Interview l Lebendspende - Julia (25): "Ich wusste, dass ich eine Niere brauche"
Das am häufigsten für eine Spende benötigte Organ ist die Niere. Ende 2020 standen in Deutschland 7.338 Menschen auf der Warteliste dafür. Auch die 25-jährige Julia wartet. Sie muss dringend eine neue Niere finden, sonst braucht sie regelmäßig Dialyse. Wie lange hält sie noch durch? Julia hofft auf eine Lebendspende und erzählt uns, wie das abläuft.
Seit Julia denken kann, ist sie krank: "Ich habe mehrere chronische Krankheiten. Mit einer Kloakenpersistenz, beziehungsweise Fehlbildungen, hat das Nierenproblem angefangen. Mein Darm, Uterus und die Harnblase waren zusammengewachsen wie ein Trichter. Dadurch konnte ich nicht auf die Toilette gehen. Ich wurde häufig operiert, ich schätze 40 bis 50 Mal. Meine Blase entleert sich aber immer noch nicht richtig, die Niere wird dadurch weiter geschädigt, weil Restbakterien die Niere belasten. Mittlerweile habe ich nur noch eine Niere, weil mir die andere vor drei Jahren entfernt wurde, weil die Blase immer wieder Infektionen zur Niere hochlässt."
Julia ist 25 Jahre alt. Dass sie aufgrund ihrer Fehlbildung eine Spenderniere braucht, war ihr schon früh klar: "Ich wusste seit meiner Kindheit, dass ich eine Niere brauche. Davon haben die Ärzte schon immer geredet. Wir haben nur alle gedacht, dass das erst sein wird, wenn ich 50 Jahre alt bin. Das war auch immer die Prognose. Daher war es schon ein Schock, dass es jetzt schon sein muss."
Denn seit 2019 verschlechtern sich Julias Nierenwerte kontinuierlich. "Die Ärzte haben gesagt, die Werte laufen auf eine kritische Grenze zu. 'Du müsstest dich in einem Transplantationszentrum vorstellen'. Man kann sich das Zentrum selbst aussuchen, das war schwierig. Ich habe mich dann für die Uniklinik Düsseldorf entschieden."
Das Prozedere beginnt lange vor der Transplantation
So wie Julia geht es vielen Menschen in Deutschland. Die Niere ist das Organ, das am häufigsten für eine Transplantation benötigt wird. Wenn keine Spenderniere aus einer sogenannten postmortalen Organspende zur Verfügung steht, also einer Organspende nach dem Tod des Spendenden, gibt es die Möglichkeit, eine Niere in einer Lebendorganspende zu transplantieren. Auf diesen Weg hofft Julia.
Immer im 3-Stunden-Radius zur Klinik
Julia: "Ich musste zuerst etwas unterschreiben, damit ich bei Eurotransplant auf die Transplantationsliste komme. Das ist die europäische Zentrale für die Organvergabe. Dort werden im Falle eines verstorbenen Organspenders Proben entnommen und Werte bestimmt, die dann mit den Daten von Personen, die auf der Transplantationsliste stehen, abgeglichen werden.
Über Computeralgorithmen wird derjenige ermittelt, dessen Werte am besten passen. Danach muss der Empfänger innerhalb von drei Stunden in der Klinik sein, wenn ein Organ passt. Das heißt, ich muss immer gewährleisten, dass ich in drei Stunden in Düsseldorf sein kann. Wenn ich in den Urlaub fahre, muss ich mich abmelden."
Wer kommt für die Lebendspende in Frage?
In Deutschland ist die Organ- und Gewebespende streng gesetzlich geregelt. Zum Beispiel müssen sich Spendende und Empfangende persönlich nah stehen - dazu gehören Verwandte ersten oder zweiten Grades, Verlobte, Lebenspartner oder Personen, die offensichtlich miteinander persönlich verbunden sind.
Für Julia war das erst mal eine komische Situation: "Wir haben das in der Großfamilie besprochen. Meine Eltern haben sich bei meinen Tanten und Onkels umgehört, ob sie generell bereit wären. Ich selbst finde es blöd, durch die Gegend zu laufen und zu sagen: 'Hey, wollt ihr mir eine Niere spenden?'"
Hilfsangebote hat Julia einige bekommen: "Viele aus dem Freundeskreis sagen 'Das mache ich für Dich'. Das ist aber nicht so einfach. Man muss in einem sehr engen Verhältnis stehen.
