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Regina Steinitz war zehn Jahre alt, als sie mit ihrer Zwillingsschwester Ruth in das jüdische Kinderheim in der Fehrbelliner Straße 92 kam. Anders als die meisten ihrer Freunde haben sie und ihre Schwester die Shoah überlebt. Sie hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, an ihre Freunde zu erinnern.
Regina Steinitz, Zeitzeugin
"Ich bin geboren in Berlin 1930, mit meiner Zwillingsschwester. Unsere Familie hat sich sehr gefreut, die Zwillinge, die beiden Püppchen aus der Auguststraße. Wir hatten eine schöne Kindheit, solange mein Vater noch da war, war alles normal. Aber mein Vater zu seinem Glück, das war natürlich ein fantastisches Glück, er hat Deutschland verlassen am Anfang von 1938."
Regina Steinitz, Zeitzeugin
"Ich habe mich danach immer geärgert, sehen Sie, das ist, dass Menschen diese Zeit nicht verstehen können. Da sind Leute, die mir gesagt haben: Wie konnte dein Vater euch verlassen, wie schrecklich und euch und die ganze Familie hinterlassen? Na das konnte nun wirklich nur bei Hitler passieren.
Wir haben verstanden in Berlin: Erst holt man die Männer ab. Nicht die Kinder und nicht die Frauen. Und wer hätte glauben können damals, dass man Frauen und Kinder auch abholen tut? Und sogar vergasen wird? Der Gedanke ist niemandem gekommen. Meine Mutter ist gestorben, siebter Januar 1940. Und wir sind dann in das jüdische Kinderheim gekommen, Fehrbelliner Straße 92.
Ein Monat nach dem Tod meiner Mutter. Und wir sind dort beide in den Betten gelegen und meine Mutter stand uns vor Augen. Wir sind sehr nett aufgenommen worden. Wir wurden in ein Zimmer gebracht, wo acht Mädchen lagen und jeder so ein Schicksal hatte wie wir.
Diese Leute leben nicht mehr, sind umgebracht worden. Dass wir leben, die anderen leben nicht, das ist eine Sache, die einen belastet.
Sie können nicht mehr sprechen. Ich bin ihr Sprecher und erzähle, wer sie waren und was für Menschen sie waren.
Zum Beispiel der Ernstel und der Herbert Czerniak, zwei ganz süße Zwillinge. Wir haben mit denen am Tage gespielt und die waren sehr geliebt. Sie sind mit sechs Jahren nach Riga gebracht worden, den nächsten Tag in den Wald gefahren worden und erschossen.
Ich habe gedacht, alle wurden in Auschwitz getötet. Das war hier in dem Fall nicht wahr. Aber ich spreche über die Ruth und Thea Fuß. Wir wurden alle zu Schwestern. Das war kein, also wir liebten uns alle gegenseitig und wir spielten zusammen, wir lasen Bücher zusammen, wir machten Schularbeiten zusammen, wir räumten alle das Haus auf zusammen. Alles wurde zusammengetan. Und ich konnte es dann gar nicht begreifen, als ich hörte, dass die sind da erschossen worden, in diesem Wald in Riga.
Ich hoffe, dass sie die zwei Jungs auf die Arme genommen haben und zusammen erschossen wurden, weil die die zwei Jungs so gut kannten und liebten auch.
Plötzlich wurden wir gerufen. Und mein Onkel und wir haben uns umarmt, mein Onkel hat gesagt: Sie sehen doch, das sind meine Nichten. Ich heiße Robert Anders, und die heißen Regina und Ruth Anders. Das sind die Kinder von meiner Schwester, die wissen gar nicht wer der Vater war. So sind wir ja heraus."
"Ich bin hundertmal gestorben und einmal am Leben geblieben."
Autor:innen: C. Thalmann, J. Riedhammer, M. Röder