Hände halten Puzzleteile aneinander (Bild: imago/Panthermedia)
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Interview l Handicaps in der Arbeitswelt: Autismus - "Ich höre die Mücke an der Wand"

Diversität in der Arbeitswelt - sie soll auch für neurodiverse Menschen gelten. Dazu gehören z.B. Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung, mit ADHS oder ADS, mit Legasthenie oder Dyskalkulie. Vor allem Autisten werden oft als nicht teamfähig und weniger produktiv eingeschätzt - und nicht eingestellt. Davon kann auch Sascha Dietsch berichten.

Menschen aus dem Autismus-Spektrum nehmen die Welt anders wahr und verarbeiten Sinnesreize aus der Umgebung anders, als die Mehrheit, also neurotypische Menschen. Das führt dazu, dass die Welt für Menschen mit Autismus schnell durch Sinneseindrücke überladen wirken kann.

"Reizüberflutung kann durch mein Gehör entstehen"

"Wie Autisten die Welt wahrnehmen? Da möchte ich aus einem Artikel zitieren, den ich vor ein paar Monaten gelesen habe: 'Es ist einfach ein anderes Betriebssystem'.
Einige Dinge funktionieren bei mir oder bei anderen aus dem Autismus-Spektrum genauso wie bei den neurotypischen Menschen, also bei Leuten, die eine normale Gehirnvernetzung haben. Aber andere Teile funktionierten komplett anders. All das, was neurotypische Menschen intuitiv lernen, zum Beispiel Witze, Redewendungen oder Ironie - das nimmt mein Gehirn als etwas ganz Rationales wahr.
Wenn mir jemand einen Witz erzählt, kann das für mich so ablaufen: Ich nehme normalerweise alles wörtlich. Bis ich merke: Das kann von der Logik her nicht so sein. Dann frage ich mich: Wie kann das denn gemeint sein?
 
Wenn viele Umgebungsreize ungefiltert auf mich einprasseln, dann kann mich das so sehr anstrengen, dass ich keine Energie mehr habe, um zu Kompensieren und dann komme ich in eine Überforderung. Solch eine Reizüberflutung kann zum Beispiel durch mein Gehör entstehen. Ich höre sozusagen die Mücke an der Wand. Wenn da zu viele Reize kommen, kann es mich umhauen.
 
Im Prinzip ist dann ein Neustart des kompletten Betriebssystems notwendig, weil alles ist wie überflutet. Das kommt aber sehr selten vor. Wenn ich aber in diesen Bereich komme, muss ich sofort raus aus der Situation, am besten in einen Ruheraum.
Manchmal kann man das vorher noch merken und sich zurückziehen. Wenn es nicht anders geht, gehe ich auf eine Toilette. Ich habe gelernt, wie ich mich dann runterregulieren kann: Ruhig atmen oder einen Stressball kneten."

Hintergrund: Neurodiversität

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"Ich wurde gemobbt"

"Meine Eltern konnten mich nur mit Hilfe eines Anwalts auf eine normale Grundschule schicken. Ich galt wegen meiner autistischen Störung als unbeschulbar. Es gab viele Probleme, ich wurde in der Schule von anderen Schülern gemobbt.
Vom Jugendamt bekam ich schließlich einen Schulbegleiter zur Seite gestellt. Nach dem Realschulabschluss wechselte ich auf ein berufliches Gymnasium mit Schwerpunkt IT und habe gemerkt: Das macht mir Spaß."

Menschen aus dem Autismus-Spektrum wird ein ausgeprägtes logisches Denkvermögen zugesprochen, ein gutes Auge für Details und eine geringe Toleranz gegenüber Fehlern. Sie können meist soziale und emotionale Signale schwerer einschätzen und haben umgekehrt Probleme, diese auszusenden.

"Autismus ist für mich ein Vorteil"

"Dass alle Autisten sich für IT interessieren und eignen - das ist ein Klischee. Auch dass sie manche Berufe nicht ausüben können. Ich kenne Autistinnen, die in einem Kindergarten als Betreuerinnen gearbeitet haben oder in einem Callcenter.
 
Wir Menschen aus dem autistischen Spektrum sind bei einigen Dingen sehr gut. Ich bin sehr gut in IT-Sicherheit, weil es mich persönlich interessiert. Viele Autisten haben ein Spezial-Interesse und sie beschäftigen sich damit täglich sehr intensiv. Und deswegen sind sie auch so gut darin.
 
