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"Sie kennen mich" - Das war Angela Merkels Wahlkampfslogan für die Bundestagswahl 2013. Offenbar nicht gut genug, denn die ewige Kanzlerin hat noch Stoff für eine Autobiographie mit stolzen 700 Seiten. Das Buch ist diese Woche erschienen unter dem Titel "Freiheit". Aber wie frei ist Angela Merkel wirklich zu erzählen, was war?
Angela Merkel
"Wenn man das zum ersten Mal in der Hand hält…"
Angela Merkel ist stolz. Berlin am letzten Dienstag. Buchpremiere ihrer Memoiren: "Freiheit" ist der Titel. Und frei wollte sie erzählen. Eine "aufrichtige Selbstreflexion" – auf 740 Seiten!
Angela Merkel
"Es wurde ja immer gesagt, sie erklärt sich nicht und man weiß nicht, warum sie was tut…"
- "Stimmte aber gar nicht, oder…?"
"Naja, für mich war’s klar. Aber ich muss ja zur Kenntnis nehmen, dass andere es noch nicht mitgekriegt hatten."
Lange reichte die Raute, um sich zu erklären. Bis 2015. Merkel auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Inbegriff von Stabilität und Ruhe. Doch ihre Entscheidung, Flüchtlinge an der deutschen Grenze nicht zurückzuweisen, wird diese Ruhe stören und ihre Kanzlerschaft, so schreibt sie, in ein Davor und ein Danach spalten.
Ralph Bollmann, Journalist & Autor "Angela Merkel. Die Kanzlerin und ihre Zeit"
"Ich glaube, die Flüchtlingsdebatte war wirklich ein Wendepunkt ihrer Kanzlerschaft, weil sie wirklich entsetzt war, über die Art und Weise, wie aus ihrer Sicht ihr damals die Worte im Mund verdreht wurden. So ein banaler Satz wie "Wir schaffen das", und daraus wurde dann gemacht, sie will eine Umvolkung Deutschlands oder so. Das war ja auch der ursprüngliche Antrieb, dieses Buch überhaupt zu schreiben, und erst im weiteren Verlauf durch die Russlanddebatte etc. hat sich das dann ja ausgeweitet zu einer kompletten Autobiographie."
"Ich möchte die Geschichte meiner beiden Leben erzählen", schreibt sie. Denn das zweite, in der Politik, sei ohne das erste nicht zu denken. Über die DDR hat Angela Merkel so offen nie gesprochen: Hier nennt sie es ein "kleinkariertes, engstirniges" Land und ihr Elternhaus einen "Schutzraum". Sie ist ehrgeizig, passt sich an, weil sie eine Zukunft will. Studiert Physik, weil die DDR da händeringend Frauen sucht.
Jana Hensel, Autorin & Journalistin "Die Zeit"
"Mir war nicht klar, wie stark sie sich gelangweilt hat, in der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Mir war nicht klar, dass sie doch, glaube ich, sehr damit haderte, Wissenschaftlerin geworden zu sein. Es hat sie intellektuell gereizt, während des Studiums. Die Tätigkeit aber hat sie nicht ausgefüllt. Sie fängt dann an, diese Datsche zu kaufen in der Uckermark. Also, sie fängt schon an, sehr früh zu privatisieren, weil es für sie offenbar keine Frage war, das Land zu verlassen. Und dass sie dann, obwohl sie nie Oppositionelle war, dann nach dem Mauerfall in die Politik springt, das habe ich sehr gut verstanden."
Angela Merkel
"Ich lese mal…"
"Freiheit ist für mich, herauszufinden, wo meine Grenzen liegen", heißt es in ihrem Buch. So bricht sie auf. Sie will sich einbringen. Und sonst? Die schnelle Einheit. Zuerst landet sie beim Demokratischen Aufbruch. Dann in der CDU.
Dort ist den Parteifreunden West anfangs ihr Kleiderstil zu "grün" und alternativ. Doch als sie sich für die Vereidigung als Ministerin…
Angela Merkel
"Ja, ich schwöre es…"
…ein Kostüm kauft, fühlt sie sich "rgendwie ausstaffiert". Noch spricht sie offen über sich und die DDR. Bis sie 1992 bei einer Veranstaltung erwähnt, früher, in ihrem ersten Leben, mal eine Arbeit in Marxismus-Leninismus geschrieben zu haben – und die Journalisten sich sofort auf die Jagd machen…
Jana Hensel
"Angela Merkel beschreibt das als einen Moment, in dem sie verstanden hat, wie gefährlich es sein kann, zu viel über ihre DDR-Herkunft zu sprechen. Das ist bitter, ehrlich gesagt. Dass Angela Merkel so lange nicht über ihr Ostdeutschsein gesprochen hat, war keine private Entscheidung, sondern es war immer in Reaktion auf politische gesellschaftliche Zustände, und das ist tragisch. Es war nicht gut für das Land."
War Angela Merkel gut für das Land? Sie selbst sieht Fehler eher im Kleinen. Die großen Entscheidungen verteidigt sie: 2015 – eine humanitäre Notlage, die Europas hehre Worte von Menschenwürde prüfte.
Angela Merkel
"Für mich ging es nicht um einen Strom, sondern um Menschen. Ganz gleich, ob sie eine Chance hatten, bei uns zu bleiben oder nicht."
Auch in der Außenpolitik: Keine Fehler. Ob es um Russland geht oder Nord Stream 2. Deutschland habe das billige Gas schließlich gebraucht…
Angela Merkel
"Ich persönlich halte es auch im Rückblick für keinen Fehler. – Keinen Fehler? – Keinen Fehler."
Ralph Bollmann
"Aus ihrer Logik sind es Entscheidungen, für die es nachvollziehbare Gründe gibt. Das Problem ist ja immer da, wo es innenpolitisch was gekostet hätte: Bundeswehrreform, Energieversorgung, Bahn, Bürokratie – das ist die Schattenseite ihrer Kanzlerschaft oder der Preis, den wir auch als Land dafür zahlen, dass sie uns so viele Jahre der Stabilität beschert hat: Dass es jetzt eben so was wie einen Reformstau gibt."
Wenn’s hilft, solle man sagen, Merkel sei schuld, erwidert sie auf so etwas. Und verweist auf das Übliche – Sachzwänge, fehlende Mehrheiten, den Koalitionspartner. Als sei sie nicht die einst "mächtigste Frau der Welt" gewesen. Ihr Verhältnis zur Macht – ein Thema für sich aber keines im Buch. Da bleibt sie ganz merkelig. Und relativ undurchschaubar. Wie schreibt sie noch: "So eine Geschichte wie meine wird es nicht nochmal geben"
Jana Hensel
"Angela Merkel hat eine unglaubliche Spannbreite an politischen Einstellungen und Meinungen in sich vereinen können. Das hatte mit einer sehr großen Toleranz zu tun, aber auch, weil sie aus der Fremde kam, sozusagen in den Turm der Macht einzog und als Fremde wieder rausgeht. Und diese enorme Spannbreite, die findet sich in sehr wenigen Biografien. All diese Männer, die wir jetzt haben, werden immer nur für ein gewisses Milieu sprechen können. Merkel musste Milieus überschreiten, hinter sich lassen, um diesen Weg zu gehen, den sie gegangen ist."
Autor: Tim Evers