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Sie war eine Operndiva, eine Malerin und in der Türkei ein Star. Semiha Berksoy, geboren 1910, studiert in den 30er Jahren in Berlin an der Hochschule für Musik und wird später in ihrer Heimat Mitbegründerin der Türkischen Staatsoper. Deutschland bleibt sie ihr Leben lang verbunden. Jetzt würdigt der Hamburger Bahnhof das Schaffen dieser außergewöhnlichen Frau.
Sie war die erste muslimische Primadonna. Und eine der schillerndsten Künstlerinnen Ihrer Zeit. Semiha Berksoy. "Singing in full colour- singen in voller Farbe" heißt die Ausstellung im Hamburger Bahnhof, die der vielseitig begabten Künstlerin eine große Bühne bereitet. Ausstellungsmacher Sam Bardaouil hat sie für Berlin wiederentdeckt.
Sam Bardaouil, Direktor Hamburger Bahnhof
"Man kann sagen, Samiha Berksoy war jeder Hinsicht überlebensgroß, sie war eine Künstlerin und Performerin an jedem Tag ihres Lebens."
"Ich glaube, es gab keinen Moment, in dem sie abgeschaltet hat. Sie war immer angeknipst. Und ich denke, das spiegelt sich, sehr stark in den Gemälden wider, die wir in der Ausstellung sehen, in den Arbeiten, in der Lebendigkeit der Farben, der Spontanität ihrer Pinselstriche, ihrer Linie. Es ist fast wie ein Tagebuch, das hauptsächlich aus ihrem Bauch kommt."
Die Ausstellung taucht ein in Berksoys fulminantes Leben. Ihre Mutter ist Malerin, der Vater Dichter. Sie studiert Kunst an der staatlichen Akademie in Istanbul. Gleichzeitig zeigt sich ihr Schauspieltalent, spielt im ersten türkischen Tonfilm. Eine moderne, selbstbestimmte Frau.
Sam Bardaouil, Direktor Hamburger Bahnhof
"Samiha wurde 1910 geboren und 1923, als sie erst 13 Jahre alt war, proklamierte Atatürk, die Gründung der Türkischen Republik. Es war eine Zeit des Fortschritts, eine Zeit der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und dem osmanischen Erbe, aber auch der Öffnung für europäische und internationale Kunstformen, Architekturformen. Frauen wurden ermutigt, sich aktiv an der Öffentlichkeit zu beteiligen, und zeigten irgendwie schon in jungen Jahren dieses Talent für Theater, Schauspiel und Musik."
Özsoy - die erste Oper der Republik Türkei wird von Atatürk selbst in Aufrag gegeben. Auch bei dieser Uraufführung glänzt Semiha Berksoy.
1936 kommt sie, ausgestattet mit einem großzügigen Stipendium der türkischen Regierung nach Berlin, um an der Hochschule für Musik Oper und Gesang zu studieren. Sie taucht ein in das Charlottenburger Studentenleben. Anders als ihre jüdischen Mitstudierenden ist sie keinen Repressionen ausgesetzt. Sie begeistert das Berliner Publikum.
Sam Bardaouil, Direktor Hamburger Bahnhof
"Das ist ein ganz besonderes Gemälde von Samiha, weil es die Figur der Ariadne von Naxos darstellt. 1939, zum 75-jährigen Geburtstag von Johann Strauss gab es große Feierlichkeiten. In einer Aufführung von Ariadne auf Naxos an der Berliner Musikhochschule durfte Semiha die Hauptrolle, die Ariadne singen. Und sie hat begeistert. Sie hatte großartige, großartige Kritiken bekommen. Und das war wirklich der Moment, in dem sie begann, als aufgehender Stern in Berlin zu sich selbst zu kommen."
Samiha Berksoy als Ariadne 1939. Auf dem Höhepunkt ihres Erfolges in Berlin muss sie Deutschland verlassen. Der 2. Weltkrieg bricht aus. Ihre Opernkarriere setzt sie in Istanbul fort. Ab den 50er Jahren nimmt ihre Malerei wieder mehr Raum ein. Sie malt abstrakt, schnell, intuitiv. Sam Bardaouil setzt ihre Bilder in Szene, wie in einem Amphitheater.
Sam Bardaouil, Direktor Hamburger Bahnhof
"Man kann Elemente des Fauvismus, der naiven Kunst, des Expressionismus erkennen, aber in Wirklichkeit ist es der Samiha-Ismus. Es gibt keinen bestimmten Stil, in den sie wirklich passt, und das macht sie einzigartig. Und dann ist da diese Linie."
Die Linie - ein Element, das immer wieder in ihren Bildern auftaucht. Für Samiha Berksoy ein Symbol für die fragile Verbindung zwischen dem Leben auf dieser Erde und dem Jenseits.
Sam Bardaouil, Direktor Hamburger Bahnhof
"Ihre Charaktere haben mit ihrem Leben zu tun. Das ist ein Selbstporträt. Das ist ihr Ehemann. Im Grunde gibt es also immer eine persönliche Verbindung. Und diese Lebenslinie, die sich durch alle Gemälde zieht, ist wahrscheinlich ihre Art, mit Fragen von Leben und Tod, mit Sterblichkeit umzugehen."
Bis ins hohe Alter malt Semiha Berksoy - sogar auf eine Kühlschranktür. Mit 89 Jahren muss Sie ins Krankenhaus - auch das nur ein weiteres Erlebnis, das Sie in Kunst verwandelt.
Sam Bardaouil, Direktor Hamburger Bahnhof
"Dies sind alles Darstellungen ihres Körpers, der auseinanderfällt und mit zunehmendem Alter schwächer wird. Aber das hält sie nicht davon ab, vollständig aktiv zu sein. Selbst als sie nach Hause zurückkehrte, schuf sie ein ganzes Universum, das sie in ihrem Schlafzimmer malte, und schuf ein Gesamtkunstwerk, gewissermaßen in diesem Universum, das sie geschaffen hat."
Semiha Berksoys Zimmer - ein Kosmos aus Kunstwerken und Erinnerungsstücken aus ihrem Leben wurde im Jahr 2000 1:1 in einer Ausstellung in Bonn aufgebaut. 4 Jahre vor Samiha Berksoys Tod.
Sam Bardaouil, Direktor Hamburger Bahnhof
"Die Oper wurde Realität, und die Realität verwandelte sich wirklich in eine Oper."
Autorin: Charlotte Pollex