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Vor bald 17 Jahren hat der Bundestag beschlossen, den Menschen, die die Mauer zum Einstürzen gebracht haben ein Denkmal zu setzten. Und tatsächlich gibt es die Wippe, doch sie liegt in einer schmucklosen Halle in Ostwestfalen. Nicht nur der Weg zur Einheit, sondern auch der zum Einheitsdenkmal scheint kompliziert bis problematisch.
Wir schreiben das Jahr 35 nach der friedlichen Revolution. Und eigentlich sollte heute hier in der deutschen Hauptstadt ein Denkmal stehen: Für die Freiheit und die Einheit. Doch wie wir sehen, sehen wir nichts. Beziehungsweise, nicht untypisch für Berlin: Eine Baustelle. Und das schon lange. Sehr lange. Worüber der ehemalige ostdeutsche Bürgerrechtler Wolfgang Thierse ziemlich sauer ist.
Wolfgang Thierse, ehemaliger Bundestagspräsident
"Es ist tief bedauerlich und ärgert mich richtig, dass dieses Land nicht fähig und bereit ist, an das glücklichste Ereignis der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert mit einem Denkmal zu erinnern, im 35. Jahr nach der Friedlichen Revolution und nach der Ermöglichung der Wiedervereinigung. Das tut mir weh."
Seit 17 Jahren setzt sich der ehemalige Bundestagspräsident dafür ein, dass die Ostdeutschen und ihre friedliche Revolution das Denkmal bekommen, das der Bundestag 2007 beschlossen hat. "Ein Denkmal des historischen Glücks und der Freudentränen" sollte es werden, ein "kraftvolles Zeichen des Aufbruchs".
2011 wurde der Siegerentwurf der Stuttgarter Kreativagentur Milla und Partner gekürt: "Bürger in Bewegung". In der Mitte einer riesigen begehbaren Waagschale sollen Menschen zusammenfinden, um sie gemeinsam in die eine oder andere Richtung zu bewegen. Eine "soziale Plastik", sagen die einen.
Die anderen spotten über die "Einheitswippe" und schlimmer noch "die Bundesbanane".
Marianne Birthler, ehemalige Bürgerrechtlerin und Politikerin
"Ich finde die Idee dieses Denkmals gar nicht schlecht. Für mich war sie am Anfang ein bisschen fremd, aber ich kann den Sinn dahinter schon verstehen und dass eine Gesellschaft, wenn sie sich nicht bewegt, irgendwie auch gar nicht existent ist, also zumindest nicht als Zivilgesellschaft, das ist ja augenfällig. Insofern…Ich habe keine Ahnung, ob das mal funktionieren wird, aber ich fand die Idee originell. Und ich finde auch den Anlass, ne Freiheitsrevolution und die deutsche Einheit finde ich bedeutend genug, um beidem einen Ort zu widmen, mitten in der Stadt."
Den historischen Moment im Jahr 1989, als sich Ost- und Westdeutsche tatsächlich einmal kurz in den Armen lagen, hat der Franzose Maurice Weiss als junger Student fotografiert. Darum wollte der Fotograf der Agentur "Ostkreuz" auch den Bauprozess des Freiheits- und Einheitsdenkmals dokumentieren. Nicht ahnend, dass ihn dieses Projekt über 17 Jahre begleiten würde.
Maurice Weiss, Fotograf
"Ich habe mit mehr Jahren gerechnet, als prognostiziert waren. Aber dass das Ding immer noch nicht fertig ist, finde ich dann doch überraschend."
Nach jahrelangen Genehmigungsverfahren wurde der Bau 2016 gestoppt. Der Grund, ebenfalls nicht untypisch für deutsche Baustellen: eine seltene Fledermaus-Art, die den historischen Sockel bewohnt. Zweimal beschloss der Bundestag den Bau noch einmal neu. Es folgten: Ungeklärte Grundstücksfragen, noch mehr Auflagen und der Bau des Humboldt-Forums hinter der neu errichteten kaiserlichen Schlossfassade. Die DDR hatte das Schloss einst samt Kaiserstandbild weggesprengt, um an gleicher Stelle später ihren Palast der Republik zu bauen.
Auch der Autor Ingo Schulze war 1989 mit dabei, er fühlt sich aber von diesem Denkmal-Entwurf nicht geehrt.
Ingo Schulze, Schriftsteller
"Das an so einem Platz zu machen, wo man den Palast der Republik abreißt und dann so ein Fakeschloss aufbaut, wo kein Stein echt ist. Das ist eigentlich ein Überspringen von deutscher Geschichte, also direkt aus dem Deutschen Kaiserreich in die große Bundesrepublik."
Wolfgang Thierse, ehemaliger Bundestagspräsident
"Der Ort war einmal ein Kaiser-Wilhelm-Denkmal. Ein Denkmal der Erinnerung an die Deutsche Vereinigung von oben. Und wir setzen einen Kontrapunkt und erinnern an die Deutsche Einigung von unten, der eine Freiheitsrevolution vorausgegangen ist. Das nennt man im brechtschen Sinne "Umfunktionieren eines historischen Ortes". Das hat Witz."
Aktuell lagert das imposante Skelett des Denkmals "Bürger in Bewegung" im westfälischen Stemwede, in der Halle eines Stahlbauers tief im Westen - und hier bewegt sich vorerst überhaupt nichts mehr. Gerichts- und Insolvenzverfahren laufen, Wirtschaftsprüfer prüfen, Kosten steigen. Dem Haushaltsausschuss des Bundestages liegt ein Antrag über zusätzliche 4 Millionen Euro für den Bau des Denkmals vor.
Maurice Weiss, Fotograf
"Das sind ja Bundesmittel, die da drinstecken. Und es ist schon so viel Geld eingeflossen. Das ist jetzt nicht mehr der Punkt, wo man aussteigen kann. Ich glaube, das wird jetzt entstehen müssen. Wie lang das noch dauert, das frage ich mich schon eine Weile, ich würde gern einmal abschließen."
Doch inzwischen scheint dieses Denkmal, schon bevor es aufgestellt ist, schlecht gealtert. Das Land hat andere Sorgen. Und der Ruf "Wir sind das Volk" klingt heute nicht mehr wie vor 35 Jahren.Marianne Birthler, Bürgerrechtlerin und Politikerin
"Wer heute von Einheit spricht oder von Zusammenkommen oder so, meint, glaube ich, inzwischen gar nicht mehr die Ost-West-Frage, sondern viel häufiger den Spalt, den es in der Gesellschaft gibt zwischen den Freiheitsfreunden und den Gegnern der Freiheit. Das ist ja das, was uns im Moment, denke ich, am meisten zu schaffen macht und auch schmerzt und manchmal auch ängstigt."
Was bleibt? Ein Denkmal, so unvollendet wie die Einheit? Verhindert durch Bürokratie und Fehlplanung? Kein Monument des Aufbruchs, sondern der Gleichgültigkeit? Bis auf weiteres: ja.Autorin: Marion Ammicht