Interview l Alle Blutgruppen gesucht - Blutspende: Sorgensommer 2021?
Jeden Werktag werden in Berlin & Brandenburg rund 600 Blutspenden gebraucht. Ohne sie geraten Patienten in Lebensgefahr - und Blutpräparate sind höchstens wenige Tage haltbar. Eine Extremherausforderung in Pandemiezeiten, gerade jetzt, wo viele nur noch einem lockeren Sommer entgegenfiebern. Wie geht Blutspende jetzt und was macht denen Sorge, die sie sammeln? rbb Praxis hat beim DRK-Blutspendedienst Nord-Ost nachgefragt.
Herausforderung Pandemie
Frau Schweiger, gut ein Jahr Blutspende in Pandemiezeiten haben Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen hinter sich. Was waren rückblickend die größten Probleme und Herausforderungen?
Kerstin Schweiger: Also ich möchte gerne mit dem Positiven anfangen: Ein ganz großes Dankeschön an die Menschen, die im gesamten Jahr der Pandemie weiterhin zur Blutspende gekommen sind und mit ihrem halben Liter Blut wirklich jeweils Leben gerettet haben, sich nicht haben abschrecken lassen von den besonderen Umständen und damit sozusagen mitgeholfen haben, dass es keine Versorgungslücke bei lebensrettenden Blutpräparaten gab. Das war wirklich eine ganz, ganz schöne Erfahrung.
Aber natürlich gab es Herausforderungen insbesondere für uns als Blutspendedienst von Anfang an. Zum einen ist es so, dass uns sehr viele Termin-Orte weggebrochen sind - von einem Tag auf den anderen. Wir sind ja zu 90 Prozent mobil in der Stadt und im Land Brandenburg unterwegs, gehen normalerweise z.B. in Schulen und Kitas, in Altenheime, in Rathäuser, Fitnesscenter - wo immer die Möglichkeit besteht. Und da war es nun so, dass wir vielfach aus Sicherheitsgründen nicht mehr hinein konnten mit unseren Blutspende-Teams.
Es ist ja auch so, dass wir ein Blutspendemobil haben, was vor der Pandemie regelmäßig durch Berlin und Brandenburg gefahren ist. Auch das steht seit März 2020 still, weil eben im Fahrzeug die Abstände nicht eingehalten werden können. Also: Wir mussten in sehr kurzer Zeit Ersatz schaffen, um eben auch alle benötigten Blutspenden einsammeln zu können.
Das gelang uns mit Hilfe von vielen Partnerinnen und Partnern, die wirklich ganz kurzfristig und unkompliziert geeignete, große Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt haben, um eben die Sicherheitsabstände einhalten zu können.
Das war ganz toll und wir sind dann auch in ungewöhnliche Locations gegangen: In Hotels, die geschlossen hatten. Wir waren auf Kegelbahnen, in Restaurants, die nicht öffnen konnten. Und das war wirklich eine ganz tolle, gemeinschaftliche, solidarische Form und in der ganzen Schwierigkeit eine positive Erfahrung.
Wie läuft Blutspende konkret ab?
Frau Szymanowski, Sie entnehmen ja den Spendern das Blut - wie läuft das jetzt konkret ab bei Ihnen?
Rita Szymanowski: Wir haben ein Termin-Reservierungssystem online oder man kann die App nutzen oder die Hotline des Zentrums anrufen. Dann kommt man zum Termin und durchläuft dann, natürlich mit allen hygienischen Maßnahmen, eine Einlasskontrolle, wo abgefragt wird, ob man im Ausland gewesen ist, Kontakt hatte zu positiv Getesteten und ob Sie selber Symptome haben.
Dann wird die Körpertemperatur gemessen und wenn das alles in Ordnung ist, geht der Spendende zur Anmeldung, weist sich aus und bekommt noch einen Fragebogen.
