Gefäßsystem im Ausnahmezustand - Niedriger Blutdruck und Ohnmacht bei Kindern & Jugendlichen
Rund 100.000 Kilometer Blutgefäße ziehen sich durch den menschlichen Körper und transportieren über das Blut lebenswichtigen Sauerstoff in alle Organe, angetrieben vom Herz. Dieser "Motor", der uns durch das ganze Leben trägt, muss aber erst zur vollen Größe wachsen. Bei einigen Kindern und Jugendlichen kommt es dabei - gerade während Wachstumsschüben - zu enormen Problemen: sie leiden immer wieder unter zu niedrigem Blutdruck. Die Folgen: Kreislaufschwächen bis hin zur Ohnmacht.
Ein erwachsener Mensch hat im Schnitt 5 - 8 Liter Blut, das über die Gefäße den ganzen Körper mit lebenswichtigem Sauerstoff versorgt - vom Gehirn bis zu den Zehen sozusagen. Genau wie der menschliche Körper überhaupt wächst auch dieses Versorgungssystem im Kindes- und Jugendalter massiv, von der Blutmenge, über die Herzgröße bis hin zu Pulsfrequenzen und Blutdruckwerten. So haben Kinder beispielsweise zuerst zwischen ca. 0,5 und 2 Litern Blut, bei Jugendlichen sind es dann schon 2 - 5 Liter, je nach Körpergröße, Geschlecht und Gewicht. Während sich der Puls bei Kindern normalerweise im ersten Lebensjahr im Schnitt zwischen 95 und 185 Schlägen/min bewegt, sind es später, im Alter zwischen 1 und 8 Jahren noch 100 - 119 Schläge/min. Bei Kindern ab 12 Jahren beginnt sich der Durchschnittswert schon stärker dem von Erwachsenen anzupassen: Ihr Herz schlägt noch durchschnittlich 80 mal pro Minute und als Erwachsener sollte sich der Ruhepuls dann um die 70 Schläge pro Minute einpendeln.
Wenn der Kreislauf kippt
Aber die Veränderungen, die das Herz-Kreislauf-System beim Heranwachsen durchmacht sind massiv - und kein Kind und Jugendlicher wächst völlig gleichmäßig. Oft gibt es regelrechte Wachstumsschübe bei der Körpergröße und das kann gerade bei schlanken Kindern und Jugendlichen zu Problemen führen: zum Beispiel zu einem niedrigen Blutdruck oder gar zur sogenannten Synkope, einer plötzlichen, kurzen Ohnmacht in Folge einer Mangelversorgung des Gehirns mit Sauerstoff. Experten schätzen, dass bis zu 20 Prozent der Kinder bis zu ihrem 15. Lebensjahr mindestens einmal einen solchen Kollaps erleben.
Für die Betroffenen selbst, ihre Eltern und das ganze soziale Umfeld kann das extrem beängstigend sein und häufig werden "kreislauflabile" Kinder und Jugendliche deshalb besonders geschont - dabei kann Bewegung helfen.
Plötzliches 'Zusammenklappen' - was steckt dahinter?
Meist steckt hinter der "Kreislaufschwäche" der Kinder und Jugendlichen eine orthostatische Dysregulation, d.h. das Gefäßsystem ist seinen Aufgaben, das Blut gegen die Schwerkraft durch den Körper zu transportieren, nicht gewachsen bzw. stößt immer wieder an seine Grenzen. Gerade bei großen und schlanken Kindern und Jugendlichen kann das Phänomen "Absackender Kreislauf" oder sogar Ohnmacht darum vorkommen. Mädchen sind tendenziell etwas häufiger betroffen als Jungs. Besonders häufig tritt das Phänomen auf, wenn der oder die Betroffene lange steht oder beim Übergang von einer sitzenden oder liegenden Position in die aufrechte, stehende. Die plötzliche Ohnmacht durch zu niedrigen Blutdruck nennt man auch Orthostase-Syndrom - das ist die häufigste Form der Ohnmacht bei Kindern und Jugendlichen.
Liegt das Problem nicht im Verhältnis zwischen Gefäßleistung und Schwerkraft, sondern in einer Fehlsteuerung des Kreislaufsystems, dann sprechen Mediziner von der vasovagalen Ohnmacht oder Synkope. Wichtig zu wissen: In aller Regel sind solche Ohnmachts- oder Kollapsanfälle bei Kindern und Jugendlichen harmlos und können sich im besten Fall einfach im wahrsten Sinne des Wortes "verwachsen" - das Gefäß- und Kreislaufsystem passt sich Gewicht und Körpergröße der Heranwachsenden an. Allerdings können hinter dem Phänomen in selteneren Fällen auch z.B. echte Herzprobleme stecken, beispielsweise Herzklappenfehler oder eine angeborene Herzschwäche - das sollte unbedingt medizinisch abgeklärt und ausgeschlossen werden.
Niedrigem Blutdruck auf der Spur
Bei der Diagnostik kommen dann in der Regel vor allem EKG oder Langzeit-EKG, Blutdruckmessungen und auch spezielle Untersuchungen, wie der Schellong-Test. Das ist ein Kreislaufbelastungstest, bei dem der oder die zu Testende erst zehn Minuten liegt (dabei werden Blutdruck und Puls mehrfach gemessen) und dann die gleiche Zeit am Stück stehen muss - wieder unter Messung von Puls & Blutdruck. Zeichen für eine hypotone (zu niedriger Druck) Regulationsstörung sind, wenn der Puls beim Aufstehen nicht oder kaum ansteigt, ebenso wie der dyastolische Blutdruckwert und dabei der systolische Blutdruckwert sinkt oder sogar stark sinkt. Ähnlich funktioniert die Kipptischuntersuchung, bei dem die Reaktion des Körpers auf passive Lageveränderungen getestet wird.
