Einsatz von Opioiden mit ärztlicher Anleitung - Opioide als Schmerzmittel: Fluch oder Segen?
Opioide können für Menschen mit starken Schmerzen eine echte Hilfe sein. Aber es ist auch Vorsicht geboten. Denn bei unsachgemäßem Gebrauch oder ohne ärztliche Begleitung können Opioide problematisch sein. Die rbb Praxis hat mit dem Leiter der Schmerzmedizin an der Universitätsmedizin Göttingen, Frank Petzke gesprochen, was beim Einsatz von Opioiden zu beachten ist.
Prof. Dr. Petzke, bei welcher Form von Schmerzen helfen Opioide?
Es gibt sehr gute Gründe, diese starken Schmerzmittel zu bekommen. Einer ist bei akuten Schmerzen gegeben, zum Beispiel im Rahmen von Operationen. Ein anderer bei Schmerzen im Rahmen einer Krebserkrankung, die mit dem Fortschreiten des Tumors zusammenhängen. In diesen Fällen sind Opioide sehr gut wirksam. Chronische nicht-tumorbedingte Schmerzen sind eine weitere Indikation für Opioide. Hier ist die Wirksamkeit allerdings insgesamt etwas schlechter und kritischer einzuschätzen.
Bei welcher Form von Schmerzen helfen sie nicht?
Bei chronischen Schmerzen gibt es Schmerzsituationen, die überwiegend durch eine psychiatrische Erkrankung verursacht werden, wenn zum Beispiel bei einer Depression Schmerzen ein führendes Symptom sind. Da helfen Opioide nicht gut. Es gibt auch Schmerzen wie beim Fibromyalgiesyndrom mit generalisierten Schmerzen am ganzen Körper, wo Opioide wenig bis gar nicht helfen. Hier gibt es sowohl für eine kurze als auch für eine längerfristige Wirkung keine Daten, die einen Nutzen für die betroffenen Patienten zeigen. Bei Kopfschmerzsyndromen, wie dem Spannungskopfschmerz oder der Migräne kann mit Opioiden zwar eine kurzzeitige Wirkung eintreten, aber in der Langzeitbehandlung führt das zu erheblichen Schwierigkeiten mit Wirkverlust und dem Risiko einer Abhängigkeit. Es gibt also viele chronische Schmerzbilder wo Opioide keine gute bis gar keine Wirkung haben.
Welche Alternativen gibt es in der Schmerzbehandlung?
Wenn man weg von den Medikamenten geht, ist es wichtig auf die körperlichen und psychosozialen Faktoren zu schauen. Wir versuchen heute, uns durch eine gemeinsame medizinische, physio- und psychotherapeutische Beurteilung der Patienten den individuellen Schmerzursachen zu nähern. Bei vielen Krankheitsbilder mit chronischen Schmerzen, sind es vor allem die Kombination psychologischer und funktionellere Faktoren, wie eine Angst vor Bewegung mit Verlust wichtiger muskulärer Funktionen oder ein ausgeprägtes Durchhalten mit körperlicher Überbelastung, die im Vordergrund stehen. Diese Veränderungen sind nicht gut medikamentös zu behandeln, sondern eher mit physio- und psychotherapeutischen Methoden. Ziel ist dabei, einen besseren Umgang mit dem Schmerz und den eigenen körperlichen und seelischen Anteilen zu erlernen. Medikamente und auch Opioide können dann insbesondere als Unterstützung bei diesen Behandlungen durchaus nützlich sein.
Welche Gefahren gibt es bei unsachgemäßem Umgang von Opioiden?
