungleich vereint – warum der Osten anders bleibt", ist der Titel einer fundierten Analyse des politisch und gesellschaftlichen Erfahrungsraums in Ostdeutschland. Zwar sei Deutschland wiedervereinigt, aber mit zwei fortbestehenden Teilgesellschaften – Ost und West – schreibt Steffen Mau. Der aus Rostock stammende Soziologe sieht für den Osten ein verstetigtes Gefühl des Nicht-Wahrgenommen-Werdens.
Steffen Mau, Soziologe, Humboldt-Universität
"Häufig gibt es das Gefühl, ja, die Politik, die macht da etwas, die sitzen da oben und wir sind nicht richtig einbezogen. Das hat natürlich etwas mit der fehlenden Zivilgesellschaft vor 1989 in Ostdeutschland zu tun. Das hat aber auch mit der Abwanderung vieler Menschen nach 1989/90 in den Westen zu tun, so dass da viele Strukturen weggebrochen sind. Das Parteiensystem ist nicht auf ähnliche Art und Weise im Osten verwurzelt, wie das im Westen der Fall ist. Wir haben auch nicht die parteibezogenen Milieus, wo eben auch bestimmte politische Sozialisationen und Verständnisweisen ausgeprägt werden und auch eine große Distanz gegenüber dem politischen System insgesamt."
Seit 26 Jahren regiert in der Stadt Dahme keine etablierte Partei. Hier hat eine Freie Wählergemeinschaft das Sagen. Und der Bürgermeister organisiert seit einem halben Jahr die Montagsdemonstration selber. Die Demo – Bühne, um Ärger rauszulassen und Raum für Kommunikation.
"Herzlichen Guten Abend von mir. Ich find die Sache nicht nur als Bürgermeister, sondern auch als Unternehmer gut. Weil, die Probleme haben wir alle. Da fehlen mit hier einfach noch viel zu viele Bürger, die hier nicht dabei sind."
Thomas Willweber, Bürgermeister, Dahme/Mark
"Also, wenn ich noch an die Zeiten nach der Wende denke, da war noch so eine Aufbruchsstimmung, so ein Gemeinschaftsgefühl. Da wollte man was bewegen. Da hatten wir in unserer Stadt Geschäfte, Läden, da wurde immer wieder was aufgemacht. Da war Motivation da. Die ist mit den Jahren abgeebbt und je mehr man reguliert, immer mehr Gesetze, immer mehr Verordnungen, Vorschriften, Dokumentationspflichten…Das ist eines der Probleme, warum wir zu diesen Demos jetzt gehen…"
Bürgermeister bei der Demo
"Die Ausgleichszahlungen für erhöhte Energiezahlungen in kommunalen Einrichtungen für Jugendarbeit, fällt 2024 komplett weg. Die Zuzahlung für Sportanlagen, in diesem Fall sind es bei uns die Freibäder, 110.000 Euro, fallen weg. Ich denke, dass sollten alle mal wissen. Weil jeder, der hierherkommt und sagt, wir müssen für Kinder und Jugend mehr tun, dann soll er es tun."
Thomas Willweber, Bürgermeister, Dahme/Mark
"Es muss doch auch möglich sein, dass man in einem Land eine klare Meinung hat und die Probleme aufzeigt und darüber spricht. Eigentlich wollen die Leute doch nur, auch die die bei der Demo sind, dass man mit ihnen spricht, ihnen zuhört."
35 Jahre nach dem Mauerfall scheint die Suche nach einer politischen Heimat anfällig und fragil. Beim Blick auf Ostdeutschland, meint der Soziologe Steffen Mau, müsse man zweierlei beachten: eine allgemeine Veränderungsmüdigkeit und das Gefühl politisch nicht ernstgenommen zu werden.
Steffen Mau, Soziologe
"Es gibt hohe Erwartungen an die Politik und auch so eine Vorstellung, Demokratie ist dann, wenn die da oben das machen, was wir wollen. Aber Demokratie lebt eben auch stark von Verfahren, wie gewählt wird, wie sich Parlamente zusammensetzen, wie eine Regierung zustande kommt. Und Ostdeutsche gucken eher auf die Leistung. Also: nützt mir das, was politisch rauskommt, entspricht das meinen Interessen, es wird das im politischen Raum gespiegelt, was ich mir wünsche und danach wird Politik sehr stark beurteilt."
Autoren: Matthias Schmidt, Jens-Uwe Korsowsky