60 Jahre Verhütung durch Pille - Für wen taugt welche Pille: Vorteile und Risiken
Vor 60 Jahren kam in den USA die Pille auf den Markt, kurz danach war sie unter dem Namen "Anovlar" auch in Deutschland verfügbar. Heute nutzen Frauen die Pille tendenziell immer weniger zur Verhütung - nicht nur weil smarte Helfer den Zyklus zugänglicher und damit auch ohne Pille kontrollierbarer erscheinen lassen, sondern auch, weil Nebenwirkungen immer mehr in den Fokus der Nutzerinnen rücken. Und in der Tat: Die Pille birgt Risiken - und zwar sehr individuell unterschiedliche. Ein Überblick.
Die Verhütung mit der Pille ist grundsätzlich einfach: Wer sie nach dem vorgesehenen Schema regelmäßig einnimmt und auf Wechselwirkungen durch z.B. andere Medikamente achtet, kann damit sehr leicht wirksam verhüten. Aber: Verhütung per Pille beruht auf der künstlichen Zuführung von Hormonen - das bedeutet einen echten Eingriff in den Hormonhaushalt der Frau und birgt auch die Gefahr für Nebenwirkungen.
Während das vor allem in den Anfangsjahren der Pille für viele Frauen eher weniger eine Rolle spielte oder als notwendiges Übel galt, sind viele junge Frauen heute offenbar skeptischer - zumindest geht die Zahl der Pillen-Nutzerinnen seit einiger Zeit zurück: So haben sich 2019 laut einer Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK 31 Prozent der gesetzlich versicherten Mädchen und jungen Frauen die Pille verschreiben lassen. 2010 waren es noch 46 Prozent. Diese Auswertung bezieht sich auf gesetzlich versicherte Nutzerinnen bis 22 Jahre, bei denen die Pille von den Kassen seit 2019 übernommen wird. Eine Auswertung der Daten der Techniker Krankenkasse zeigte, dass 2018 "nur noch" 48 Prozent und damit weniger als die Hälfte der TK-versicherten Frauen zwischen 16 und 19 Jahren die Pille verordnet wurde, während es in den Jahren 2013 und 2014 noch rund 60 Prozent der Frauen in diesem Alter waren. Einige Experten vermuten, dass dies mit einem gesteigerten Bewusstsein der Frauen für mögliche Risiken einher geht - und mit neuen Möglichkeiten der Verhütung, die beispielsweise Apps mit Zyklus-Überwachung bieten.
So wirkt die klassische Pille
Die meisten Pillen enthalten eine Kombination aus Gestagen und Östrogen. Solche Präparate verhindern eine Schwangerschaft in dreierlei Hinsicht. Sie unterdrücken den Eisprung, sie verändern den Schleim im Gebärmutterhalskanal, sodass Spermien nicht mehr in die Gebärmutter gelangen können. Und sie verhindern, dass sich die Gebärmutterschleimhaut aufbaut, in die sich ein eventuell befruchtetes Ei einnisten könnte.
Wahrheit und Mythos zu Nebenwirkungen
So lange es die Pille gibt, so lange können sich manchmal auch Gerüchte um Nebenwirkungen halten. Das bekannteste Beispiel: Die Pille macht dick. Tatsächlich kann es bei manchen Präparaten dazu kommen, dass sich Wasser in den Zellen der Nutzerinnen einlagert - das macht sich z.B. auch auf der Waage bemerkbar. Dieser Effekt ist dann dem Östrogen in Kombinationspillen geschuldet, betrifft also klassischerweise nicht die Kategorie der Minipille. Der Fettanteil aber und auch Appetit werden dagegen nicht direkt und grundsätzlich beeinflusst. Bei einigen Nutzerinnen kann es durch die Einnahme der Pille aber zu Stimmungsschwankungen kommen - die wiederum können sich, je nach Individuum, auch im Appetit niederschlagen, dann geht es aber um einen indirekten Einfluss.