Ist das alles erledigt, wird ein kleiner Pre-Test gemacht mit einem Piks in den Finger. Das ist der Hb-Wert, der da gemessen wird, das Hämogloobin. Da gibt es Mindestgrenzen, unter denen jemand nicht spenden darf - 13,5 g/dl bei Männern und 12,5 g/dl bei Frauen. Mit Werten darunter zu spenden wäre nicht gefährlich. Nur wenn wir dann eine Konserve nehmen, gehen Erythrozyten verloren, also das, was Menschen brauchen, um sich zu konzentrieren und leistungsfähig zu bleiben. Wenn wir Menschen unter dem Grenzwert spenden lassen würden, würde der Hb-Wert bei ihnen zu weit absinken - da schützen wir einfach die Spender, es soll ja auch nicht unangenehm sein. Und vielleicht weiß jemand nicht, dass er eine Blutarmut hat oder was auch immer, was dahinter stecken könnte.
Nach dem Test gibt es noch ein Arztgespräch unter vier Augen und dann geht es in den Entnahmeraum. Da legt sich der Spender auf eine Liege, wir Schwestern erklären nochmal alles, bereiten alles vor und kommen auch ins Gespräch und lenken ein bisschen ab - manche sind etwas ängstlich am Anfang. Ja und dann kommt die Punktion und maximal 15 Minuten später ist man fertig - bei vielen geht es schneller, ich würde sagen so acht Minuten.
Wenn Sie gut getrunken haben, läuft es besser.
Was sollten Erstspender noch wissen?
Wenn jetzt jemand Lust bekommen hat Erstspender oder Erstspenderin zu werden - was sollte er oder sie noch wissen?
Kerstin Schweiger: Bedarf gibt es auch in Berlin und Brandenburg bei allen Blutgruppen, da gibt es kein Ranking oder sowas. Und mit Blick auf Corona: Wichtig ist wie gesagt, dass derjenige oder diejenige aktuell gesund ist, keine Symptome aufweist.
Ansonsten sollte man mindestens 50 Kilogramm auf die Waage bringen und man soll gut essen und trinken von einer Blutspende. Das hilft dem Körper, den Verlust von dem halben Liter Blut zu verkraften.
Rita Szymanowski: Und gerade Erstspender sollten sich Zeit nehmen - nicht beim Zeitfenster auf die letzte Minute kommen und sich hetzen - das sorgt für Stress. Gerade beim ersten Mal kann der Körper, der Kreislauf, auch reagieren - viele sind ja auch aufgeregt und wenn das dann wegfällt, dann kann so eine Entspannung kommen, auch beim Kreislauf - da braucht man vielleicht einfach ein paar Minuten länger, um wieder in die Gänge zu kommen.
Nach dem Spenden - auf was achten?
Wenn man dann sein Blut gespendet hat - auf was sollte man an dem Tag achten? Gibt es Einschränkungen für die Spendenden?
Rita Szymanowski: Ja, erstmal sollte man den Verband um den Arm lassen, den wir da machen, mindestens für zwei Stunden. Dann sollte man bedenken: Der Kreislauf kann reagieren, also nicht in die Sonne legen, in die Sauna gehen oder den Körper sonst noch stressen. Man kann spazieren, nach Hause laufen oder Fahrrad fahren, aber sollte an dem Tag nicht ins Fitnessstudio. Arbeiten im Büro oder so ist aber garkein Problem.
Am besten man trinkt und isst gut und lässt den Tag ausklingen.
Was ist mit Geimpften?
Wie ist das nach einer Impfung, gerade wenn man erst eine hatte? Ein Problem fürs Spenden?
Kerstin Schweiger: Da ist es tatsächlich so, dass da fast keine Einschränkungen sind. Wer also zum Beispiel heute eine Impfung erhalten hat, aber keine Symptome danach entwickelt, auch keine Impfreaktionen, der kann am Folgetag problemlos eine Blutspende leisten, egal ob nach der ersten oder nach der zweiten Impfung.
Wichtig ist, dass man einen Termin zum Blutspenden vorher bei uns ausmacht über unser Reservierungssystem - das hilft uns wirklich schon in der Buchungssituation zu steuern, wie viele Menschen gleichzeitig zur Blutspende kommen. So entstehen auch keine Warteschlangen - und so geht es auch für die Spender natürlich schnell und sicher. Wer sich da einen Termin online holt, kriegt dann auch eine Bestätigung - die bringt man ausgedruckt oder auf dem Handy einfach mit.
Kein Test zum Spenden
Weil das ja in diesem Jahr ein Dauerthema war: Einen aktuellen Test braucht man beim Spenden nicht, oder?
