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Nach dem Überfall der Hamas auf Israel sollte eine Bundestagsresolution ein Zeichen des Mitgefühls mit den Opfern, ein Zeichen der Solidarität mit Israel setzen. Der 9. November 2023, der 85. Jahrestag der Reichspogromnacht wäre dafür ein symbolträchtiger Tag gewesen. Aber die Parlamentarier von Ampel und CDU/CSU haben es einfach nicht hinbekommen. Und so ist ein Jahr vergangen und aus der Resolution ist ein Streitpapier geworden. Diese Woche wird es im Bundestag verabschiedet. In dem Papier ist von Maßnahmen gegen Antisemitismus in Deutschland die Rede, vom Schutz jüdischen Lebens. So will man Fördergelder nur noch vergeben, wenn sicher ist, dass keine "antisemitischen Narrative" damit finanziert werden – in Kunst, Kultur und Wissenschaft. Dort regt sich massiver Widerstand. Es drohten Gesinnungsschnüffelei und Eingriffe in die Wissenschafts- und Kunstfreiheit. Kann eine Resolution, die so lange gebraucht hat und so umstritten ist wirklich noch ihr Ziel erreichen?
Dreharbeiten zum Thema Antisemitismus-Resolution in dieser Woche. Wir sprechen mit der Präsidentin der jüdischen Studierendenunion, Hanna Veiler. Nach wenigen Minuten ein Störfall.
Szenen wie diese erlebt die 26-jährige nicht zum ersten Mal. Jüdische Studierende werden beleidigt und beschimpft. Auch das ist ein Grund für die jetzt vom Bundestag verabschiedete Antisemitismus-Resolution. Hanna Veiler selbst studiert an der Uni Tübingen. Wir treffen sie in Berlin und es war nicht einfach, einen akademischen Ort für ein Interview mit ihr zu finden.
Die Technische Universität hat uns die Dreharbeiten in ihrem Gebäude verboten. Ist die prominente jüdische Studentin etwa der Grund? Wir wissen es nicht. Die TU verweigert die Begründung für ihre Absage – auch auf Nachfrage. Also fragen wir Hanna Veiler auf dem Platz vor der TU, was sie von der Resolution hält.
Hanna Veiler, Präsidentin Jüdische Studierendenunion
"Ich finde den Resolutionstext total gut gefasst und wahnsinnig wichtig. Ich hab’ das schon gesagt: Es ist vor allem eine symbolische Geste, die vor allem auch dazu dient, der jüdischen Community ein klares Zeichen zu senden und auch eine Leitlinie für die eigene parlamentarischen Arbeit im Bundestag darstellt."
Über ein Jahr hat es gedauert, bis die Ampel- und die Unionsfraktionen sich zu dieser Resolution durchringen konnten. Es gab deutschlandweit massiven Protest dagegen - gerade aus Wissenschaft und Kultur - als im Sommer ein erster Entwurf aus dem Bundestag durchgestochen wurde. Vorgestern wurde die Resolution nun beschlossen. Und die Kritik reißt nicht ab. Obwohl er zu den Skeptikern dieser Art von Resolution gehört ist auch Starregisseur Barrie Kosky unbedingt für ein starkes Zeichen gegen Antisemitismus.
Barrie Kosky, Opernregisseur
"In dieser Resolution, es gibt viele gute Punkte da. Die Absichten sind richtig. Ich möchte, dass Deutschland ist beschäftigt mit dem Thema Antisemitismus. Ich möchte mich als Jude in Deutschland geschützt fühlen. Aber, was diese Resolution macht ist problematisch in dem Fall von Kultur und Universitäten."
Die Resolution fordert, dass der Staat Geld für Wissenschaft und Kunst nur dann ausgibt, wenn vorher "rechtssicher" geklärt wird, dass hinterher kein Antisemitismus raus kommt. Das aber, so schlagen Verfassungsrechtler Alarm, wäre ein Verstoß gegen die Meinungs- und Kunstfreiheit – ein Grundrechts-Verstoß.
