Vitamin B12: Sind Tabletten sinnvoll? - Mangel nur in Ausnahmefällen
Vitamin B12 ist bei den Deutschen sehr beliebt: Knapp sechs Millionen Euro gaben Verbraucher allein im Jahr 2018 für das Vitamin in Reinform aus. Mikronährstoffe versprechen Gesundheit und Wohlergehen, ein langes Leben ohne Krankheit. Doch stimmt das? Sicher, eine ausgewogene Ernährung versorgt uns mit Vitaminen im richtigen Verhältnis. Doch die hochdosierte Aufnahme einzelner Vitamine kann mitunter zu gesundheitlichen Problemen führen.
Donald Trump feiert Hydroxychloroquin als wirksames Mittel gegen das neue Corona-Virus. Die Bundesregierung kauft große Mengen an antiviralen Medikamenten ein, die Mediziner sonst gegen Grippe oder HIV einsetzen. Nun tauchen erste Studien im Internet auf, die suggerieren, dass Vitamin B12 das Virus in Schach halten könnte. Eins ist bei allen Mitteln gleich: Ob sie tatsächlich gegen SARS-Cov2 wirken, ist derzeit ungewiss.
Auch Marc Birringer, Ernährungswissenschaftler von der Hochschule Fulda und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Angewandte Vitaminforschung, ist skeptisch, was die Wirksamkeit von Vitamin B12 gegen das Corona-Virus angeht. "Die Studien, die es aktuell dazu gibt, sind noch weit entfernt vom Einsatz im Menschen", sagt der Vitaminspezialist. Entweder, weil hier theoretische Rechenmodelle bemüht werden oder weil die Versuche bislang nur im Reagenzglas stattfinden. "Die dabei gewählten Konzentrationen liegen in der Regel viel höher als im menschlichen Plasma oder in der Leber und sind damit nicht auf Patienten übertragbar", so Birringer.
Vitamin als Multitalent
Vitamin B12 gilt als Mikronährstoff und kommt im Menschen nur in geringsten Konzentrationen vor. Der Körper braucht es, um Nerven- und Blutzellen gesund zu halten. Gemeinsam mit Vitamin B6 sorgt es dafür, dass Nervenfasern möglichst verlustfrei Informationen weiterleiten.
Dass es bestimmte Virusarten hemmen kann, davon ist nichts bekannt. "Wer Mikronährstoffe und Vitamine zu sich nimmt, mag damit vielleicht sein Immunsystem stärken; ein bestimmtes Virus bezwingen wird er aber nicht", sagt Birringer. Dazu gibt es keine klinischen Studien. "Anekdotische Fälle, dass Menschen nach der Einnahme von hochdosierten Vitaminen spontan von Covid-19 geheilt wurden, mag es geben. Aber ohne wissenschaftliche Untersuchungen kann man dazu seriöser Weise keine allgemeingültigen Aussagen treffen", sagt der Experte.
Vitamin B12 als Risikofaktor?
Wissenschaftliche Studien mit Vitamin B12 gibt es indes viele. Für Unsicherheit hatte zuletzt Anfang 2020 eine niederländische Publikation gesorgt, der zufolge Menschen mit hohen Vitamin B12-Blutspiegeln auch ein höheres Risiko hatten, früher zu versterben. Kann man das Vitamin also überdosieren? Nein, sagt der Ernährungswissenschaftler von der Hochschule Fulda. In der Studie wurde die Ernährung gar nicht berücksichtigt. Es ist also unklar, warum die Blutspiegel des Vitamins so hoch waren. "Beim genauen Hinsehen wird klar, dass die Teilnehmer der Studie auch erhöhte Leber- und Nierenwerte hatten, sprich, sie waren häufiger leber- und nierenkrank", so Birringer. Vermutlich ergaben sich die hohen Werte also, weil die Leber als Speicherorgan mehr Vitamin B12 freigesetzt und die Niere weniger in den Urin abgefiltert haben. Ob die Teilnehmer der Studie tatsächlich infolge des erhöhten Vitamin-B12-Spiegels oder aber aufgrund ihrer kranken Nieren und Leber starben, konnte die Studie nicht klären.
Eine Auswertung von Daten der Nurses’ Health Study aus dem Jahr 2019 gibt den Forschern noch mehr Rätsel auf. Über 30 Jahre hatten Wissenschaftler den Ernährungsstatus von 76.000 Frauen inklusive der von ihnen eingenommenen Nahrungsergänzungsmittel erhoben. Probandinnen unter Vitamin B6 und Vitamin B12 hatten dabei ein erhöhtes Risiko für Hüftfrakturen gezeigt – das zudem mit der Dosis stieg. "Die kausalen Zusammenhänge sind hier völlig offen und unklar", sagt Birringer.
Vitaminspiegel bestimmen lassen
In der Regel scheint eine Überdosierung mit dem Vitamin aber kaum möglich. "Es wäre kontraproduktiv zu sagen, die Einnahme von Vitamin B12 ist gefährlich", so Birringer. "Bei einem ausgesprochenen Mangel oder wenn sich jemand nicht passend ernährt, kann eine Supplementation durchaus notwendig werden." Allerdings sollten Nahrungsergänzungsmittel nur dann eingenommen werden, wenn tatsächlich ein Mangel vorliegt. "Um das herauszufinden, kann man vom Hausarzt den Blutspiegel bestimmen lassen", sagt Birringer. Bei einem begründeten Verdacht übernehmen die Krankenkassen die Laborkosten, ansonsten zahlt der Patient die rund 20 Euro aus eigener Tasche.
Veganer sollten ergänzen
Gefährdet für einen Mangel sind beispielsweise Veganer, da rät sogar die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) zur Extraportion B12. Denn: Das Vitamin ist fast ausschließlich in tierischen Nahrungsmitteln enthalten, besonders reichlich in Leber, Fleisch, Fisch, Eiern und Milch. Wer darauf verzichtet, dem kann es fehlen. Zu wenig Vitamin B12 nehmen oft auch ältere Menschen zu sich, die sich entweder nicht gut ernähren oder bei denen der Darm das Vitamin aus der Nahrung nicht mehr hundertprozentig aufnimmt. Klassischerweise zeigt sich ein Mangel durch Müdigkeit, Nervosität und Schlafprobleme. Ein Mangel ist bereits fortgeschritten, wenn die Hände anfangen zu kribbeln oder die Betroffenen unter Blutarmut leiden.
Empfehlenswert sind in solchen Fällen vor allem Produkte aus der Apotheke, vom Kauf im Internet rät Experte Birringer dagegen ab. Algenpräparate sind als B12-Quelle ungeeignet. Das darin enthaltene Vitamin B12 ist für den Menschen größtenteils nicht nutzbar. Für alle anderen reicht eine ausgewogene Mischkost: mit Milch und Milchprodukten, Eiern, Fisch, Meeresfrüchten, Geflügel und magerem Fleisch. Die von der DGE empfohlenen vier Mikrogramm täglich lassen sich beispielsweise mit einem kleinen Glas Milch, einem Becher Jogurt, einem Ei und 60 Gramm Camembert erreichen.
Beitrag von Constanze Löffler