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Ruben Gerczikow ist Publizist und Aktivist, der sich in seiner Arbeit vor allem mit Antisemitismus im Fußball auseinandersetzt. Zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erzählt er uns die Geschichte seiner Großmutter, die durch eine kommunistischen Widerstandsgruppe aus dem "Ghetto Litzmannstadt" befreit wurde und in den polnischen Wäldern überlebte.
Für Ruben Gerczikow gibt es nicht den EINEN Gedenktag an die Shoah; die Erinnerung an den Massenmord an 6 Millionen Jüdinnen und Juden begleitet ihn 365 Tage im Jahr. Der Schmerz, sagt er, prägt sein Leben.
Wir treffen den Autor in Charlottenburg, im koscheren Café. Er versteckt sich, sein Jüdisch-Sein, nicht – das hat ihn auch die Geschichte seiner Großmutter gelehrt.
Ruben Gerczikow, Autor und Publizist
"Es hat mein Leben in der Art und Weise geprägt, dass ich relativ früh schon wusste, dass es Menschen gibt, die mich einfach aufgrund meiner Identität tot sehen möchten. Und es hat mich aber auch in dem Sinne geprägt, dass ich mich nicht unterkriegen lassen möchte."
Sein Vorbild: Eugenia Golda Nissenhaus – seine Oma. Sie hat die Shoah überlebt. Eine starke Frau, so hat sie auf ihn gewirkt.
Ruben Gerczikow, Autor und Publizist
"Es ist eigentlich ein Bild von einer ganz normalen Frau, wo man jetzt nicht sieht, dass sie seelische und körperliche Narben davongetragen hat."
Eugenia wurde 1918 in Lodz geboren. Sie ist im kommunistischen Widerstand, kommt als 22-Jährige ins Ghetto ihrer Heimatstadt. Dort wird sie von einem Aufseher misshandelt, verliert ein Auge. Wieso seine Oma ein Glasauge trägt, weiß Ruben früh. Vieles andere konnte sie ihm nie erzählen. Er war erst sechs, als sie stirbt.
Ruben Gerczikow, Autor und Publizist
"Ich wusste, dass sie, nachdem sie von einer kommunistischen Organisation aus dem Ghetto kurz vor eigentlich dem sicheren Tod befreit worden ist und dann den Krieg und die Shoah in den Wäldern Polens überlebt hat."
Im Ghetto lernt Eugenia ihren ersten Mann kennen und bekommt ein Baby. Dieses Kind hat in sie 1944 in ein Kloster gebracht, während sie sich im Wald versteckt. Der Vater gilt als verschollen. Später lernt sie ihren zweiten Mann kennen; auch er ein Shoah-Überlebender. Glücklich wirkt diese Familie in den 1950ern in Frankfurt – unsichtbar die Last ihrer Überlebens-Geschichten.
Ruben Gerczikow, Autor und Publizist
"Jede Überlebensgeschichte von Juden und Jüdinnen zu der Zeit ist unvorstellbar und das ist auch jedes Mal das Gefühl, wenn ich ein Konzentrationslager betrete, dass mir augenblicklich die Tränen über die Wangen rollen, weil dort etwas passiert ist, was eigentlich unvorstellbar ist."
Doch schon als Kind entdeckt Ruben Gerczikow etwas, das ihm Kraft gibt: Fußball! Er ist "100 Prozent Makkabi!", sagt er. Seine ganze Jugend kickt er in diesem jüdischen Verein.
Ruben Gerczikow, Autor und Publizist
"Ich würde sagen, ich war ein Kämpfer, so ein bisschen mit dem Siegeswillen, damit habe ich brilliert. Ich glaube, das hat auch meine technischen Mängel etwas ausgeglichen."
Das Team von Makkabi: seine Freunde. Jüdische und nicht-jüdische Kinder. Sie halten zusammen, egal was kommt!
Ruben Gerczikow, Autor und Publizist
"Ich hatte meinen ersten antisemitischen Vorfall in meinem Leben bei Makabi Frankfurt. Ich war fünf, sechs Jahre alt, da müsste das gewesen sein. Und das Wappen von Makabi Frankfurt ist auch angelehnt an den Davidstern und wir hatten ein Turnier außerhalb Frankfurts, und in der Pause kam ein Gegenspieler zu mir und fragte mich dann, ob wir Juden eigentlich Adolf Hitler mögen."
Antisemitische Beleidigungen und Übergriffe folgen. Ruben Gerczikow hat schnell gelernt darauf zu reagieren: Verbal und mit Muskelkraft, damals, wenn´s sein musste! Heute engagiert er sich gegen Antisemitismus, vor allem im Fußballstadion. Er dokumentiert rechtsradikale, antisemitische Hetze – nicht nur bei Spielen von Makkabi Berlin. Antisemitische Sprechchöre sind Alltag in vielen Stadien.
Gerade schreibt Ruben Gerczikow sein zweites Buch zum Thema. Die Präventionsarbeit in den Vereinen ist wichtig, sagt er. Jetzt hat der Überfall der Hamas auf Israel die Situation noch verschärft. Makkabi Berlin spielt unter Polizeischutz. Aber es gibt auch positive Signale.
Ruben Gerczikow, Autor und Publizist
"Nach dem siebten Oktober waren es vor allem Fußballvereine und Fußballfans, die mit Solidarität gegenüber den Geiseln, aber auch mit den jüdischen Communities in Deutschland geglänzt haben. Auch an der Stelle, wo vielleicht dezidiert politische Organisationen und Initiativen versagt haben."
Das Fußballstadion: ein Spiegel der Gesellschaft. Ruben Gerczikow ist ein genauer Beobachter, Mahner. So hat er in Charlottenburg auch rechtsextreme, antisemitische Sticker entdeckt – auch Drohungen gegen ihn persönlich.
Ruben Gerczikow, Autor und Publizist
"Auf dem einen Sticker steht, nachdem ich eben die Aktivitäten auf der Straße dieser Gruppe dokumentiert habe. Ruben und die Jagd nach den Nazi Stickern. Natürlich ein bisschen ein ungutes Gefühl, wenn der eigene Name dann auf Stickern im Wohnungsumfeld auftaucht."
Der Autor hat mehrmals Morddrohungen erhalten – Berufsrisiko, sagt er. Er lässt sich nicht einschüchtern – er tut es auch für seine Großmutter. Besonders jetzt, angesichts des Erstarkens der AFD und ihres rechtsradikalen Wahlprogramms.
Autorin: Petra Dorrmann