Teller mit Lachs, Bohnen, Wakame und Salat (Bild: unsplash/Louis Hansel)
Bild: unsplash/Louis Hansel

Interview l Essen & Fasten gegen chronische Krankheiten - Entzündungen lindern durch Ernährung

Ernährung und Gesundheit hängen eng zusammen - nicht nur bei Übergewicht, der Zuckerkrankheit oder Bluthochdruck. Eine Ernährung mit viel Gemüse und wenig tierischen Fetten lindert auch chronische Entzündungen. Und: Wer eine Zeit lang mal gar nicht isst, dem kann es gelingen, entzündliche Erkrankungen wie Rheuma zumindest für eine Weile ganz zu stoppen.

Herr Prof. Michalsen, wie bedeutsam sind entzündliche Erkrankungen bei Ihnen im Immanuel-Krankenhaus?
 
Sie machen den Großteil unserer Behandlungen aus. Wir haben sehr, sehr viele Patienten beispielsweise mit rheumatischen Erkrankungen, viele mit einer aktivierten Arthrose. Auch Entzündungen des Darms wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa spielen eine Rolle.

Entzündungen treten aber generell bei sehr vielen chronischen Erkrankungen auf - von der Arterienverengung über Diabetes und Alzheimer bis zu den über 100 Autoimmunerkrankungen. Bei vielen können wir mit gezielter Ernährung einiges bewirken.

Gibt es Unterschiede zwischen akuten Entzündungen - wie einer Halsentzündung - und beispielsweise Rheuma, das chronisch ist?
 
Die klassische Entzündung bei einer Wunde oder Erkältung ist eine gesunde Abwehrreaktion des Immunsystems auf Krankheitserreger. Sie ist erwünscht, um die Erreger zu bekämpfen.
 
Davon müssen wir eine unterschwellige, stille oder stumme Entzündung abgrenzen, die sogenannte Low-Grade-Inflammation oder Silent Inflammation. Sie lässt sich schlecht diagnostizieren, bleibt daher oft lange unbemerkt und heilt selten von selbst aus.
Diese Schwelbrände im Körper sorgen für Volkskrankheiten wie Diabetes oder eben die Autoimmunerkrankungen wie Rheuma oder multiple Sklerose.

Wie begünstigen bzw. verhindern bestimmte Nahrungsmittel Entzündungen?
 
Ernährung wirkt auf vielen Wegen. Wir wissen schon länger, dass Arachidonsäure und gesättigte Fettsäuren Ausgangssubstanzen für zahlreiche Botenstoffe sind, die Entzündungen fördern.
Sie sind in Fleisch und vor allem in Wurst enthalten. Auch tierische Proteine, Getreide und Süßigkeiten erhöhen den Säuregehalt in Blut und Gewebe. Zucker wiederum fördert Entzündungen über hormonelle Wege.
 
Dagegen haben viele der über 1000 Pflanzenstoffe eine natürliche antientzündliche Wirkung. Diesen positiven Effekt kennen wir auch von Ballaststoffen, die von den Mikroben im Darm verstoffwechselt werden.

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Was bekommend Patientinnen und Patienten bei Ihnen in der Klinik zu essen?
 
Bei uns im Immanuel Krankenhaus setzen wir Patienten mit Arthrose oder Rheuma auf eine pflanzenbetonte Ernährung: Bei der sogenannten laktovegetabilen Kost stehen Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte, Vollkorngetreide im Mittelpunkt. Milchprodukte sind in kleinen Mengen erlaubt.
 
Dazu kommen speziell empfohlene Nahrungsmittel wie Leinsamen, Nüsse oder Rapsöl mit einem hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäuren. Sie sind Gegenspieler der Arachidonsäure und sorgen dafür, dass der Organismus weniger entzündliche Botenstoffe bildet.

Gibt es dafür wissenschaftliche Beweise?
 
Für einige Erkrankungen verfügen wir mittlerweile über gute Studien. Rheuma beispielsweise: Wir wissen, dass neben genetischen Faktoren, Rauchen und Übergewicht eben auch die Ernährung das Krankheitsrisiko erhöht.
Vor allem rotes Fleisch, zu viel Eiweiß, gesättigte Fette - das begünstigt Schmerzen und Entzündungen.
Leinöl, Nüsse und gute Öle mit einem hohen Gehalt an Omega-3- und Omega-9 Fettsäuren und ungesättigten Fettsäuren senken sie. Fisch ist theoretisch auch gesund, ich empfehle ihn aber nicht mehr wegen der Überfischung der Meere und der Metall- und Mikroplastikbelastung.
 
Bei vielen Patienten wirkt eine Kost, wie wir sie empfehlen, ähnlich gut wie eine Schmerztherapie mit Ibuprofen oder Diclofenac.

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Gibt es Lebensmittel, zu denen Sie guten Gewissens raten?
 
Sie können so viel Gemüse essen, wie Sie wollen - als Rohkost oder gegart. Vor allem grünes Blattgemüse wie Spinat, Mangold oder Portulak enthält viele sekundäre Pflanzenstoffe, von denen wir wissen, dass sie entzündungshemmend wirken.
Auch zuckerarmes Obst wie rote und blaue Beeren sind gesund. Omega-3-Fettsäuren in pflanzlichen Ölen haben ebenfalls einen antientzündlichen Effekt, besonders bei rheumatischen Erkrankungen.
 
