Stammzellspende, Bild zeigt Pipette, die eine Stammzellprobe in Petriglas pipettiert (Quelle: imago images / Westend61)
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Interview l Kampf gegen Blutkrebs - Stammzellspende – Voraussetzungen, Risiken & Ablauf

Eine Stammzellspende ist u.a. für Menschen mit Leukämie oft die einzige Chance auf Heilung. Antworten zum Ablauf lesen Sie hier im Experteninterview.

Die Stammzellentransplantation, wie die meisten Menschen sie schreiben, heißt medizinisch richtig Stammzelltransplantation - genaugenommen allogene Blutstammzelltransplantation.
 
Ein erkrankter Mensch erhält dabei von einem gesunden Menschen Blutstammzellen. Der gesunde Mensch ist in dem Fall der Stammzellspender oder die Stammzellspenderin. Der Zusatz allogen kommt aus dem griechischen und bedeutet u.a. "fremd". Damit ist gemeint, dass auch fremde Menschen, die nicht zur Familie gehören, als Stammzellspender oder Stammzellspenderin dienen können. Wichtig ist bei der Auswahl des Stammzellspenders oder der Stammzellspenderin, dass die Blutstammzellen ähnlich derer sind, die der Erkrankten Person gehören, damit sie vom Körper nicht abgestoßen werden. Gewebemerkmale der weißen Blutzellen sind dafür ausschlaggebend.
 
Helfen kann die allogene Blutstammzelltransplantation u.a. Menschen mit Leukämie (Blutkrebs).
 
Doch was heißt das für die Stammzellspenderin oder den Stammzellspender? Wann passen die Spenderstammzellen zur erkrankten Person? Welche Risiken gibt es? Und wie läuft die Stammzelltransplantation ab?
 
Prof. Dr. Bertram Glaß, Chefarzt für Zelltherapie am Helios Klinikum Berlin-Buch, wo jährlich rund 70 allogene Stammzelltransplantationen durchgeführt werden, hat Antworten.

Prof. Glaß, wie kommt es überhaupt dazu, dass Menschen eine Stammzelltransplantation brauchen?

Es gibt zwei Gruppen von Erkrankungen, bei denen das notwendig wird. Die Hauptgruppe sind Patienten mit bösartigen Krebserkrankungen, in der Regel des blutbildenden Systems oder des Abwehrsystems, also Leukämie (Blutkrebs) oder malignes Lymphom.
 
Bei diesen Patienten stellt die allogene Stammzelltransplantation eine Möglichkeit dar, eine zelluläre Immuntherapie durchzuführen. Dabei wird das körpereigene Blutbildungs- und Abwehrsystem des Patienten durch das des Spenders ersetzt. Die Abwehrzellen des Spenders können dann bösartige Krebszellen zerstören.
 
Das macht man allerdings erst dann, wenn diese Patienten auf die üblichen Verfahren, zum Beispiel konventionelle Chemotherapie, nicht mehr ausreichend ansprechen.

Dann gibt es noch eine weitere Gruppe von Erkrankungen, bei denen die Blutbildung aus genetischen Ursachen defekt ist oder auch durch einen Autoimmunprozess zerstört ist.
Dazu gehören Erkrankungen, wie die sogenannte schwere aplastische Anämie [umgangssprachlich Blutarmut] und die Thalassämie - eine angeborenen Erkrankung, die vor allen Dingen im Bereich des Nahen und Mittleren Ostens sehr verbreitet ist.
In diesen Fällen wird die nicht mehr vorhandene oder schwer beschädigte eigene Blutbildung des Patienten durch die fremde Blutbildung des Spenders ausgetauscht.

Die Registrierung dient ja dazu, dass Stammzellen der SpenderInnen mit denen der EmpfängerInnen zusammen passen. Warum ist das so wichtig?

Wenn diese Übereinstimmung nicht so gut ist, dann steigt die Gefahr für die wesentlichste Komplikation der Stammzelltransplantation: Das ist die so genannte Transplantat-gegen-Wirt-Krankheit. Das ist so etwas wie eine umgekehrte Abstoßungsreaktion.
 
Bei einer "normalen" Organtransplantation kann der Körper mit seinem Immunsystem das Organ wieder abstoßen. Hier transplantieren wir das Immunsystem und wenn man Pech hat, kann dieses den Körper des Patienten abstoßen. Das heißt, es entsteht eine Entzündungsreaktion an gesunden Organen und Geweben, wie der Haut, der Leber und dem Darm. Diese Reaktion gibt es von ganz mild bis wirklich schwer und dann kann sie auch das Leben des Empfängers gefährden.
 