Ein wahres Risiko, das durch die Einnahme gerade der klassischen Pille - also eines Kombinationspräparates aus Östrogen und Gestagen - erhöht werden kann, ist dagegen die sogenannte Thromboembolie, oft kurz Thrombose genannt. Das erhöhte Thromboserisiko ist seit 50 Jahren bekannt. Bei dieser Gefäßerkrankung bildet sich ein Gerinsel in einem Blutgefäß, also eine Art Pfropfen. Der kann ein Gefäß unmittelbar am Entstehungsort verstopfen oder durch den Blutkreislauf des Körpers zu einer Engstelle wandern und diese dann verstopfen. Die Folge ist immer: Körperzellen werden mindestens teilweise von der Sauerstoffversorgung durch das Blut abgeschnitten. Es droht der Zelltod. Bekannt ist das vor allem aus dem Zusammenhang mit Herzinfarkt und Schlaganfall, aber in Verbindung mit der Pille treten diese Nebenwirkungen besonders häufig in den Beinen auf. Das Thromboserisiko gilt insbesondere bei neueren Präparaten, den sogenannten Pillen der 3. und 4. Generation, als erhöht - auch im Vergleich zu Pillen der 1. und 2. Generation.
Risikoabwägung mit Östrogen & Gestagen
Die kombinierten Sexualhormone Östrogen und Gestagen beeinflussen die Blutgerinnung. Je niedriger das Östrogen dosiert ist, desto sicherer ist die Pille, so der Grundsatz. Heute gelten rund 20 Mikrogramm Östrogen als gut verträglich und das Risiko als überschaubar.
Vor allem die Gestagene unterscheiden sich von Pille zu Pille - und damit schwankt auch das Thromboserisiko. Gerade neue Gestagene der 3. und 4. Generation wurden in mehreren großen Studien in den vergangenen fünf Jahren als besonders risikoreich identifiziert.
Im Detail kommt es beim Gestagen auf die Art des Wirkstoffes an: Als besonders risikoreich gelten Desogestrel oder Gestoden, aber auch Cyproteronacetat oder Drospirenon. Unter 20.000 Frauen einer niederländischen Studie, die Pillen mit diesen Wirkstoffen einnahmen, erlitten sieben bis acht eine Thrombose – also fast doppelt so viele Betroffene, wie unter den Frauen, deren Pillen z.B. das ältere Gestagen Levonorgestrel enthielten.
Forschungsobjekt: Pille und Psyche
Spätestens seit 2018 - dem Zeitpunkt zu dem eine sehr detailreiche und aufwändige dänische Studie erschien - wird der Zusammenhang zwischen der Einnahme der Pille (Östrogen-Gestagen-Kombinationspräparat) und Suizid bzw. Depressionen in der Forschung stark diskutiert. Mit dem Depressionszusammenhang hatte sich die gleiche Forschergruppe aus Dänemark schon einige Jahre früher befasst und einen möglichen Zusammenhang erkannt. In der neueren Studie stellten sie eine erhöhte Suizid- wie auch Suizidversuchsrate bei Nutzerinnen der Kombi-Pillen fest, die vor allem die Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen betrafen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) reagierte mit einer Warnung, später wurden durch Einwirken der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) Warnhinweise in Beipackzetteln und Fachinformationen angepasst.
Wie stark der Zusammenhang allerdings wirklich ist - gerade in einer Altersgruppe, bei der viele emotionale Faktoren die Psyche stark beeinflussen - wird noch immer untersucht. Kritiker bemängelten, dass die Differenzierung bei den Präparaten der Studienprobanten - also die Frage wer welche Pille mit welchem Risiko nahm - nicht genau genug gewesen sei. Weitere Kritik: Andere Faktoren, "live events", also emotionale Entwicklungen und Ereignisse, die jedenfalls auch dazu führen, dass junge Frauen die Pille nähmen - und diese Faktoren könnten natürlich stark die Psyche beeinflussen - seien nicht oder nicht genau genug aus dem Zusammenhang herausgerechnet worden. Auch wenn weitere Forschung mehr Informationen liefern kann und vielleicht auch wird, sorgen die Warnungen, z.B. des EMA dafür, dass GynäkologInnen nach psychischen Nebenwirkungen der Pilleneinnahme regelmäßig fragen (sollten).