Therapie aus Antikörpern - Das Blut der Anderen
So lange es keine wirksamen Medikamente oder eine Impfung gibt, sind Antikörper aus dem Blutplasma genesener Corona-Patienten die einzige Hoffnung für eine wirksame Therapie bei schweren Verläufen von COVID-19. Wie das funktioniert? Wir haben die Infos hier zusammengetragen.
Cornelius Knabbe ist zuversichtlich: Noch diese Woche, sagt der Transfusionsmediziner vom Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen, könnten die ersten COVID-19-Patienten behandelt werden - mit Antikörpern aus dem Blut von Patienten, die eine Infektion mit SARS-CoV-2 überstanden haben. "In den letzten Tagen haben sich bei uns über 150 ehemalige Corona-Patienten gemeldet, die bereit sind, ihr Plasma zu spenden", sagt Knabbe.
Die darin enthaltenen Abwehrstoffe sollen dem Immunsystem von COVID-19-Kranken die nötige Kraft verleihen, um das neuartige Corona-Virus zu bekämpfen. Damit die Erkrankung weniger schwer verläuft. Damit Patienten seltener oder kürzer beatmet werden müssen. Damit sie schneller genesen.
Die Therapielücke schließen
Das wäre nicht nur hilfreich für die Patienten, sondern würde auch die Kliniken entlasten. Denn auf den Intensivstationen Deutschlands wird die Lage zunehmend ernster. Derzeit sind Schätzungen des Berliner Robert-Koch-Instituts zufolge rund 2.000 Intensivbetten durch Corona-Patienten belegt – Tendenz steigend. Ein Impfstoff gegen SARS-CoV-2 wird unter günstigen Umständen erst in ein bis zwei Jahren zur Verfügung stehen. Bekannte Medikamente gegen Malaria, HIV, Rheuma und SARS, die aktuell gegen COVID-19 getestet werden, haben bisher nicht den großen Durchbruch gebracht. Die Therapielücke soll nun die Antikörpertherapie mit dem Blutplasma von Genesenen schließen.
Wertvolle Proteine - nur: wer trägt sie in sich?
Antikörper sind Eiweißmoleküle, die der Körper im Laufe einer Infektion entwickelt, um den Krankheitserreger zu bekämpfen. Sie neutralisieren das Virus und machen es unschädlich. Im Blut von Menschen, die COVID-19 bereits überstanden haben, finden sich die wertvollen Eiweißmoleküle in großer Zahl. Eine Infusion mit ihrem Plasma könnte helfen, schwere Verläufe von COVID-19 zu stoppen oder Hochrisikogruppen vor einer Infektion zu schützen. An die 30.000 Deutsche haben der US-amerikanischen Johns Hopkins-University zufolge bereits eine Corona-Infektion überstanden. Die Dunkelziffer jener, in deren Blutstrom die wertvollen Antikörper schwimmen, mag gar um ein Vielfaches höher liegen.
Antikörper bildet das Immunsystem immer dann, wenn neue Erreger in den Körper eindringen, wir uns also mit einer Erkrankung angesteckt haben. Das Virus SARS-CoV-2 dockt mit seinen auffälligen Spike-Proteinen zunächst an menschliche Zellen an und dringt dann in sie ein. Dort vermehrt sich das Virus rasant und befällt weitere Zellen. Im Mittel dauert es bei COVID-19 10 -14 Tage ab Infektion, bis der Körper die rettenden Antikörper bildet. Sie blockieren das Spike Protein und neutralisieren so das Virus. Es kann keine neuen Zellen mehr befallen, sich nicht weiter im Körper vermehren. Dringt der Erreger erneut ein, wird er von den Antikörpern vernichtet. Im besten Fall auch im Körper derer, welche die Antikörper per Plasmaspende erhalten haben.
Genesungseffekte übertragbar machen
Statt selbst erst Antikörper bilden zu müssen, eliminiert die Immunabwehr die Viren mit den gespendeten Abwehrmolekülen. Dass dieser Weg funktionieren könnte, legt eine Studie nahe, die eine chinesische Forschergruppe Ende März im amerikanischen Ärzteblatt JAMA veröffentlicht hat. Die Ärzte hatten fünf Patienten, allesamt schwer an COVID-19 erkrankt und beatmungspflichtig, erfolgreich mit dem Plasma Genesener behandelt. Den fünf Patienten ging es nach der Gabe von einmal 400 Milliliter Spenderserum besser, ihr Fieber sank, ihre Lungen tankten deutlich mehr Sauerstoff, nach und nach waren alle Patienten virenfrei.
Auch eine Studie aus China, in der die Autoren zehn COVID19-Patienten Spenderplasma verabreichten, vermeldet ähnliche Erfolge: In der bislang nicht begutachteten Studie stieg die Sauerstoffsättigung im Blut, was eine eine verbesserte Lungenfunktion anzeigt, die Entzündungswerte im Blut sanken. Die Lunge erholte sich, wie Röntgenbilder zeigten.