Eine wichtige Rolle bei der Übereinstimmung zwischen Spender und Empfänger, spielen so genannte Transplantationsantigene des Humanen Leukozytenantigen-Systems (HLA-Systems). Jeder Mensch hat zwei solcher Merkmalssätze geerbt, einen von der Mutter, einen vom Vater. Relevant sind fünf verschiedene Transplantationsantigene, in der Summe sind dann zehn dieser Merkmale ausschlaggebend.
 
Stimmen zehn von zehn Merkmalen überein, spricht man von einer perfekten genetischen Übereinstimmung (match), die der Erfolg der Stammzelltransplantation sehr viel wahrscheinlicher macht.

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Wie wahrscheinlich ist es, dass ein passender Stammzellspender bzw. passende Stammzellspenderin gefunden wird?

Die Wahrscheinlichkeit, dass in einem dieser internationalen Register, zu denen auch das der DKMS gehört, ein passender Spender gefunden wird, hängt sehr stark von der Herkunft des Patienten ab. Das liegt daran, dass die Ausformung dieser HLA-Merkmale an die Ethnizität gekoppelt ist.
 
Die Folge ist, dass es für Patienten aus Nordamerika oder aus Europa mit 70 bis 80 Prozent recht wahrscheinlich ist, einen Spender zu finden, weil die Mehrzahl der registrierten Spender aus diesen Regionen stammt. Wenn wir aber in Deutschland jemanden mit einer Stammzelltransplantation behandeln wollen, der aus Afrika stammt und hierher eingewandert ist, dann wird das sehr viel schwieriger.

Was passiert wenn ein Stammzellspender oder eine Stammzellspenderin passt? Was sind die nächsten Schritte?

Nachdem das "match" im Computer gefunden wurde, wird der Spender oder die Spenderin gebeten, zu einer Bestätigungstypisierung in eine nahe gelegene Klinik zu gehen. Dabei wird die Übereinstimmung nochmals überprüft und es werden gleichzeitig schon bestimmte Dinge abgefragt, die den Gesundheitszustand des Spenders betreffen. Das dauert nochmal so vier bis sechs Wochen.

Wie häufig kommt es vor, dass Spender und Empfängerin dann doch nicht passen?
 
Das hängt ein wenig von der Typisierungsmethode ab. Wenn jemand schon hochauflösend im Register typisiert worden ist, also die relevanten HLA-Genomsequenzen Basenpaar für Basenpaar genau analysiert worden sind, dann kommt das so gut wie nicht vor.
Und diese "hochauflösende" Methode ist heutzutage das gängige Procedere.
 
Dann kann es natürlich noch sein, dass der Gesundheitszustand des Spenders gegen eine Stammzellspende spricht. Etwa, wenn er selbst an Krebs erkrankt ist; dann kommt er als Spender gar nicht mehr infrage.
 
Bei einer vorübergehenden Erkrankung, wie einem Infekt, kann die Spende zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Dass Spender oder Spenderinnen ohne Nennung von Gründen absagen, kommt sehr selten vor.

Wie genau ist der Ablauf der Stammzellspende?

Der Spender oder die Spenderin gehen einen Tag vor der eigentlich Stammzelltransplantation zur Entnahme. Das gibt uns Ärzten noch einen gewissen Spielraum, wenn bei der Spende doch etwas schiefgehen sollte.
 
Für die so genannte periphere Stammzellspende müssen die Spender sich fünf Tage vor der Spende ein Medikament unter die Haut spritzen. Dieses Medikament ist ein hormonähnlicher Stoff mit dem Namen Granulozyten-Kolonie-stimulierende Faktor (G-CSF). Das ist letztendlich die Substanz, die der Körper selber produziert, wenn er sich zum Beispiel gegen Infektionen zur Wehr setzt. Dieses G-CSF bewirkt eine Steigerung der Produktion der im peripheren Blut vorhandenen weißen Blutzellen, der sogenannten Granulozyten.
 
Als Nebeneffekt bewirkt er zudem, dass die eigentlichen Vorläuferzellen, die Stammzellen, ihren relativ festen Sitz im Knochenmark verlassen und für einige Tage im strömenden Blut vorkommen. Normalerweise ist die Häufigkeit von echten Vorläuferstammzellen im strömenden Blut sehr klein, vielleicht nur eine von 100.000 oder weniger. Aber unter der Wirkung dieses Medikaments wird das bis um den Faktor 10.000 gesteigert.