Grundsätzlich sind klassische Symptome für einen niedrigen Blutdruck:
-Schwindel, vor allem beim Aufstehen
-Müdigkeit trotz ausreichendem Schlaf
-Konzentrationsstörungen
-erhöhter Puls (Reaktion auf den niedrigen Blutdruck)
-kalte Hände und Füße
-häufige Übelkeit, manchmal begleitet vom Ausbruch von kaltem Schweiß
-Blässe
-Leistungsabfall
-Wetterfühligkeit/Temperaturempfindlichkeit (da die sogenannte Vasomotorik, die die Bewegungsprozesse und Volumenveränderung der Gefäße auch bei der Wärmeregulation des Körpers eine wichtige Rolle spielt.)
Was hilft - akut und auf Dauer?
Ist ein Kind oder Jugendlicher ohnmächtig geworden hilft konkret erst einmal: Den Betroffenen flach auf den Rücken legen und die Beine ca. 30 Zentimeter erhöht lagern, damit das in den Beinen "versackte" Blut schneller wieder in die wichtigen Organe in der oberen Körperhälfte zurückkehrt. Auch nach dem Aufwachen oder der ersten Stabilisation sollten Betroffene noch ein paar Minuten liegen bleiben und auch danach gilt: immer mit der Ruhe und langsam bewegen. Helfen kann im Anschluss auch: Flüssigkeit trinken, vorzugsweise Wasser, aber je nach Blutzuckerspiegel des Kindes oder Jugendlichen kann auch ein Schluck Saft zum Beispiel förderlich sein.
Auf Dauer gilt es vor allem die sogenannte Vasomotorik, also die Fähigkeit zur Volumenveränderung des Gefäßsystems, zu trainieren. Kinder und Jugendliche vom Schulsport fern zu halten ist also auf Dauer eher kontraproduktiv. Für dieses Training können Klassiker, wie Wechselbäder, helfen, aber auch Sport - wenn es der richtige ist, denn hier kommt es vor allem auf einen Wechsel bei der Bewegung zwischen Anspannungs- und Ruhephasen an, so die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention e.V. . So gilt Laufen nur mit "gymnastischen Zwischenphasen" als förderlich, Schwimmen dagegen als sehr gutes Training für das periphere Gefäßsystem - gerade auch wegen des Faktors Schwerkraft, der im Wasser sozusagen reduziert wird, während Muskeln und Gefäße im Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung stehen. Auch Turnen, Gymnastik oder Zirkeltraining werden vom Sportärztebund empfohlen.
Einen großen positiven Einfluss hat außerdem: Wasser trinken - und das auf Grund eines besonderen Effektes.
Wasser gegen niedrigen Blutdruck: Der Osmopressor-Reflex
Mehr trinken bei Problem mit niedrigem Blutdruck? Ja. Hintergrund ist der "Osmopressor-Reflex". Wichtiger Faktor dahinter ist die sogenannte (Blut-)Osmolarität, also das Verhältnis von löslichen Molekülen und Wasser im Körper. Das zentrale Nervensystem verfügt über Rezeptoren, die dieses Verhältnis erfassen und gegebenenfalls Hormone im Körper freisetzen, die zum Beispiel die Durchlässigkeit von Niere und Leber für Wasser erhöhen. Werden diese Osmorezeptoren zum Beispiel nach dem Trinken eines großen Glases Wasser stimuliert, leiten sie Signale an das Rückenmark und das sympathische Nervensystem, das dann Kreislauf und Stoffwechsel antreibt - Gefäße ziehen sich zusammen und der Druck darin steigt. Diesen Effekt können sich gerade Menschen mit niedrigem Blutdruck zu Nutze machen.
In einer Studie am Institut für Klinische Pharmakologie an der Medizinischen Hochschule Hannover fanden Forscher heraus, dass das Trinken eines halben Liters Wasser den Blutdruck von Menschen mit einer Störung des sympathischen Nervensystems binnen zehn Minuten steigern konnte. Ihre Blutgefäße zogen sich zusammen und sie hatten weniger Kreislaufprobleme beim Wechsel zwischen Sitzen und Stehen. Bei gesunden Probanden trat der Effekt dagegen nicht auf - Schaden kann das Wasser also umgekehrt nicht. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass der positive Wassereffekt nicht von der Temperatur der Flüssigkeit abhängig war und auch die Ausdehnung von Magen und Darm durch das Wasservolumen waren nicht ursächlich - sondern tatsächlich die "Arbeit" der Osmorezeptoren, der sogenannte Osmopressor-Reflex.
Medikamente nur als letzte Lösung
Gerade bei Kindern und Jugendlichen empfehlen viele Mediziner Medikamente erst als "letztes Mittel der Wahl". Sport und Bewegung, vasomotorisches Training und das Achten auf eine gute Ernährung helfen effektiv und nachhaltig und dabei natürlich durch die manchmal eben auch für Körpergefäße und das Kreislaufsystem herausfordernde Zeit des Erwachsenwerdens.