Kerstin Schweiger: Nein, eine Testpflicht gibt es nicht. Und auch die Blutpräparate werden nicht auf COVID-19 untersucht. Das hat den Hintergrund, dass dieses Virus sich über eine Tröpfcheninfektion weiterverbreitet - das heißt einerseits, dass es gar nicht im Blut nachweisbar wäre. Und selbst wenn jemand Infiziertes, der davon nichts wusste, gespendet hätte, ist keine Übertragung über das Blut möglich. Das ist laut RKI und Paul-Ehrlich-Institut bisher ausgeschlossen. Von daher gab es auch von diesen Oberbehörden keine Anweisung auf Testung. Würde sich da der wissenschaftliche Kenntnisstand ändern, dann würden wir das natürlich machen.
Erster Lockdown: Die Erstspenderwelle
Und wie haben Sie die Menschen erlebt? Stimmt es, dass es in der ersten Pandemiephase in Berlin und Brandenburg sogar mehr Erstspendende gab, als normalerweise?
Kerstin Schweiger: Also es ist so, dass gerade in der ersten Lockdown-Phase ab März 2020 wirklich eine wahnsinnige Resonanz war in der Bevölkerung und das sehr, sehr viele Erstspender gekommen sind, die gesagt haben: "Ich bin jetzt im Homeoffice, ich kann mir die Zeit besser einteilen und das machen" oder "Ich habe lange mit dem Gedanken gespielt. Jetzt setzt sich das in die Tat um" - und das war wirklich unglaublich, wie viele Menschen sich mit dem Thema befasst hatten, aber noch nie gekommen sind. Die sind eben alle gerade im ersten Teil der Pandemie zu uns gekommen - und einige sind zum Glück dabeigeblieben. Das ist besonders toll, weil wir z.B. altersbedingt jedes Jahr treue Spender "verlieren".
Ich hoffe, dass diese Sensibilität bleibt, dass man mit einer Spende sehr einfach vielen helfen kann: da denke ich an Krebspatienten, Menschen, die Organtransplantationen bekommen, usw. - vier bis sechs Mal im Jahr kann da ein Spender konkrete Hilfe für diese Menschen leisten.
Rita Szymanowski: Ja, ich muss das auch nochmal ganz ehrlich sagen: Vielen Dank an die vielen Erstspender, die 2020 gekommen sind - die uns fast die Bude eingerannt haben. Wir wussten gar nicht, dass es so viele bereitwillige Menschen gibt, die Blutspenden wollen.
Jetzt hoffen wir aber, das dieser Sommer nicht irgendwie das Gegenteil wird ...
Wer braucht gespendetes Blut?
Wo Sie das gerade schon ansprechen: Welche Menschen sind denn besonders auf eine Blutspende angewiesen? Viele denken ja erst einmal z.B. an OP-Situationen, Verletzte bei einem Verkehrsunfall, usw. …
Kerstin Schweiger: Nur ganz kurz, um keine Missverständnisse entstehen zu lassen: COVID-19-Erkrankte benötigen in der Regel keine Blutpräparate.
Aber Blutpräparate haben eine breite Einsatzbasis zum Beispiel in der Onkologie. Rund ein Fünftel geht in die Behandlung von Krebspatienten, denn bei einer Chemo oder Strahlentherapie bekommen die über den gesamten Zyklus, der oft Wochen oder Monate geht, immer wieder Blutpräparate, seien es jetzt eine Blutkonserve Erythrozyten oder auch Blutplasma oder Thrombozyten, also Blutplättchen, weil diese Therapien eben auch die gesunden Zellen angreifen.
Aber es betrifft auch Menschen, die schwere Herz-OPs haben, Menschen mit Gelenkaustausch, Organtransplantierte, aber auch viele, die lebenslang Blutpräparate brauchen, weil sie zum Beispiel an einem angeborenen Immundefekt leiden oder einer Gerinnungsstörung. Auch da gibt es viele Einsatzgebiete.
Wie lange sind Blutpräparate haltbar?
Der Sommer, wenn viele Menschen auf Reisen sind, ist ja für die Versorgung dieser Patientinnen und Patienten schon vor der Pandemie immer eine schwierige Zeit. Das liegt auch daran, das man schlecht auf Vorrat Blutspenden sammeln kann. Wie lange sind denn Blutpräparate haltbar?
