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Wie schauen syrische Künstlerinnen und Künstler, die seit Jahren bei uns leben, auf die Entwicklung in ihrem Heimatland? Und welche Wurzeln haben sie in Berlin und Brandenburg geschlagen? Wir haben unter anderem bei der Schriftstellerin Luna Ali und dem Filmemacher Liwaa Yazji und Firas Alshater nachgefragt.
Damit hat niemand gerechnet. Womöglich nicht einmal die HTS-Rebellen: Innerhalb weniger Tage stürzen sie das Regime des syrischen Diktators Bashar Al-Assad. Freude und Euphorie, in Damaskus und in Berlin, wo viele syrische Menschen auf den Straßen feiern.
Luna Ali
"Es ist so komisch von Glück zu sprechen, weil es das nicht genau beschreibt, sondern es ist vielmehr all der Schmerz, der tief begraben ist und den man sich so nicht erlaubt hat zu fühlen, der ist rausgekommen. Und das hat in irgendeiner Art und Weise eine Euphorie erzeugt und dann gleichzeitig auch zu sehen, dass alle anderen auch so glücklich sind und auch weinen und weil es, glaube ich, eben kein individuelles Ereignis ist, sondern ein wirklich kollektives."
Luna Ali wächst in Aleppo auf. Ihre Eltern politische Dissidenten in Syrien. Sie kommen nach Deutschland, als Luna acht Jahre alt ist. In ihrem Roman "Da waren Tage" erzählt sie eindringlich, wie die Ereignisse nach der gescheiterten Revolution von 2011 das Leben eines Syrers in Deutschland prägen.
Luna Ali
"Gerade wenn man eben in Deutschland aufwächst, aber eigentlich in Syrien geboren ist, sind diese Parallelitäten extrem stark und das fühlt man jetzt genauso. Also ich bin physisch hier aber ich bin auch in Gedanken woanders und das war eigentlich die letzten 13 Jahre der Fall."
Spontan organisiert Luna Ali eine Kundgebung. Sie will eine Rede halten, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen und die Befreiung Syriens zu feiern.
Luna Ali
"Obviously freue ich mich jetzt nicht, dass islamistische Kräfte an der Macht sind. Das bedeutet nicht unbedingt, dass ich jetzt zurückkehren kann. Das bedeutet nicht, dass Menschen, dass Minderheiten zurückkehren können, also, das steht ja komplett noch in Frage, wie es auch mit den Frauenrechten bestellt sein wird. Aber ich glaube, dass das alles Sachen sind, die sich Syrerinnen erst mal fragen müssen. Und es wäre schön, wenn alle einmal kurz sich so zurücktreten würden und dafür Raum bieten würden."
Für den Filmemacher Firas Alshater war der Sturz des Assad-Regimes ein emotionaler Moment. Er hat ihn in einem Video festgehalten.
"Über 13 Million Vertriebene und nur ein Mensch ist weg und jetzt 24 Millionen Syrer sind glücklich."
Firas Alshater
"Es war einfach so ein emotionaler Moment für mich, dass ich nie gedacht habe, dass ich das in meinem Leben vielleicht so erleben würde. Es ist so eine Mischung aus Hoffnung aber auch aus Freude, aus Frust, zu denken, warum hat er das nicht vor 14 Jahren gemacht, uns alles gespart, zu vertreiben und zu verhaften und zu foltern und diese Toten. Wenn er das vor 14 Jahren gemacht hätte, dann wäre alles anderes gelaufen, als wie es jetzt ist."
Firas Alshater studiert Schauspiel in Damaskus, arbeitet während der Revolution als Kameramann. Für seine regimekritischen Beiträge wird er verfolgt und gefoltert.
Firas Alshater
"Letztes Mal in Syrien war ich, genau gesagt, hier an meinem Tattoo zu sehen. Es ist tatsächlich am 12.10.2012, das war der Tag, als ich Damaskus verlassen musste, kurz nachdem ich aus dem Gefängnis entlassen wurde. Es ist tatsächlich für mich das erste Mal, seit ich jetzt aus Syrien geflüchtet bin, dass ich diese Gedanken habe. Ich kann einfach zurückgehen kann in meine Heimat ohne Angst zu haben, dass ich von irgendjemandem verfolgt werde."
Seinen Humor hat er sich bewahrt: In seinen YouTube-Videos versucht er, die Deutschen zu verstehen, oder lässt sich von Wildfremden am Alexanderplatz umarmen. Diese Offenheit zeigt sich auch bei den syrischen Feiern nach dem Assad-Sturz, wo er unzählige Menschen in die Arme schließt.
Firas Alshater
"Viele Menschen, die ich gar nicht kannte, habe ich die umarmt, geknuddelt und es war ein schönes Gefühl. Da kamen für mich viele Deutsche und haben gesagt, "ich war bei dem Mauerfall und das ist genau die gleiche Energie, dieses Gefühl, das ihr hier habt, fühle ich euch, ich freue mich für euch!". Und das ist eine der schönsten Momente, deswegen denke ich, darüber zu sprechen, hier auf dem Mauerweg, dass wollen wir, dass alle Syrerinnen in Freiheit und in Frieden leben."
Das wünscht sich auch Filmemacherin Liwaa Yazji. Sie arbeitet gerade an einem Film über die Rückkehr nach Syrien. Die Ereignisse der letzten Tage haben sie überwältigt.
Liwaa Yazji
"Ich würde mich einfach gerne hinsetzen und alles gleichzeitig mitbekommen, alles, was auf allen Kanälen gerade passiert. Es geht gerade alles so schnell, schneller als meine Gedanken sein können. Für mich ist es jetzt ein aktiver Moment, hinzusehen."
Was aus Syrien werde, könne gerade niemand sagen. Für Liwaa Yazji ist nur eins sicher:
Liwaa Yazji
"Wir haben keine Alternative als zu hoffen und zu arbeiten. Eine weitere Diktatur können die Syrer nicht ertragen, und schlimmer als bisher kann es nicht werden. Das ist unsere Hoffnung."
Luna Ali
"Ich stehe hier als die Tochter eines kurdischen Vaters und einer arabischen Mutter."
Auf dem Oranienplatz hält Luna Ali ihre Rede bei klirrender Kälte. Nur wenige sind gekommen zu der spontanen Kundgebung. Aber in der Botschaft ist man sich hier einig.
Luna Ali
"Daher will ich noch einmal sagen, "elf elf Mabruk": zu unserer aller Freiheit. Denn diese Freiheit, die dort gewonnen worden ist, gilt nicht nur für SyrerInnen, sondern auch für Menschen hier in Deutschland."
Autor: Max Burk