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Berlins dienstälteste Boulevardbühne feiert am 3. November im Theater am Potsdamer Platz ihren 100. Geburtstag. Diese "Komödie am Kudamm" ist im Westen gegründet worden. Doch der Neubau ist noch immer Baustelle. Seit drei Generationen wird die Bühne als Familienbetrieb geleitet. Wie schafft man es aller Widrigkeiten zum Trotz das Theater zu erhalten?
Hier soll es wieder hin: denn eines der dienstältesten Theater Berlins gehört an den Westberliner Boulevard. Ursprünglich sind es sogar zwei Bühnen: die Komödie am Kurfürstendamm und das Theater am Kurfürstendamm. Beide werden nach langem Streit 2018 abgerissen. Seit fünf Jahren wird nun gebaut, damit Ersatz entsteht. Jürgen und Martin Wölffer, Vater und Sohn, Senior- und Juniordirektor des Theaters, besuchen mit uns die Baustelle.
Martin Wölffer, Theaterdirektor
"Mit aller Macht sollten diese Theater verschwinden. Und dagegen haben ja nicht nur wir uns gewehrt, sondern eben auch sehr viel die Öffentlichkeit. Es gab Demonstrationen und ja, zum Schluss ist der Kompromiss draus geworden, dass immerhin ein neues Theater entsteht, also dass der Kulturstandort wenigstens nicht verloren geht. Obwohl es natürlich nach wie vor eine Schande ist, dass die alten Theater weg mussten aus Renditegründen, die heute gar nicht mehr zu erreichen ist.“
1924 gründet Max Reinhardt die Bühne am Kurfürstendamm als erstes Boulevardtheater Deutschlands. Die Stars der frühen Jahre sind Marlene Dietrich und Heinz Rühmann. 1935 übernimmt erstmals Familie Wölffer, nämlich Hans Wölffer, Jürgens Vater, die Bühnen. Nach der Enteignung durch die Nazis und Krieg, wird Anfang der 50er Jahre Hans wieder Theaterdirektor - und begründet die Familientradition: ein Theater, das vom Vater zum Sohn weitergeben wird.
Martin Wölffer, Theaterdirektor
"Auch `ne Besonderheit ist sicher, dass keiner von den bisherigen Direktionen auch mein Vater inbegriffen, gar nicht Theaterdirektor werden wollte."
Martin Wölffer, Theaterdirektor
"Also es hat Vor- und Nachteile so ein Familienbetrieb. In unserem Fall, glaube ich, hat es mehr Vorteile, weil die Wege einfach sehr direkt sind. Also man muss sich nicht verstellen. Also das ist ein großer Vorteil.“
Martin Wölffer, Theaterdirektor
"Was auch glaube ich, und dafür bin ich auch sehr dankbar, in unserer Familie so ist, dass wir uns alle gern haben. Das ist auch nicht in allen Familien so."
Die Wölffers kämpfen zuletzt 20 Jahre mit der Ungewissheit um die Zukunft des Familienbetriebs. Acht mal wird das Areal verkauft und es gibt eine Räumungsklage. Der 88-jährige Jürgen Wölffer ist froh, dass der Rohbau nun steht.
Martin Wölffer, Theaterdirektor
"Dass wir überhaupt eine Chance haben, hätte ich gar nicht gedacht. Und wir haben diese Chance, die wir eigentlich nicht hatten, trotzdem genutzt. Das hat es aber auch in die Länge gezogen natürlich, weil wir einen Investor nach dem nächsten hier begrüßen und auch wieder verabschieden durften. Das lag zum Teil auch an uns, glaube ich, weil wir uns einfach quergestellt haben, so gut es eben ging."
Mit dem Abriss muss die Werkstatt vom Kudamm nach Spandau ziehen. Ob Bühnenbildner oder Schauspielerin, alle kennen sich persönlich. Adisat Semenitsch kam vor fast 40 Jahren ans Theater am Kurfürstendamm.
Adisat Semenitsch
"Das will ich spielen."
Martin Wölffer, Theaterdirektor
"Große Rollen."
Zuletzt steht sie im Stück "Cluedo" auf der Bühne.
"Scharf!"
Über das Boulevardtheater entdeckt sie ihre Liebe zur Bühne wieder.
Adisat Semenitsch, Schauspielerin
"Ich fand das alles ganz interessant, weil es so anders lief, meiner Meinung nach als andere Theaterbetriebe."
"Legen sie die Waffe weg!"
Adisat Semenitsch, Schauspielerin
"Das ist schon spannend, weil es auch immer eine Kommunikation mit dem Zuschauer ist. Also Boulevard spielen, wenn du ein Stück fertig hast, dann funktioniert das einigermaßen, sehr wahrscheinlich, aber in dem Moment, wo die Zuschauer dazukommen, ist es eine neue Dimension. Und die reagieren ja auf das, was gesagt wird und dadurch verschiebt sich das Stück ein bisschen. Also, die sind auch ein Mitspieler sozusagen."
In den 80ern spielt Adisat Semenitsch an der Komödie auch an der Seite von Karin Eickelbaum. Die ist wie Harald Juhnke einer der Stars und häufig zu Gast am Kurfüstendamm.
"Tu du's!"
"So, aus und vorbei. Du fühlst dich schon besser, nicht wahr?"
Adisat Semenitsch, Schauspielerin
"Karin Eickelbaum ist eine pure Person gewesen. Die war schnörkellos, sehr auf den Punkt und sehr liebenswert. Ich würde sagen für mich der Inbegriff der modernen Frau, damals und heute. Ich war total froh, dass ich mit der arbeiten durfte."
Im alten Westberlin sind die Bühnen am Kudamm eine Institution der Inselstadt - mit Stars wie Hannelore Elsner, Horst Buchholz und Günther Pfitzmann. Das heute abgerissene Foyer atmet den Geist der 50er Jahre.
"Ich hab so Heimweh nach dem Kurfürstendamm…"
Nun beginnt eine neue Zeitrechnung für die Komödie.
Jürgen Wölffer
"Da können sich Direktoren dran aufhängen."
Mitte 2026 soll hier wieder Theater gespielt werden.
Martin Wölffer, Theaterdirektor
"Man kann ja fast vom Trauma sprechen, also dass dieser Abriss dann doch passiert ist, dass es dann wirklich geschehen ist, das war, glaube ich, so für uns Theaterleute, für alle hinter und auf der Bühne und auch im Zuschauerraum so einer der traurigsten Tage überhaupt. Und wenn wir diese Wunde wieder schaffen auszumerzen sozusagen, und wieder hier stehen und sagen: "So, jetzt sind wir wieder da und es kann wieder Theater hier stattfinden, die Leute kommen wieder und die freuen sich." Dann haben wir was geschafft."
Jürgen Wölffer
"Kaspertheater!"
Autorin: Vera Drude