Autismus ist für mich definitiv ein Vorteil, es macht mich einzigartig. Natürlich ist es auch mit Herausforderungen verbunden. Aber ich kann Dinge rational angehen komme dann dementsprechend zu Lösungen. Ich versuche nicht unbedingt mich auf emotionaler Ebene damit rumzuschlagen."

Nach einem Praktikum bei SAP schreibt Sascha Dietsch nun dort seine Masterarbeit. Im Konzern gibt es seit 2013 das Programm "Autism at Work", um autistische Menschen zu integrieren. Über 40 Menschen aus dem autistischen Spektrum sind bei SAP an den Standorten in Deutschland beschäftigt - vom Bereich Software-Entwicklung über Service & Support bis hin zur IT-Security.
 
Wie kommen Arbeitnehmer aus dem autistischen Spektrum mit dem Arbeitgeber SAP zusammen - und wie arbeiten sie zusammen?

Stefanie Lawitzke, Leiterin des Programms Autism at Work: "Grundsätzlich ist es so, dass wir autistische Menschen einstellen, weil es sehr gut ausgebildete Kollegen sind und da gibt es keinen Grund, sie nicht einzustellen.
 
Wir unterstützen autistische Menschen schon beim Bewerbungsprozess: Um die Angst und den Druck zu reduzieren schicken wir ihnen vorab den Ablauf des Gesprächs. Wir achten sehr genau darauf, ob ein Job zum Bewerber passt, auch in Bezug auf das Team und die Büroräume. Zusätzlich machen wir ein Teamtraining, in dem es um Autismus-Theorie geht, oder um unterstützende Dinge, die ein autistischer Kollegen braucht.
 
Neuen Mitarbeitern wird ein sogenannter Buddy aus dem Team zur Seite gestellt, als ständiger Ansprechpartner. Meist profitieren auch die Nicht-Autisten von ihren Teamkollegen, zum Beispiel ganz profan, dass Meetings pünktlicher beginnen oder enden oder dass es ein festes Protokoll gibt. Denn das ist Menschen aus dem autistischen Spektrum oft wichtig."

Arbeitgeber brachen ab, als sie "Autismus" hörten

"Bevor ich zu SAP kam, habe ich mich auch in anderen Unternehmen beworben. Das Vorstellungsgespräch wurde von den Arbeitgebern abgebrochen, als diese das Wort "Autismus" hörten.
 
Bei SAP bin ich nun seit 2019. Im Moment arbeite ich wegen Corona leider nur im Homeoffice. Normalerweise sitze ich mit acht Kollegen im Büro. Es ist ein relativ ruhiges Örtchen am Ende eines Ganges. In meinem Forschungsteam bin ich der einzige Autist. Die Firma hat mir als individuelle Hilfe unter anderem spezielle Kopfhörer gestellt, wegen meiner empfindlichen Ohren. Ich hatte mit den Kolleginnen und Kollegen schon Teamschulungen, wo ich meine besonderen Spezifika erklärt habe."

"Nicht jeder Autist lernt Telefonbücher auswendig"

"Man begegnet leider immer noch sehr vielen Vorurteilen, etwa dass alle Autisten wie in dem Film Rain Man das Telefonbuch auswendig können. Es gibt Leute, die das können, aber ich kann das nicht.
 
Dann heißt es, dass wir Autisten total unsozial wären, auch das ist nicht korrekt. Privat treffe ich mich mit neurotypischen und auch neurodiversen Menschen. Wenn nicht gerade Corona wäre, würde ich Standard-Latein tanzen. Das ist zwar auch etwas schwieriger als Autist - wegen der emotionalen Komponente - macht mir aber sehr viel Spaß.
 
Es heißt, dass Autisten nicht empathiefähig sind. Das ist ein Klischee. Wir kriegen es nicht immer mit, aber wir haben natürlich auch Gefühle. Ich habe schon des Öfteren mal an den Kopf geworfen bekommen: Du bist so gefühllos. Vielleicht einfach, weil ich nicht so reagiert habe, wie es in den ungeschriebenen Normen für Neurotypische drinsteht.
 
Man muss natürlich auch selbst als Autist daran arbeiten, dass man in die Normalität reinpasst, aber nicht seine Persönlichkeit verkrümmen. Was ich mir von nicht-autistischen Menschen wünschen würde: einfach mal etwas mehr Empathie gegenüber Autisten."

Das Interview führte Carola Welt

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