Wenn man akut eine große Menge Opioide einnimmt, kann das lebensgefährlich sein, weil es zum Beispiel zu einer Verlangsamung der Atmung kommt. Wenn dagegen Opioide nach ärztlicher Anweisung langsam eindosiert und auch längerfristig eingenommen werden ist die Anwendung sicher, aber es gibt eine ganze Reihe von Nebenwirkungen. Das kann eine Übelkeit sein, die sich aber meistens bessert. Verstopfung kommt häufig vor, ebenso wie Müdigkeit. Wichtig ist, dass eine Situation mit guter Wirkung und tolerablen Nebenwirkungen erreicht werden kann. Nur dann sollte eine Behandlung längerfristig durchgeführt werden. Problematisch wird es, wenn man merkt, dass im Laufe der Opioid-Behandlung die Wirkung nachlässt. Man muss also die Dosis steigern, um den gleichen Effekt zu erzielen. Wenn ein Patient ein langjähriges Schmerzsyndrom vor sich hat, ist das keine sinnvolle Maßnahme: Denn wenn die Dosis steigt, steigen meist auch die Nebenwirkungen und der Patient kommt in einen Teufelskreis. Opioide haben bei einigen Patienten deutlich positive psychische Effekte, im Sinne einer Euphorisierung und Stressentlastung. Wenn das der eigentliche Grund wird, die Opioide zu nehmen und die Schmerzlinderung als Wirkung in den Hintergrund tritt, besteht das Risiko für eine Abhängigkeit und Suchtentwicklung. In beiden Situationen ist dann eine Reduktion und langsames Absetzen der Opioide die richtige Maßnahme
Entwickelt man bei Opioiden eine physische oder psychische Abhängigkeit?
Wenn man Opioide länger nimmt, kann auf jeden Fall eine körperliche Abhängigkeit entstehen. Diese ist nicht gleichzusetzen mit einer Sucht. Wenn man das Opioid plötzlich weglässt, kann es sein, dass man typische und meist unangenehme Entzugserscheinungen, wie Unruhe, Schwitzen, Durchfall und auch starke Schmerzen bekommt. Diese Gewöhnung ist etwas, was zu einer Opioidbehandlung dazu gehören kann und mit dem Arzt besprochen werden muss. Man kann Opioide aber grundsätzlich wieder gut ausschleichen und absetzen. Wichtig ist nur, dass es langsam und unter ärztlicher Begleitung erfolgt. Auch die Entwicklung einer psychischen Abhängigkeit ist möglich, aber deutlich seltener.
Wie kann man bei einer Opioidbehandlung die Nebenwirkungen und auch eine mögliche Suchtgefahr so gering wie möglich halten?
Die Suchtgefahr ist geringer, wenn die Behandlung ärztlich gut begleitet wird, die Indikationen und Kontraindikationen für Opioide beachtet, und die Wirksamkeit im Verlauf kritisch geprüft wird. Es ist wichtig, von Anfang an zu besprechen, was der Patient mit den Opioiden erreichen will. Das heißt, nicht nur zu berücksichtigen, ob die Schmerzintensität nachlässt, sondern ob man im Alltag wieder aktiver sein kann und für einen selbst wichtige Tätigkeiten wieder möglich sind. Das wären Ziele, die Arzt und Patient gemeinsam überlegen. Dann sollte im Verlauf der Opioidtherapie genau beobachtet werden, ob diese Ziele erreicht werden oder Nebenwirkungen und Probleme, wie zum Beispiel eine eigenständige Erhöhung der Dosis durch den Patienten. Und wenn im Vorfeld schon festgelegt wurde, was man bei einem solchen versagen der Therapie macht, trotz einer Dosisanpassung oder einem Wechsel auf ein anderes Opioid, ist es für Arzt und Patient klar, das Opioid wieder langsam abzusetzen und auszuschleichen. Dann kann die Entwicklung einer Sucht oder Abhängigkeit vermieden werden.
Es gibt eine neue Leitlinie für die Behandlung mit Opioiden – was sind die Kernpunkte?
Das ist eine sogenannte S3-Leitlinie. Das ist insofern wichtig, weil eine breite Gruppe von ärztlichen Fachgebieten wie Schmerz- und Allgemeinmediziner, Orthopäden und Internisten, aber auch Physiotherapeuten, Psychologen und Patienten an der Erstellung mitbeteiligt sind. Außerdem wurde die Literatur zur Wirksamkeit und Nebenwirkungen überprüft und Empfehlungen für eine gute klinische Praxis einer Behandlung mit Opioiden entwickelt. Damit steht, aus meiner Sicht, ein wichtiges Instrument für die praktische Behandlung zur Verfügung. Die zentralen Botschaften sind auch in einer Patientenversion beschrieben, die zum Beispiel über die Risiken und den Nutzen einer Opioidbehandlung aufklärt.
Vielen Dank für das Gespräch, Prof. Dr. Petzke.
Das Interview führte Laura Will.