Essen Sie auch reichlich Ballaststoffe, also Vollkorn, Getreide, Wurzelgemüse. Die guten Darmbakterien können Sie auch mit fermentierten Produkten wie Joghurt oder Sauerkraut unterstützen.

Im Immanuel Krankenhaus lassen Sie Patienten und Patientinnen fasten - also das Gegenstück von Ernährung.
 
Fasten hat einen stark entzündungshemmenden Effekt. Heilfasten nach Buchinger oder Getreideschleimfasten kurbelt den Stoffwechsel an und aktiviert die Selbstheilungskräfte. Wer regelmäßig fastet, tut seiner Gesundheit Gutes und lebt nachweislich länger.
 
Wichtig ist es dabei, dem Körper geringe Mengen an Kalorien zur Verfügung zu stellen, damit sich die Muskeln nicht abbauen. Der gute Effekt erklärt sich durch die Zellreinigung, die Autophagie, die beim Fasten stark angekurbelt wird. Außerdem wird das Mikrobiom positiv beeinflusst [Anm. d. Red.: Mikroorganismen, die den menschlichen Körper besiedeln, vor allem den Darm].
Und natürlich führen Sie dem Körper in der Zeit kein schädlichen Fette zu.

Kann das jeder alleine für sich machen oder sollten sich die Leute ärztlich begleiten lassen?
 
Wir empfehlen bei Vorerkrankungen mit Medikamenteneinnahme auf jeden Fall eine ärztliche Begleitung - zumindest beim ersten Mal Fasten. Teilweise müssen Arzneimittel in der Dosis reduziert werden. Wir achten in der Klinik auch darauf, dass die Leute genug trinken. Wir kontrollieren teilweise die Harnsäure, um Gichtanfällen vorzubeugen.
 
Die Begleitung muss nicht zwingend in einem Krankenhaus erfolgen, das könnten auch Hausärzte machen. Allerdings gibt es bislang noch nicht so viele gute ambulante Möglichkeiten.

Welche Rolle spielen Gewürze bei der Behandlung von Entzündungen?
 
Gewürze wirken durch ihre ätherischen Öle, Vitamine und Pflanzen- und Scharfstoffe wie Medizin. Vor allem solche mit intensivem Duft, Geschmack oder Farbe sind sehr wirksam.
 
Beispielsweise enthalten Kurkuma, Ingwer und Chili, schwarzer Pfeffer und roter Ginseng viele sekundäre Pflanzenstoffe, die eine antientzündliche Wirkung haben. Das in Kurkuma enthaltene Curcumin kann Studien zufolge Beschwerden bei Arthrose oder Schuppenflechte lindern. Mittlerweile gibt es den Wirkstoff übrigens auch als Tablette in der Apotheke.

Welche Dosis empfehlen Sie?
 
Sie sollten Gewürze und Kräuter großzügig verwenden - einfach beim Kochen ein paar Esslöffel dazu geben. Orientieren Sie sich am besten an der asiatischen Küche, vor allem der indischen.

Wie schätzen Sie Nahrungsergänzungsmittel ein?
 
Für mein Verständnis macht es keinen Sinn, einzelne Substanzen hochdosiert als Nahrungsergänzungsmittel zu konsumieren. Die Natur versorgt uns mit dem idealen Mix. Dort findet man nie einen molekularen Wirkstoff alleine, sondern immer eine Kombination aus verschiedenen Stoffen.
 
Und genau das scheint ausschlaggebend zu sein: Nicht die extrahierte Einzelsubstanz ist wirksam, sondern die Naturstoffe in ihrer speziellen Zusammensetzung. Werden die Pflanzenstoffe gemeinsam mit Ballaststoffen vom Darm-Mikrobiom verstoffwechselt, entsteht die beste Gesamtwirkung.

Sie führen immer wieder klinische Studien durch. Was untersuchen Sie derzeit?
 
Wir schauen aktuell bei Patienten mit Rheuma, wie sich Fasten bei ihnen auf die Entzündungswerte und das Darmmikrobiom auswirkt. Der antientzündliche Effekt des Fastens hält mehrere Wochen bis Monate an, bis er nach einer Weile wieder nachlässt. Wir vermuten, dass das mit dem Darmmikrobiom zusammenhängt und möchten das gern genauer verstehen. Für die Studie suchen wir noch Patienten - wer Lust hat, kann sich also melden.

Herr Prof. Michalsen, danke für das Gespräch!
Das Interview führte Constanze Löffler

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Bei der WHO schätzen Experten: 50 bis 70 Prozent der chronischen Erkrankungen sind ernährungsabhängig. Mittlerweile wissen wir, was uns gesund hält: Obst und vor allem Gemüse, Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte, Kräuter und Gewürze sowie wenig Salz. Ein sparsamer Umgang mit Fleisch und magere Milchprodukte.

Kurzum: viele Ballaststoffe, Eiweiß in Maßen, wenig tierische Fette und stattdessen pflanzliche. Dazu einheimische Öle, die viele Omega-3-Fettsäuren enthalten: Raps-, Lein-, Walnuss- und Sojaöl.
All das vereint die mediterrane Kost: Neben der Prävention von Herzleiden ist sie auch wirksam gehen Diabetes, Rheuma, Bluthochdruck, Nierenleien und sogar Demenz.

Quelle: "Mit Ernährung heilen", S. 138 und 144 ff. von Prof. Dr. Andreas Michalsen, Insel Verlag 2019 (TB-Ausgabe: 2021)

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