Interview l Neue Technik im Kampf gegen Krebs - Laser und Künstliche Intelligenz spüren Tumorzellen auf
Krebs gehört zu den häufigsten Todesursachen hierzulande. Je früher Tumore entdeckt und entfernt werden, desto größer die Überlebenschancen. Doch ob bei einer OP tatsächlich alle Krebszellen entfernt werden konnten wissen Patient und behandelnde Ärzte oft erst lange nach dem Eingriff durch die pathologischen Ergebnisse. Eine neues Lasermikroskop in Verbindung mit künstlicher Intelligenz könnte die pathologische Analyse direkt in den OP holen.
Etwa jeden zweiten Menschen in Deutschland trifft die Diagnose mindestens einmal im Leben: Krebs. Werden die Tumorzellen operativ entfernt, können Wochen vergehen, bis Patienten und Ärzte Gewissheit darüber haben, ob wirklich das komplette Tumorgewebe entfernt werden konnte. Und wurde Tumorgewebe verfehlt, ist dieses bei einem späteren Versuch oft umso schwerer aufzuspüren. Forscher des Leibniz-Instituts für Photonische Technologien (Leibniz-IPHT), der Friedrich-Schiller-Universität, des Universitätsklinikums sowie des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Optik und Feinmechanik in Jena haben ein Lasermikroskop entwickelt, dass die Analyse von Gewebe binnen weniger Minuten im OP möglich macht und die Genauigkeit bei der Entfernung von Tumorzellen verbessern soll - durch verschiedene Laserlichttechniken und eine Künstliche Intelligenz (KI), trainiert von Pathologen als Analysehelfer.
rbb Praxis hat mit dem Leiter des Entwicklerteams gesprochen: Prof. Jürgen Popp, Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Photonische Technologien in Jena.
Sie haben vor Kurzem in München ein neues Lasermikroskop zur OP-begleitenden Krebsdiagnostik vorgestellt. Wie funktioniert der Laser und was kann das Verfahren bzw. die Techniken, die er beherrscht?
Es geht darum, dass man operationsbegleitend eine Schnellschnittdiagnostik macht. Man möchte während der Patient operiert wird erkennen, ob der Tumor komplett entfernt worden ist oder nicht.
Das Verfahren der klassischen Schnellschnittdiagnostik ist durchaus zeitaufwändig und dadurch, dass man nicht an eingebetteten, formalinfixierten Proben arbeitet, sondern an gefrorenen Proben, ist die Einfärbetechnik nicht so gut, wie sie normalerweise in der klassischen Pathologie ist, wo man die Gewebeproben hinschickt. Die klassische Schnellschnittdiagnostik hat zum Nachteil, dass man Tumorränder in den Proben übersieht.
Da kam vor Jahren der Gedanke auf: Können wir das optimieren? Können wir die Analyse nicht statt mit der Einfärbetechnik, mit einem Laserverfahren an den gefrorenen Proben weitgreifender und deutlich schneller herstellen? Das war der Grundstein für den Ansatz.
Das heißt wir nehmen verschiedene lichtbasierte Verfahren, die aber mit ein und demselben Laser erzeugt werden: Das heißt wir können mit dem Laser, der pulsierend arbeitet, einen molekularen und einen morphologischen Kontrast in der Probe hervorrufen, den wir dann mit Algorithmen der künstlichen Intelligenz auswerten, um so z.B. Tumorränder zu erkennen. Außerdem können wir die Bilder des Lasers in ein Bild übersetzen, dass der Pathologe dann auch kennt und auswerten kann - beispielsweise übersetzen wir also in klassische HE-Färbungen [Anm. d. Red.: Hämatoxylin-Eosin-Färbung, klassische Färbetechnik zur Unterscheidung von Gewebearten unter dem Mikroskop]. Und der Gedanke ist eben, das operationsbegleitend zu machen.
Wenn ich Ihre Idee richtig verstanden habe, sollen solche Lasermikroskope künftig direkt mit im OP stehen. Wie schnell kann das Gerät eine Gewebeprobe untersuchen?
Also die Gewebeprobe wird entnommen, wird schockgefroren und geschnitten. Unter dem Mikroskop wird sie dann analysiert. Die Analyse dauert in etwa zwei Minuten.
Nun haben Sie und Ihr Forscherteam also diese beiden Entwicklungen zusammengebracht: Das Lasermikroskop mit verschiedenen Färbetechniken soll die Qualität der Bilder für schockgefrorene Proben verbessern - Proben, bei denen das Einfärben schlechter funktioniert, als bei der zeitaufwändigeren Analyse im Labor. Und zum anderen haben Sie die Künstliche Intelligenz-Einheit für die Analyse entwickelt. Es geht Ihnen also um bessere Bildgebung UND Automatisierung?
