-
Schon vor über 100 Jahren entstand rund um Wünsdorf im Süden von Berlin ein riesiger Militärstandort. Die Truppen von Kaiser Wilhelm II übten dort genauso, wie später die Wehrmacht und schließlich die Sowjetarmee mir bis zu 60.000 Soldaten. 1994 war Schluß, seitdem verfällt der Großteil des Areals. Die Regisseurin Elfi Mikesch hat schon kurz nach dem Abzug der Sowjets die Anlagen in Kurzfilmen dokumentiert. In einem großen Dokumentarfilm wollte sie dann über ökologische Utopien für das Gelände nachdenken. Dann überfiel Russland die Ukraine und der Film nahm eine neue Richtung. Jetzt kommt er unter dem großen Titel "Krieg und Frieden" in die Kinos. Wir sprechen mit der über 80-jährigen Independent-Ikone Elfie Mikesch und sind auf Spurensuche in Wünsdorf.
Die Uhr ist stehen geblieben - aber die Zeit hinterlässt ihre Spuren am Haus der Offiziere. Seit 1994 Tausende russische Soldaten Wünsdorf verließen, fragen sich Anwohner und das Land Brandenburg als Eigentümer: Wie kann hier wieder Leben einziehen?
Thomas Schulz, Hausmeister
"Ick find’s schade, wenn dieset Jebäude hier, dieser ganze Laden irgendwann mal zusammenbricht, weil du kannst hier nichts wegmachen. Es ist Denkmalschutz. Und wenn man jeden Tag noch länger wartet, dann wird es auch nicht besser davon."
Der Dokumentarfilm "Krieg oder Frieden" erzählt von einer Zukunftsvision und nimmt uns mit auf das verbotene Gelände. Erbaut vom letzten deutschen Kaiser als "Militär-Turnanstalt", war hier zuletzt das Oberkommando der sowjetischen Truppen in der DDR stationiert. Wir treffen zwei Männer, die den Ort genau kennen.
Thomas Schulz, Hausmeister
"Oberst Matwei Burlakow hat hier seine Bahnen gezogen bis 94 - dann wurde das Wasser rausgelassen."
Sieghard Auer, Architekt
"Ja, Burlakow war der letzte, glaub ich."
Thomas Schulz ist als Hausmeister für immense 23.000 Quadratmeter verantwortlich - Schwimmbad inklusive.
Seit 30 Jahren wünscht sich Architekt und Anwohner Sieghard Auer, dass dieses ehemals militärische Gelände ein öffentlicher Ort wird.
Sieghard Auer, Architekt
"Es war immer Tabu, also es war nie für die Bevölkerung. Es war Kaserne und exklusiv nur für die preußischen Offiziere, dann die deutschen Offiziere - immer Sicherheit und Tabu - für die Russen - Tabu. Und deswegen ist es wichtig, dass das Haus endlich mal aufgemacht wird."
Doch seit Jahrzehnten scheitern Verhandlungen mit potenziellen Investoren immer wieder. Die beiden hoffen auf neue Impulse durch den Dokumentarfilm, der jetzt ins Kino kommt. "Krieg oder Frieden" setzt der militärischen Vergangenheit des Ortes eine Utopie entgegen. Ein Stadtplaner will Wünsdorf in eine "Öko-Stadt" verwandeln: mit einer riesigen Akademie für Zukunftsberufe - alles nachhaltig und klimafreundlich.
Ekhart Hahn, Stadtplaner
"Diese Eco-Stadt, da werden zwischen 8.000 und 10.000 Menschen leben, und sie versorgt sich zu 100 Prozent selbst aus lokaler, erneuerbarer Energie. Es ist eine Stadt, die 80 Prozent ihrer Nahrungsmittel, Obst, Gemüse selber produzieren kann, indem einfach die Freiflächen anders genutzt werden."
Gärtnern würden vor allem geflüchtete Menschen, die in "Eco City" zu Tausenden wohnen sollen. Eine Idee, die bei den zuständigen Stadtverordneten nicht gut ankam. Sie haben dem großen Plan eine Absage erteilt.
Im Kleinen aber funktioniert es, das Militärgelände in Wünsdorf neu zu nutzen. Architekt Sieghard Auer arbeitet hier in einer Ateliergemeinschaft schon seit über 30 Jahren - mitten im munitionsbelasteten Wald. Das Gebäude gehörte einst dem sowjetischen Geheimdienst KGB.
Sieghard Auer, Architekt
"So Sachen haben wir hier dann überall gefunden, was es alles gibt an Spuren noch. Und das war also so geheim, dass nicht mal die Soldaten sich getraut haben, hier reinzugehen."
Wo früher KGB-Offiziere Spionage-Videos sichteten, arbeiten heute Künstler und Sieghard Auer als Architekt.
Sieghard Auer, Architekt
"Das ist eigentlich Thema von Elfis Film auch: dass sie gesagt hat - aus militärisch schwerbelasteten Substanzen, vorhandenen Ruinen, kreative neue Projekte zu machen. Und das ist eigentlich unser Thema."
Elfi - das ist Elfi Mikesch, 84 Jahre alt, Urgestein des deutschen Dokumentarfilms. Hier in diesem kleinen Arbeitsraum in Berlin ist "Krieg oder Frieden" entstanden.
In dem Film denkt sie nicht nur über die Zukunft von Wünsdorf nach. Eine große Frage treibt Elfi Mikesch schon lange um.
Elfi Mikesch, Filmemacherin
"Ich bin ja 1940 geboren, und das war im Krieg. Und das hat eine Anziehungskraft insofern, weil ich das verstehen möchte: Was ist denn da passiert? Was ist ein Blindgänger? Und diese Spielsachen, die wir als Kinder auch fanden, im Wald, das waren zum Teil Patronen, lauter doch sehr gefährliche Sachen. Und vielleicht ist es auch, dass ich Antworten finden möchte: Warum gibt es Krieg?"
Während der Dreharbeiten beginnt Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Elfi Mikesch ist erschüttert - und beschließt, aus ihrem Film ein Plädoyer für den Frieden zu machen.
Hausmeister Thomas Schulz zeigt uns einen Raum im Haus der Offiziere, der Elfi Mikesch zutiefst berührt hat: Die Sowjets hatten hier einen Gedenkort eingerichtet - für die gefallenen Soldaten im Zweiten Weltkrieg.
Elfi Mikesch, Filmemacherin
"Mit unserem spärlichen Filmlicht sehen wir diese Fotografien von der weinenden Frau vor einem toten Soldaten - und dann sagt das alles! Was bleibt da außer Tod und Verderben?"
Sieghard Auer will uns zum Schluss etwas zeigen: den Eingang zu einem abgesperrten Gelände. Nazi-Bunker ziehen hier jährlich Zehntausende Militär-interessierte Touristen an.
Der harte Beton, umhäkelt mit Blumen: Auch für den Wunsch nach Frieden kann Wünsdorf stehen. Doch der scheint gerade so fern wie neues Leben im Haus der Offiziere.
Autorin: Anne Kohlick