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Anlässlich der Wahlen im Osten veranstaltet die Schriftstellervereinigung Pen Berlin die Diskussionsreihe "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen". Das Thema: Wie steht es bei uns um Demokratie und Meinungsfreiheit? Insgesamt 118 Schriftsteller*innen und Journalist*innen sind hierfür durch Sachsen, Thüringen und Brandenburg gereist, um mit den Bürger*innen ins Gespräch zu kommen. In Brandenburg an der Havel gab es diese Woche so einen Abend, diesmal mit Michel Friedmann, Gustav Seibt und Deniz Yücel.
"Kann man noch alles sagen, was man denkt?"
"Hier in Deutschland? Hm schwierig!"
"Weil nicht mehr die Meinungen zählen sondern vieles mit Hass und Empörung verbunden ist und dann nicht mehr guter Meinungsaustausch ist."
"Es kommt immer so n bischen drauf an, wie der Ton ist, wie man es sagt und dann kann man fast alles sagen, aber man muss auch lernen ein bischen was auszuhalten."
"Das will ich heute abend rausfinden, ich gehe heute ins Theater."
In Brandenburg Havel ist Meinungsfreiheit eine drängende Frage für den PEN Berlin. Es gibt Redebedarf, das Theater wird voll – ist ausverkauft.
Der Schriftstellerverband lädt ein zur Gesprächsreihe "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen." Die Idee, so ihr Sprecher, Deniz Yüzel: Publizisten und Schriftsteller diskutieren mit Leuten vor Ort, vor den Landtagswahlen.
Deniz Yücel, Sprecher PEN Berlin
"Wenn 44% der Deutschen, inklusive der Einwanderer, weil es eine repräsentative Umfrage ist, inzwischen der Meinung sind, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist, dann hat Demokratie ein Problem. Und das ist, Meinungsfreiheit ist unser Thema und so kamen wir da drauf."
Deniz Yücels Engagement überrascht nicht, denn er saß wegen seiner Meinung schon über 1 Jahr im türkischen Gefängnis. An seiner Seite der Publizist Michel Friedmann und Literaturkritiker Gustav Seibt von der Süddeutschen Zeitung. Der eine meinungsstark, der andere selbstkritisch.
Michel Friedmann, Publizist
"Ich widerspreche allen die sagen, man könne nicht sagen, was man sagen will, denn sie können alles sagen, was sie sagen wollen, nur wenn dann jemand anderes auch was sagt, was er sagen will, beleidigt ist, das nennt man aber Widerspruch und das ist demokratisch."
Gustav Seibt, Literaturkritiker
"Ich erlebe die Meinungsfreiheit vor allem dann, wenn ich meine Meinung ändere. Es ist ungeheuer befreiend, sich von einer Meinung zu befreien und eine andere anzusteuern. Und dieses Spiel von Meinungen im Tausch und im Selbstzweifel und im Erschrecken über frühere Irrtümer und im Wiedergewinnen von alten Einsichten. Das ist Freiheit."
Nein, es soll keine Belehrung in Sachen Demokratie werden, sondern ein Gespräch mit dem Publikum, das erstaunlich vielfältig ist. Es gibt nur ein Problem.
"Ganz einfache Frage, Meinungsfreiheit kann nicht ohne Repräsentation funktionieren, wenn drei Leute, drei Männer mittleren Alters aus Westdeutschland herkommen und über Meinungsfreiheit reden, denken Sie es wäre angemessen, Menschen mit ner ostdeutschen Biografie auf dem Podium auch reden zu lassen?"
- "Darauf will ich Ihnen direkt antworten, ich komme nicht aus Westdeutschland, ich komme aus Deutschland."
Hätten wir das auch geklärt. Schliesslich geht Meinungsfreiheit jeden an. Geredet wird über Corona, Krieg, Islam oder Medien.
"Wenn ich mit etwas nicht einverstanden bin, richtet es sich nie gegen einzelne Menschen oder Rassen. Aber ich muss nicht mit Politik einverstanden sein."
"Wie kann man noch einen Dialog entstehen lassen, wenn alles was nicht dieser Meinung ist, wird mit der Lügenpresse platt gemacht."
"Aber und das sage ich mal im Baujargon, wer keine Wirbelsäule hat, um seine Meinung zu sagen, weil es gibt immer Gegenwind, der muss dann selber damit leben und sich nicht hinter irgendwelchen Ausreden verstecken."
"Man muss das üben, man muss üben sich gegenseitig auszuhalten und muss versuchen über Zuhören und Gegenargumente zu bestehen."
Das Publikum bekommt an diesem Abend eine Vorstellung von Streitkultur – und ja auch ein Autogramm von Michel Friedman. Vor allem aber bekommt man das Gefühl, man könnte mal wieder versuchen offen miteinander zu reden.
"Ich bin am Anfang mit so einem gemischten Gefühl reingegangen, ich dachte naja, wie man das aus der Stadt kennt,man hat hier so einen homogenen Kreis und beweihräuchert sich gegenseitig, aber ich wurde komplett von was gegenteiligem überrascht."
"Was ich da mitnehme war, ich hatte immer das Gefühl, das es sich immer auf eine Meinung beschränkt mittlerweile, aber dass es doch konstruktiv zugehen kann auch wenn unterschiedliche Meinungen herrschen und angesprochen werden."
Deniz Yücel, Sprecher PEN Berlin
"Und haben Sie denn ihre Meinung ein wenig geändert?"
- "Ich liebe den Osten."
Schöner streiten. Der PEN Berlin hat einen Beitrag geleistet, der abseits der üblichen Starbesuche wirkt, bei denen intellektuelle Prominenz in die Provinz einfällt. Das wird man ja auch mal sagen dürfen.
Autorin: Theresa Majerowitsch