Wir verfolgen zwei Strategien: Die eine ist, dass wir mit Pathologen zusammen die Algorithmen trainieren. Am Ende stehen zwei Kategorien: Welche Art von Gewebe liegt vor: gesundes Gewebe oder krankes Gewebe?
Der zweite Ansatz ist, das wir die Bilder der verschiedenen Lasertechniken, wir nennen das Multimodalbilder - dass wir diese Multimodalbilder in klassische Bilder übersetzen, die sonst durch Färbetechnik entstehen. Also was passiert normalerweise in der Pathologie? Das gängigste Verfahren ist die HE-Färbung. Da werden die Zellkerne gegen das Zytoplasma unterschiedlich gefärbt und über diese HE-Färbung kann der Pathologe schnell erkennen, was vorliegt - ist Tumorgewebe noch vorhanden oder nicht? Und wir können mit unseren mathematischen Methoden im Endeffekt so eine Übersetzung machen - aus unseren Multimodalbildern in HE-Bilder, die der Pathologe dann interpretieren kann. Wir können aber auch andere Färbungen machen, wie die Kollagenfärbung, die sehr wichtig ist.
Wie trainieren Sie denn die Künstliche Intelligenz?
Der Workflow sieht so aus: Wir nehmen eine Gewebeprobe und machen unsere Multimodalbilder mit dem Lasermikroskop. Dann geht der Gewebeschnitt in die Pathologie, wird dort eingebettet und gefärbt und das klassische HE-Bild gemacht. Und dann legen wir unsere beiden Bilder nebeneinander und der Pathologe macht seine Analyse. Das ist dann die Ausgangsbasis für uns. Wir haben in dem Fall einen "überwachten Ansatz" und sagen unserem Algorithmus: Das ist gesund, das ist krank - und dann lernt der Algorithmus sukzessive gesunde von kranken Arealen zu unterscheiden.
Als Sie und Ihr Team vor wenigen Tagen ihre Entwicklungen auf der Messe "Laser World of Photonics" in München vorstellten, ließen Sie anklingen, dass das noch nicht das Ende der Entwicklung sein muss. Perspektivisch könnten Krebs-OPs teilweise ganz ohne Skalpell auskommen hieß es da. Nehmen Sie uns mit in eine mögliche Zukunft: Wie funktioniert das?
Wir haben das jetzt mikroskopbasiert und OP-begleitend aufgebaut. Aber der eigentliche Gedanke ist natürlich - und da arbeiten wir sehr intensiv dran - das alles in Sonden zu überführen. Also dass man perspektivisch direkt im Patienten mit beispielsweise Kopf-Hals-Tumor oder auch Gehirntumor Sonden auf das Gewebe aufsetzt oder in das native Gewebe einführt, um dort diesen multimodalen Kontrast per Lasertechnik zu erzeugen und dann sagen zu können: Hier ist Tumorgewebe, hier ist gesundes Gewebe.
Und die große Vision wäre natürlich die, dass man dann Licht nutzen kann, um den Tumor auch gleich zu entfernen. Laser werden ja heute schon zum Rausschneiden von Tumoren verwendet, das sind meist CO2-Laser.
Und unser Gedanke ist: Warum nicht Femtosekundenlaser nehmen, um das Gewebe einfach Schicht für Schicht zu entfernen? Da sind natürlich noch viele Fragen, die geklärt werden müssen. Die Idee ist einfach, das Licht gleichzeitig zum Diagnostizieren und Tumorentfernen zu nutzen.
Und was sind für Sie konkret die nächsten Schritte, um Ihre jetzigen Entwicklungen Lasermikroskop und KI in die Praxis und in den OP zu bringen?
Also die nächsten Schritte sind erstmal, dass wir uns drum bemühen Geld aufzutreiben für die nächsten präklinischen Studien. Was wir an einer kleinen Kohorte von 17- 20 Patienten gezeigt haben ist, dass das Verfahren sinnvoll ist. Was wir da erreicht haben ist also ein Proof of Principle.
Was jetzt ansteht, ist natürlich, dass wir auch den Mehrwert aufzeigen können. Dafür geht es jetzt darum das Geld aufzutreiben - damit wir mit dem Mikroskop in drei Kliniken gehen und dort um die 200 Patienten analysieren können. Wir wollen, lapidar gesagt, zeigen, dass wir nicht nur schöne Bilder machen, sondern Bilder aufnehmen, die der Pathologe und Mediziner allgemein nutzen kann, um im OP-Bereich schneller feststellen zu können, ob die Tumorfreiheit erreicht wurde.
Herr Prof. Popp, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte, Lucia Hennerici.