Handgemachtes aus der Apotheke - Welche Medikamente Apotheker herstellen dürfen
Nach zwei Todesfällen in Köln wegen eines verunreinigten Glukosemittels stehen "handgemachte" Medikamente im Fokus. Dabei ist die Herstellung von Medikamenten für Apotheker Alltag. Welche Vorgaben sie dabei beachten müssen und welche Kontrollen es dabei gibt, erklärt die Präsidentin der Apothekerkammer Berlin, Dr. Kerstin Kemmritz.
Aus einem harmlosen Test wird ein Alptraum: Eine werdende Mutter aus Köln besorgte sich in einer Apotheke einen Diabetestest - einen Glukosemix, nicht abgepackt, sondern in der Apotheke abgefüllt. Doch der ist verunreinigt - mit einem Toxin. Die Mutter und das per Notkaiserschnitt zur Welt gebrachte Kind sterben an Organversagen. Die betroffene Apotheke und weitere Filialen in Köln werden geschlossen. Wo genau es zur Verunreinigung kam, ist noch unklar.
Trotzdem wirft der Fall bei vielen Menschen Fragen auf: Unter welchen Bedingungen werden Medikamente in der Apotheke hergestellt?
Frau Dr. Kemmritz, wie oft stellen Sie in Ihrer Apotheke Medikamente her?
Ich habe eine kleinere Apotheke, da ist es im Durchschnitt eine Rezeptur pro Tag, also manchmal gar nichts und an einem anderen Tag drei oder vier. Generell stellen Apotheken sehr häufig individuelle Arzneimittel her, jedes Jahr über 13 Millionen Rezepturen.
Welche Medikamente darf eine Apotheke herstellen?
Das ist in einem eigenen Gesetz festgelegt, in der sogenannten Apothekenbetriebsordnung. Wir dürfen alles herstellen, was mit der typischen Ausstattung einer Apotheke möglich ist, im Allgemeinen sind das Salben, Cremes, Lösungen, Suspensionen, Gele. Aber wir stellen auch Kapseln her zum Einnehmen oder Teemischungen. Einige Apotheken fertigen auch Parenteralia, also steril herzustellende Arzneimittel, Augentropfen oder Zytostatika an.
Wie sicher sind solche Medikamente in der Regel?
Durch die umfangreichen Vorgaben und Prüfmethoden sind das sehr sichere Arzneimittel. Das was mit der Glukosemischung in Nordrhein-Westfalen passiert ist, ist absolut schrecklich. Mit dem normalen Menschenverstand können wir Apotheker nicht verstehen, warum in diesem Fall etwas so Schlimmes passiert ist, weil es sogar nur eine Abfüllung ist, das heißt man hat einen riesigen Bottich mit fünf Kilogramm Glukose und aus dem werden ein paar Milligramm genau abgefüllt. Man muss nur genau abwiegen, da wird gar nichts gemischt, sodass man da auch nichts verwechseln kann. Die Polizei ermittelt ja auch, ob es einen Vorsatz gab.
Wie läuft die Herstellung eines solchen Produktes im Normalfall ab?
Das ist ganz streng gegliedert und vorgegeben. In einer Apotheke dürfen das nur Leute mit den entsprechenden Fachkenntnissen, das heißt pharmazeutisches Personal, also Apotheker oder pharmazeutisch-technische Angestellte. Und es gibt, wie in jedem anderen Herstellungsbetrieb, eine Herstellungsanweisung, die von einem Apotheker erstellt und freigegeben werden muss. Die richtet sich unter anderem nach den Regeln des deutschen oder europäischen Arzneibuchs. Nach dieser Herstellungsanweisung wird dann entsprechend angefertigt.
Nach welchen Standards werden in Apotheken Arzneimittel hergestellt und kontrolliert?
Es wird im vier-Augenprinzip kontrolliert und die gesamte Herstellung auch dokumentiert. Nach der Herstellung muss das Arzneimittel noch mal durch einen Apotheker freigegeben werden - es wird also noch einmal kontrolliert, ob das alles plausibel ist und ob das Produkt vom Augenschein her vernünftig aussieht.
Das Prozedere wird wiederum regelmäßig von einem offiziellen Pharmazierat kontrolliert, der sich vergewissert, dass in der Apotheke auch alle Standards eingehalten werden. Dann muss eine Apotheke auch noch regelmäßig an externen Qualitätsüberprüfungen teilnehmen, sogenannten Ringversuchen, bei denen auch noch einmal geprüft wird, ob alles so läuft, wie es sein soll. Es gibt also interne und externe Kontrollen.
Welche Sanktionen gibt es, wenn Standards nicht eingehalten werden?
Je nach Umfang geht das los bei einfachen Ordnungswidrigkeiten, bis hin zur Schließung einer Apotheke. Es sind drastische Mittel, die da zu Recht möglich sind.
Gibt es nicht genug industriell hergestellte Medikamente oder warum müssen Apotheken überhaupt selbst Rezepturen herstellen?
Der übliche Weg ist, dass ein Arzt ein Rezepturarzneimittel verordnet und die Apotheke dieses nach Anweisung des Arztes herstellt. Zum Beispiel werden Arzneimittel wie eine Glukosemischung auch industriell hergestellt, allerdings ist es manchmal so, dass die Herstellung durch einen Apotheker günstiger ist, weil wir staatlich festgelegte Preise und sehr niedrige Vergütungen haben. Deshalb verordnen das Arztpraxen manchmal, um Geld im Budget zu sparen.
Oder wenn Sachen in der Form, in der sie gebraucht werden, nicht verfügbar sind – zum Beispiel Arzneimittel für Kinder, die in dieser Dosierung gar nicht auf dem Markt verfügbar sind. Oder Arzneimittel mit oder ohne bestimmte Zusatzstoffe. Bei dem Beispiel der Glukosemischung ist es so, dass das Fertigprodukt sehr häufig nicht lieferbar ist, so dass Arztpraxen, die diese Tests machen, dann eine Apotheke brauchen, die es herstellt.
Wie kann ich mich als Verbraucher schützen?
Der Schutz ist ja praktisch durch den Gesetzgeber gegeben, der die vielen Auflagen und Kontrollen in den Apotheken vorgesehen hat und das auch durch die Pharmazieräte kontrolliert.
Wenn tatsächlich jemand vorsätzlich handelt und irgendwen vergiften will, ist man vor einer solch kriminellen Energie nie gefeit. Verunsicherte Verbraucher können sich beim Apotheker ihres Vertrauens erkundigen, wie die Herstellung abläuft oder überhaupt zu einem Apotheker gehen, den sie schon länger kennen und zu dem ein Vertrauensverhältnis besteht.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Kemmritz!
Das Interview führte Laura Will