Interview | Morbus Crohn - Chronisch krank - trotzdem glücklich
Heftige Bauchschmerzen, dazu Durchfall – und das über Tage und Wochen. Typisch Morbus Crohn. Doch die chronisch-entzündliche Darmkrankheit bleibt oft lange unentdeckt. Fast sieben Jahre dauert es auch bei Eva Maria Tappe bis zur Diagnose. Nochmal drei Jahre, bis sie ihre Krankheit akzeptieren kann. Heute unterstützt sie mit ihrem Verein "Chronisch Glücklich e.V." andere chronisch Erkrankte auf ihrem Weg, wieder ein glückliches Leben zu führen.
"Die Diagnosestellung hat sich bei mir relativ lang hingezogen. Der Bauch war gefühlt schon immer meine Schwachstelle – das habe ich in Stresssituationen gemerkt, aber auch beim Essen. Während des Studiums wurde es immer schlimmer.
Ich hatte das Gefühl, ich vertrage auf einmal gar nichts mehr: Wenn ich woanders essen war, musste ich meist direkt vor Ort alles wieder loswerden. Dazu hatte ich vermehrt Bauchschmerzen und meine Leistungsfähigkeit war nicht mehr die gleiche – so als ob mein Akku immer kleiner werden würde.
Ich wurde mit Tests zu Unverträglichkeiten abgespeist
Dabei bin ich ein Mensch, der schon immer sehr viel Sport gemacht hat und immer unterwegs war. Mir war ganz klar, dass da irgendetwas nicht richtig ist. Ich bin mehrfach zum Arzt gegangen, wurde aber nicht ernst genommen und mehr oder weniger mit Tests zu Nahrungsmittelunverträglichkeiten abgespeist. Weil mein Bauch schon sehr gereizt war, habe ich auch auf relativ viele Dinge reagiert. Es wurde aber leider nicht weiter geschaut, welche anderen Gründe es für meine Symptome noch geben könnte.
Mein Körper hat bis zu meinem Studienabschluss durchgehalten. Mit dem Abschluss hat quasi mein Kopf dem Körper gesagt: Du darfst jetzt loslassen, entspannen und dann ist die Erkrankung richtig stark ausgebrochen.
Selbst im Ultraschall konnte man die Entzündung schon lokalisieren
Zu diesem Zeitpunkt war die Symptomatik so klar, dass der Verdacht schnell auf einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung lag. Selbst im Ultraschall konnte man die Entzündung schon lokalisieren. Die Diagnose Morbus Crohn wurde dann etwa eine Woche später durch eine Darmspiegelung bestätigt.
Durch die Entzündung hatten sich in meinem Darm zu dem Zeitpunkt schon Stenosen gebildet – das sind entzündlich bedingte Verengungen. Dadurch konnte die Nahrung den Darm quasi nicht mehr schmerzfrei passieren. Essen war schwierig, dazu kam noch Übelkeit und vor allem starke Schmerzen.
Bei mir stand das Schmerzbild von Anfang an im Vordergrund: Wenn ich einen Schub bekomme, habe ich auch heute noch unglaublich starke Bauchschmerzen, weil das die Art ist, wie mein Körper auf diese Entzündungen reagiert.
Die Diagnose bekam ich am Geburtstag meiner Schwester. Im ersten Moment habe ich mich tatsächlich gefreut. Wenn man jahrelang zum Arzt geht, aber nichts entdeckt wird, zweifelt man irgendwann an sich selbst. Daher dachte ich erstmal: Hey, cool. Endlich wirst du ernst genommen und hast etwas womit du arbeiten kannst.
Nach einigen Monaten kam die Ernüchterung
Mit einer Grippe geht man zum Arzt, bekommt ein Medikament und dann geht es einem schnell wieder besser. Mit einer chronischen Krankheit ist das anders: nach einem halben Jahr ging es mir noch richtig schlecht. Das war der Moment an dem ich gemerkt habe: Du musst dich jetzt damit auseinandersetzen.
Ich habe angefangen Informationen zu sammeln, weil ich verstehen wollte, was mit meinem Körper passiert, wann ich diese Schmerzen bekomme und was ich dagegen tun kann. Gleichzeitig hatte ich Zukunftsängste: Ich hatte vor der Diagnose einen Arbeitsvertrag unterschrieben, fühlte mich aber nicht in der Lage, den Job anzutreten. Gleichzeitig habe ich mich selbst sehr stark unter Druck gesetzt.
Die Diagnose hat an allen Stuhlbeinen gleichzeitig gesägt
Gesundheit? Zukunft? Freunde? Hinter allem standen für mich Fragezeichen. Mir sind einige Freunde weggebrochen, weil ich nicht mehr so funktioniert habe wie früher und sie kein Verständnis für meine Situation aufbringen konnten. Gleichzeitig habe ich es selbst nicht verstanden. In dieser Zeit ging es mir sehr schlecht: es hat bei mir lange gedauert, die passende Therapie zu finden, um die Entzündung wirksam in den Griff zu bekommen.
Ins Kino gehen? Eine Horrorvorstellung!
Mein Körper war extrem schwach. Ich wusste nicht, was passiert, wenn ich etwas esse: Ob ich danach eine Stunde auf der Toilette hänge, mich übergeben muss oder umkippe. Das hat mich natürlich enorm unter Angst gesetzt. Kino zum Beispiel: Es war für mich eine schreckliche Vorstellung fünfmal während des Films auf die Toilette gehen zu müssen. Daher habe ich mich stark eingeschränkt, überhaupt Dinge außerhalb des Hauses zu machen.
Mir ist es in der Zeit sehr schwer gefallen, für mich selbst einzustehen und einfachste Dinge haben mich überfordert. Ich habe mir dann psychotherapeutische Unterstützung geholt und zudem den Entschluss gefasst, in die Reha zu gehen, um dort noch mehr Aufklärung und mehr Unterstützung zu bekommen.
Damals habe ich angefangen den Blog evalescam zu schreiben. Im Lateinischen bedeutet das so viel wie 'Ich werde stark sein'. Chronische Erkrankungen ziehen enorm viel körperliche, aber auch mentale Kraft – und gerade bei Morbus Crohn viel Ausdauer, um durch diesen schubweisen Verlauf zu kommen.
Am Ende bin ich gestärkt aus dieser Zeit heraus gegangen – aber ich freue mich über jeden einzelnen, dem ich mit meinen Erfahrungen und meinem Wissen helfen kann, nicht den gleichen langen Weg durchmachen zu müssen wie ich. Das gibt mir enorm viel zurück und so entstand auch die Idee für den Verein Chronisch Glücklich.
Chronisch krank und chronisch glücklich
Chronisch glücklich bedeutet nicht, mit einem Dauergrinsen durch die Gegend zu laufen. Ich möchte anderen auch keine falschen Hoffnungen machen. Aber ich möchte Leute befähigen wieder ein glückliches Leben zu führen, sie ermutigen für sich selbst einzustehen und mit der Erkrankung einen neuen Alltag zu finden.
Ja, es wird Herausforderungen geben und auch Tage, an denen man sich beschissen fühlt. Aber es gibt auch sehr viel im Leben, das Freude macht. Das ist nichts, was sich ausschließt: Gleichzeitig krank, aber auch glücklich sein – das darf man.