Wenn die Zahl der im Blut verfügbaren Stammzellen ausreicht - da gibt es genaue Grenzwerte, die misst man vor der Entnahme - dann werden zwei Venenzugänge gelegt. Aus dem einen wird das Blut entnommen und in eine Zentrifuge hineingeleitet. In der Zentrifuge trennt man die Zellgruppe, in der sich die Stammzellen befinden von dem ganzen Rest des Blutes ab. Und der ganze Rest, der wird dem Patienten über den zweiten Venenzugang gleich wieder zurückgegeben.

Behalten wird nur eine bestimmte Untergruppe der weißen Blutzellen. Die roten Blutkörperchen und die Blutplättchen, die bekommt der Patient gleich wieder zurück, genauso wie die Blutflüssigkeit, das Plasma.
 
Dieser Vorgang dauert zwischen vier und fünf Stunden. Es werden insgesamt bis zu zehn Liter Blut durch die Maschine durchgeleitet. Die Menge, die dann am Ende transplantiert wird, ist aber deutlich geringer - zwischen zehn und 400 Milliliter.
 
Dem Spender fehlt danach nichts, die Blutstammzellen bilden sich innerhalb kürzester Zeit wieder neu.

Kommen bei der Blutabnahme immer genug Stammzellen zusammen? Und was wenn nicht?

Sollten in der Spende am Ende nicht genügend Blutstammzellen enthalten sein, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder bittet man den Spender am nächsten Tag erneut um eine periphere Blutstammzellspende oder man führt eine Knochenmark-Entnahme durch, bei der die Stammzellen aus dem Knochenmark des Beckenknochens entnommen werden.
Das geschieht in Vollnarkose und dauert etwa eine Stunde.
 
Die peripheren Stammzellspenden machen etwa 80-90 Prozent aller Spenden aus, die Spenden aus Knochenmark sind dementsprechend seltener.
 
Die fertige Spende wird von einem Kurier zum Empfänger gebracht, wenn es sein muss auch per Flugzeug. So eine Stammzellspende ist etwa 36 Stunden haltbar.

Gibt es Gründe, gleich eine Knochenmarkspende durchzuführen?

Ja, die gibt es und zwar bei Patienten, die die Stammzellspende nicht aufgrund einer Krebserkrankung benötigen, sondern weil sie zum Beispiel unter einer fehlenden Blutbildung leiden.
 
Denn die Stammzellen, die aus dem Knochenmark entnommen werden, haben wesentlich weniger Abwehrzellen, die ein "Transplantat-gegen-Wirt-Krankheit" weniger wahrscheinlich machen.
 
Bei Krebspatienten macht man sich dagegen die vermehrten Abwehrzellen in der peripheren Spende zu Nutze, weil diese die krankhaft veränderten Blutzellen besser attackieren können.

Gibt es Risiken für den Stammzellspender oder die Stammzelspenderin?

Bei der peripheren Stammzellentnahme muss man ja zwei Venenzugänge legen. Da besteht die Gefahr von Blutungen, Entzündungen oder Schmerzen an der Einstichstelle.
 
Das gilt auch für die Knochenmark-Entnahme, bei der mit Kanülen durch die Haut gegangen wird, um an den Beckenknochen zu kommen. Bei der Knochenmark-Entnahme kommen noch die allgemeinen Risiken der Narkose hinzu.
 
Bei der peripheren Stammzellspende kommt noch hinzu, dass der Spender ja vorher diesen Granulozyten-Kolonie-stimulierende Faktor spritzen muss. Dieses Medikament gaukelt dem Körper vor, dass eine Infektion vorliegt, was zu grippeähnlichen Symptomen führen kann.

Erst nach zwei Jahren, kann der Empfänger erfahren, wer die Stammzellspenderin war. Warum ist das so?

Bei einem Rückfall kann es vorkommen, dass wir nochmal eine zweite Transfusion brauchen oder es gibt auch Fälle von Transplantatversagen. Dann sollte der Spender emotional frei in der Lage sein, sich für eine zweite oder dritte Stammzellspende zu entscheiden.
 
Ein anderer Grund ist der, dass der negative Ausgang so einer Stammzelltransplantation vielleicht etwas ist, was der Spender gar nicht wissen möchte. Es kann ja durchaus sehr belastend sein, wenn man jemanden gut kennengelernt hat und er stirbt dann möglicherweise.
 
Nach zwei Jahren ist die Chance, dass die Stammzelltherapie erfolgreich war, recht groß. Es gibt zwar auch danach noch Rückfälle, aber das sind Raritäten.

Der Experte

Herr Prof. Glaß, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ursula Stamm (19.05.2021 / Update: 31.05.2023)

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