Kerstin Schweiger: Das ist der große Knackpunkt, ja. Wir gewinnen aus jeder Blutspenden von einem halben Liter drei lebensrettende Präparate. Ich nannte ja schon die roten Blutkörperchen, das werden die Erythrozytenkonzentrate - umgangssprachlich sagt man Blutkonserve. Dann ist da der flüssige Anteil, das Plasma. Das wird zu einem eigenen Präparat und eben die Thrombozyten, die Blutplättchen.
Diese Blutplättchen, die sind nur fünf Tage einsetzbar, die klassischen Blutkonserve fünf Wochen. Aber auch das ist ja nur eine begrenzte Haltbarkeit, sodass man nicht sagen kann: Macht doch mal am Anfang des Jahres eine riesige Blutspendeaktion, dann ist der Vorrat für das Jahr gesichert. Sondern an jedem Werktag muss eine bestimmte Anzahl von Blutspenden in Berlin und Brandenburg entnommen werden, um den Bedarf der Kliniken ohne Lücken decken zu können. Diese Zahl liegt für Berlin und Brandenburg bei rund 600 Blutspenden an jedem Werktag - also in normalen Zeiten, vor der Pandemie.
Mit Krankenhausmaßnahmen schwankt Bedarf
Nun sind ja zeitweise Routine-OPs auch runtergefahren worden. Gab und gibt es da noch einen geringeren Bedarf aktuell?
Kerstin Schweiger: Nein. Es gab tatsächlich nur eine Marke, wo ein wenig der Bedarf runtergefahren war. Das war im ersten Lockdown, als eben sehr viele Betten für COVID-19-Patienten freigehalten wurden, wo sehr viele OPs verschoben und abgesagt worden sind und dann später nachgeholt wurden.
Das führte dazu, dass nach dem ersten Loockdown, im Mai 2020, der Bedarf aus den Kliniken plötzlich um 30 Prozent angestiegen ist - das war eine sehr, sehr große Herausforderung, weil einen solchen erhöhten Bedarf kann man nicht in wenigen Tagen ersetzen. Wir haben ja auch tatsächlich eine Begrenzung der Kapazität von Personal und Räumlichkeiten; medizintechnische Geräte die benötigt werden für die Blutspende und dergleichen.
Sorge & Hoffnung für den Sommer 2021
Was ist ihr Wunsch für den Sommer 2021?
Kerstin Schweiger: Eine Sache macht uns schon Sorgen: Wir sind ja tatsächlich wieder an so einem Wendepunkt, wo sehr viele Lockerungen jetzt passieren. Und das heißt, wir gehen davon aus, dass natürlich die Menschen auch wieder andere Prioritäten setzen: Freizeitgestaltung, Reisen - möglicherweise steht da die Blutspende nicht an gleicher Stelle wie vorher und wir stehen vor den langen Sommerferien in Berlin und Brandenburg.
Wir wünschen uns, dass die Menschen an die Blutspende und all diejenigen denken, die auch im Sommer auf diese Hilfe angewiesen sind. Dass man einfach sensibilisiert dafür ist, wie kurz die Haltbarkeit der Blutpräparate ist und dass es auch im Sommer immer wieder Spenderinnen und Spender braucht. Dass die Menschen daran kurz denken, das würden wir uns wünschen.
Vielleicht einfach vor der Ferienreise noch zuhause eine Blutspende leisten und dann den Urlaub doppelt genießen.
Rita Szymanowski: Dieser Sommer, das wird eine echt große Herausforderung für uns. Die Menschen bekommen gerade wieder Freizeit, denen wird das Leben wieder aufgetan. Da geht es um Urlaub, Essen gehen, mit Freunden treffen, was ja jetzt lange nicht gemacht werden konnte und durfte.
Wir haben wirklich Angst davor, dass da so ein Sommerloch kommt, weil wir ja eine Versorgungsaufgabe haben für die Krankenhäuser - Menschen brauchen das Spenderblut dringend. Ich hoffe, dass die Spendenden an uns denken. Auch dass sie Termine absagen, wenn sie nicht können und einen neuen machen - aber nicht einfach wegbleiben.
Frau Schweiger und Frau Szymanowski, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Lucia Hennerici