Die Idee, Infizierte mit den Abwehrstoffen Genesener zu therapieren, ist nicht neu. Ärzte haben das Verfahren in der Vergangenheit erfolgreich bei SARS, Influenza, bei Vogelgrippe und Ebola getestet. Auch bei der Spanischen Grippe, die zwischen 1918 und 1920 weltweit mehr als 50 Millionen Menschen tötete, kam die Methode zum Einsatz.
Die Idee zur Therapie stammt übrigens von einem Deutschen: Der Infektiologe Emil von Behring, Charité-Arzt und späterer Gründer der Behringwerke, setzte schon vor 130 Jahren erfolgreich Antikörper von Schaf und Pferd gegen Diphterie und Wundstarrkrampf beim Menschen ein. Von Behrings Blutserumtherapie brachte ihm 1901 sogar den Nobelpreis ein.
Kritik und viele Fragen bleiben
So plausibel die Therapie klingt – im Falle von COVID-19 sind viele Fragen noch ungeklärt. Skeptiker bemängeln, die chinesischen Studien seien zu klein, um verlässliche Aussagen zu treffen. Weil sie nicht unter kontrollierten Bedingungen ablief, wisse keiner, ob die Patienten nicht auch ohne die Plasmatherapie wieder auf die Beine gekommen wären. Zudem hätten die Patienten zahlreiche weitere Arzneimittel bekommen, wie antivirale Medikamente und Steroide. Wirklich überzeugen könnte solch eine Studie erst, so die kritischen Wissenschaftler, wenn man zeigen kann, dass die Heilungserfolge mit Plasma signifikant besser sind als bei einer Kontrollgruppe von Patienten, die kein Plasma bekommt.
Unklar sind auch der ideale Zeitpunkt der Gabe, die benötigte Menge der Antikörper und die tatsächliche Effektivität der Therapie. Anwendungsergebnisse in der Vergangenheit schwankten stark. Eine Studie mit knapp 1.800 SARS-Patienten aus dem Jahr 2005 fiel nur mäßig erfolgreich aus: Mit Plasma starben 12,5 Prozent der Patienten, ohne 17 Prozent.
In einer Auswertung von acht Studien mit 1.703 Patienten, die an Spanischer Grippe und Lungenentzündung litten, senkte die Plasmatherapie die Sterblichkeit immerhin um 21 Prozent. Vermutlich ist die Wirksamkeit abhängig vom Zeitpunkt der Gabe. "Die Patienten in der SARS-Studie haben das Plasma erst zu einem sehr späten Zeitpunkt bekommen, als ihre Erkrankung schon sehr weit fortgeschritten war", sagt Transfusionsmediziner Cornelius Knabbe. Idealerweise bekämen Patienten mit COVID-19 das Konzentrat, sobald sie beatmungspflichtig würden oder am sogar noch früher, beim Eintritt in die Intensivstation.
Wer es überstanden hat, kann anderen helfen
In Kürze sollen weltweit die ersten kontrollierten Studien mit dem Spenderplasma an den Start gehen, auch in Deutschland. Das Paul-Ehrlich-Institut, Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, hat die Genehmigung einer ersten klinischen Prüfung mit COVID-19-Rekonvaleszentenplasma (CAPSID) in Deutschland erteilt. Die deutsche CAPSID-Studie will an mehreren Studienzentren COVID19-Patienten einschließen, die Probleme mit der Atmung haben oder bereits beatmet werden. Später sollen auch Patienten Plasma bekommen, die noch nicht so schwer erkrankt sind und bei denen man hofft, dass sich ein Klinikaufenthalt oder gar eine Infektion verhindern lassen.
Mittlerweile suchen zahlreiche Blutspendedienste bundesweit nach Freiwilligen, die eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus überstanden haben. Für Prof. Knabbe ist die Eins-zu-Eins-Spende erst der Anfang der Plasmatherapie. Denn: "Die Qualität der Plasmaproben variiert von Spender zu Spender hinsichtlich Menge und Art der Antikörper."
Wirksamer wären vermutlich sogenannte Hyper-Immunglobulin-Produkte. Dabei werden tausende Spenden gepoolt. Die aus dem Pool gewonnenen medizinischen Produkte enthalten hoch konzentriert verlässliche Mengen an Abwehrstoffen. Statt der Viertelliterportionen beim Genesenen-Plasma reichen davon wenige Milliliter. "Wir geben solche Konzentrate schon heute parallel zur Impfung bei Menschen, bei denen der Verdacht besteht, sie könnten sich mit Tetanus infiziert haben", so Knabbe. Diese Behandlung hat die Kraft, das Auftreten von Wundstarrkrampf zu vermeiden.
Beitrag von Constanze Löffler