Zum Beispiel dürfte keine Freundin, die in einem gebärfähigen Alter ist, spenden. Das heißt, meine beste Freundin fällt sofort raus. Meine Schwester auch. Ich finde gut, dass es so ist. Bei meiner Schwester habe ich sofort gesagt: 'Ich möchte keine Niere von Dir gespendet bekommen, bevor Deine Familienplanung nicht abgeschlossen ist'. Das war für mich klar und da bin ich froh, dass es dieses Gesetz gibt.
Meine Eltern haben sofort gesagt, dass sie sich testen lassen, ob sie als Spender in Frage kommen. Mein Papa hat leider eine andere Blutgruppe, dadurch ist die Chance, dass die Niere hält, etwas geringer. Daher wollen die Ärzte das nicht so gerne. Meine Mama hat den ganzen Testablauf durchgemacht."
Untersuchungen & Fragen der Psyche
Etwa neun Untersuchungen in zwei Tagen hat Julias Mutter durchgemacht. Julia: "Beim Spender wird alles Mögliche untersucht, alle Organe zum Beispiel. Es geht immer nach dem Prinzip, dass der Spender vorgeht. Das finde ich total richtig. Derjenige gibt ja freiwillig etwas ab."
Dazu gehört auch ein psychologisches Gespräch. Denn letztendlich muss eine sogenannte Lebendspendekommission entscheiden, ob die Spende freiwillig und ohne finanzielle Anreize erfolgt. Zu der Kommission gehören ein Arzt/eine Ärztin, eine Person mit Befähigung zum Richteramt sowie ein Psychologe/eine Psychologin.
Julia kann sich an das Gespräch noch gut erinnern: "Ich musste zu einer Psychologin, die von der Klinik bereitgestellt wurde. Die schaut, ob ich überhaupt noch Lebensmut und Freude habe. Ich dürfte zum Beispiel keine Depression als Diagnose haben. Das finde ich sehr makaber. Ich glaube, viele Menschen, die auf ein Organ warten, sind einfach sehr erschlagen von ihrer Situation. Natürlich fragen sie auch nach dem Verhältnis zum Spender. Wie nah man sich steht, wie es dazu kam, dass die Person spenden möchte. Sie wollen aber auch wissen, wie man miteinander umgehen würde, wenn sich nach den Untersuchungen rausstellt, dass das Organ doch nicht passt. Der Spender bekommt ähnliche Fragen."
Rückschläge
Bei Julias Mutter stellte sich raus, dass sie nicht als Spenderin in Frage kommt. Julia: "An der Niere, die in Frage käme, ist leider ein doppelter Harnleiter. Da bei mir die Blase das Problem ist, wollen die Ärzte die neue Niere an ein Stoma anschließen. Das ist ein künstlicher Nierenausgang an der Bauchdecke. Durch die doppelten Harnleiter bräuchte ich dann zwei Stomabeutel. Das geht mit meinem vernarbten, verschnittenen Bauch nicht und wäre auch von der Handhabung sehr kompliziert."
Enttäuscht, dass es nicht geklappt hat, seien beide gewesen. Für Julias Mutter sei es aber immer noch schwer, erzählt Julia: "Für mich war das ganz logisch, dass es aus medizinischen Gründen nicht geht. Für Mama ist es bis heute noch schwer, dass sie mir nicht helfen kann."
Warten - eine Herausforderung
Julia: "Manchmal habe ich mich schon gefragt, ob es nicht einfacher ist für das Umfeld, wenn ich nicht mehr da bin. Es gibt Phasen, da habe ich sehr viel Angst, da weine ich zwei, drei Tage. Ich weiß zwar schon, was auf mich bei einer Transplantation zukommt. Ich weiß, dass ich lange Schmerzen haben werde, dass es Geduld und einen Heilungsprozess braucht." Man müsse Hilfe annehmen können.
Aktuell habe sie einen sehr lieben Lebenspartner, der sie stütze: "Da ich insgesamt ein lebensfroher Mensch bin, hoffe ich, dass es mir danach viel besser gehen wird. Davon gehen die Ärzte auch aus."
Denn Julia hat noch Anlass zur Hoffnung. Gerade lässt sich ihre Stiefmutter testen, ob sie eine Niere spenden könne. So lange heißt es für Julia weiter warten: "Mit meinen Werten könnte ich jetzt schon an die Dialyse. Die Ärzte versuchen, das aus verschiedenen Gründen noch zu umgehen. Das wäre sehr einschränkend für mich, ich müsste minimal drei Mal pro Woche für acht Stunden an die Dialyse. Das schlaucht den Körper, vor allen Dingen in den ersten Wochen. Es ist noch eine Abwägung, inwieweit man den Körper stärkt und schwächt."
Das Interview führte Laura Will