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Für ihr aktuelles "Oral History"-Projekt haben Sabine Michel und Dörte Grimm ostdeutsche Großeltern und deren Enkel ins Gespräch gebracht. Wie war das damals in der DDR und nach der Wende? Für die Großeltern ist es nicht immer einfach, sich zu öffnen. Bei den Begegnungen wird viel verhandelt und auch gestritten. Das Buch "Es ist einmal" hält 10 dieser emotionalen Gespräche fest, die einen privaten und bewegenden Blick auf die deutsche Geschichte freigeben.
Sie wurden im Krieg geboren, haben den Hunger, die Kälte, die Entbehrungen der Nachkriegszeit erlebt. Dann die DDR. Ein Leben im ständigen Austarieren: wie sehr passt man sich an oder auch nicht. Schließlich die Wende, geprägt von Arbeitslosigkeit und Werteverlust. Sie hatten ein Leben voller Herausforderungen, aber auch ein schönes. In dem Buch von Sabine Michel und Dörte Grimm, erzählen ostdeutsche Großeltern ihren Enkelkindern ihre Lebensgeschichte. Das meiste davon hören die Enkel zum ersten Mal.
Dörte Grimm, Autorin & Filmemacherin
"Wir glauben halt, dass besonders die Großeltern-Generation sich so ein bisschen abgekapselt fühlt von ihrer eigenen Geschichte und das jetzt nicht so was ganz automatisches ist – wir können das natürlich nicht generalisieren für alle Familien – aber in der Tendenz gibt es nicht so ein ganz leichtes Erzählen über die Geschichten in der DDR."
Sabine Michel, Autorin & Filmemacherin
"Es wird halt sehr viel über den Osten gesprochen und sozusagen Gespräche aus dem Osten heraus, aus den Familien heraus, aus der kleinsten Zelle der Gesellschaft, das erschien uns extrem wichtig."
Dörte Grimm besucht Christina Schönau zum ersten mal wieder in ihrer Wohnung, wo sie das Gespräch zwischen ihr und ihrer Enkelin aufgezeichnet hat. Christina Schönau wird im Krieg geboren, ihre Zeit als Baby verbringt sie in Bombenkellern.
Christina Schönau
"Bewusst habe ich den Krieg nicht erlebt. Aber ich hab’ ihn in mir. Irgendwie habe ich ihn mir. Die Angstsituation und Schreien und Bedrohung. Einfach Bedrohung."
Als Jugendliche in der DDR ist Christina entsetzt über die politischen Zwänge und weigert sich, sich dem System unterzuordnen. Sie ist weder bei den Pionieren, noch der FDJ, unterschreibt keine, wie sie sagt "Staatspamphlete". Das hat Konsequenzen: sie entkommt nur knapp einem Schulverweis, Studieren darf sie nicht.
Christina Schönau
"Ich hätte gar nicht anders handeln können. Ich hätte mich verraten. Und ich habe immer schon gedacht: `Mensch, ihr Mitläufer. Ihr seid es, die diesen Staat am Leben behalten.´ Ich kann das nicht. Ich find das auch nicht mutig. Ich kann nicht anders, ja."
Christina zieht drei Kinder groß und arbeitet 10 Jahre im Aufbauverlag. Nach der Wende wird sie entlassen. Aber sie ist gut vernetzt, bekommt schnell eine Stelle in einer Werbeagentur für Bücher am Kurfürstendamm.
Christina Schönau
"Ich bin sehr lieb aufgenommen worden in der Agentur. `Ach mensch, komm. Ja, schön. Wir nehmen dich auf und bezahlen dich anständig.´ Aber ich hab gar nicht begriffen, was die da gemacht haben. Ich hab noch nie an einem Computer geschrieben. Ich sollte Werbetexte schreiben. Ich war blockiert. Ich konnte nicht einen Text schreiben, so wie es ein Westverlag haben möchte. Ich wusste nicht, wie man den Bus bezahlt, wie man telefoniert an öffentlichen Dingern. Die Wasserhähne auf dem Klo wusste ich nicht, wie funktionieren die… Ich war wie `ne dumme Trine in dem Westberlin."
Nach der Wende prägt vor allem der Westen ein Schwarz-weiß Bild der DDR. Es geht um die Stasi – Opfer, Täter, Mitläufer. Das eigentliche Leben, spielt keine Rolle. Die Ostdeutschen hingegen müssen sich darauf konzentrieren, sich neu zu orientieren und ihre Existenz wieder aufzubauen. Als sie überhaupt so weit sind, ihre eigenen Biografien nachzuvollziehen, sind viele Messen längst gesungen.
Dörte Grimm, Autorin & Filmemacherin
"Das ist ja besonders schwierig, wenn man immer das Gefühl hat, dass man sich für irgendwas rechtfertigen muss, ja. Und das haben, glaube ich, viele Ostdeutsche, dass sie denken: `Ok, ich hab in ´ner Diktatur gelebt und das ist ja an sich irgendwie schon so ´ne Art von Makel.´ Und das macht das Reden halt unfrei."
Sabine Michel, Autorin & Filmemacherin
"Da hat ein Schweigen eingesetzt, in dem es einen Anteil Scham gibt, aber es gibt auch einen nicht zu vergessenen Anteil Wut. Und den spüren wir politisch."
In den Gesprächen trauen sich die ostdeutschen Großeltern sich zu zeigen. Den beiden Autorinnen war es wichtig, eine Erzähl-Atmosphäre zu schaffen, in der auch ein kritischer Umgang mit der eigenen Geschichte möglich ist.
Sabine Michel, Autorin & Filmemacherin
"In welcher Atmosphäre schaut man auch selbstkritisch auf ´ne eigene Biografie. Ganz sicher nicht in einer Atmosphäre, die sozusagen gesellschaftlich eh schon sehr kritisch schaut. Wo immer eher die defizitären Aspekte der Biografie und des Lebens im Vordergrund stehen. Da ist es schwierig auch so eigene Selbstkritik sozusagen auf die Biografie zu entwickeln."
Schweigen bringt eine Gesellschaft nicht zusammen. Negative Gefühle und Erfahrungen bleiben, wenn man nicht über sie redet – und werden weitervererbt. Das Buch beweist: unter den richtigen Voraussetzungen sind Gespräche immer möglich.
Christina Schönau
"Ich möchte ja was mitteilen, weil wir sind ja die unbekannten Größen für die meisten Deutschen. Wie haben wir gelebt? Und wie haben wir gelebt! Es war das Leben pur, ja. Das wird uns ja abgesprochen. Es kann kein richtiges im falschen Leben geben, höre ich immer wieder von bestimmten Richtungen. Oh doch! Es war ein sehr wesentliches Leben auch."
Autorin: Lilli Klinger