Ralf Michaels, Jurist, Universität Hamburg
"Indem der Staat Grundrechte gewährt, geht er immer das Risiko ein, dass in der Ausübung der Grundrechte auch Dinge geschehen, die er nicht haben will. Das ist eine Risiko, das der freiheitliche Staat in Kauf nimmt im Namen eben dieser Grundrechte. Wenn er das Risiko auf Null fahren will, dann muss er letzten Endes die freie Kunst abschaffen, dann muss er die freie Rede abschaffen."
Linda Teuteberg, ebenfalls Juristin und Bundestagsabgeordnete aus Brandenburg, hat diese Resolution für die FDP verhandelt. Sie hält es nicht nur für möglich, sondern für zwingend, dass der Staat bei wissenschaftlichen Konferenzen, bei Ausstellungen und Festivals vorher prüft, wer dort was sagt, zeigt und performt.
Linda Teuteberg, Bundestagsabgeordnete FDP
"Ich finde, es sollte selbstverständlich sein, dass wir die Gelder des Steuerzahlers, die Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland nicht für die Verbreitung von antisemitischen Inhalten und Anliegen nutzen. Und das muss stärker als bisher sichergestellt werden."
Ralf Michaels, Jurist, Universität Hamburg
"Unsere Erkenntnis ist, der Staat kann entscheiden, die Kunst zu fördern oder nicht. Aber wenn er sie fördert, muss er das nach kunstinternen Kriterien machen und kann da nicht politisch die Meinungen vorgeben."
Hier prallt also scheinbar unvereinbar aufeinander, was einerseits vom Strafrecht erfasst wird und was andererseits eine - vielleicht sogar schwer zu ertragende - Kunst- oder Meinungsäußerung ist. Barrie Kosky hat ein Beispiel.
Barrie Kosky, Opernregisseur
"Ich mache in ein paar Jahren – das ist nur hypothetical – ein Projekt mit israelischen, palästinensischen und libanesischen Künstlern, von Israel, Libanon und Gaza. Ein Projekt in Deutschland mit Musik und Theater über das, was passiert ist in den letzten paar Jahren. Ich fürchte, dass in so einer Resolution - was wir auf der Bühne machen könnten – wird sofort mit dem Stempel: Antisemitisch!"
Hanna Veiler dagegen hofft, dass diese Resolution hilft beim Kampf gegen die Bedrohungen, die sie bei Demos und im Hörsaal erlebt - und die ihren Alltag vergiften.
Hanna Veiler, Präsidentin Jüdische Studierendenunion
"Das macht ganz deutlich, dass Antisemitismus im Strafrecht auf jeden Fall ausgebaut werden muss, dass es eine viel stärkere Beschäftigung damit braucht, dass es eine Sensibilisierung der..."
Der Zwischenfall verlief ohne körperliche Angriffe. Aber wer weiß das schon vorher. Das Schlimmste an dieser Rumschreierei ist ihre Sprachlosigkeit. Es kommt kein Gespräch mehr zustande.
Linda Teuteberg, Bundestagsabgeordnete FDP
"Dass Antisemitismus – entgegen Sonntagsreden – viel Platz hat und auch immer unverfrorener Platz im öffentlichen Raum besetzt, ist ja ein reales Problem, worauf dieser Entschließungsantrag eine politische Antwort ist. Und es ist das gute Recht des deutschen Bundestages und gewählter Abgeordneter, eine gemeinsame Position zu diesem Thema zu formulieren."
In Deutschland, so besagt eine neue Studie, unterstützen weniger als 20% der Menschen Antisemitismus. Über 80% tun dies also nicht. Auf diesen großen Konsens hätte die Resolution bauen können. Stattdessen aber versucht sie, Wissenschaft und Kunst an die Leine zu legen.
Autor: Ulf Kalkreuth