Interview l Forschen an der Impfung gegen SARS-CoV-2 - Impfstoffsuche: "Wir brauchen massiv vereinfachte Zulassungsprozesse!"
Die ganze Welt hofft darauf, dass die Forschung so schnell wie möglich wirksame Mittel gegen SARS-CoV-2 entwickelt. Schweizer Forscher*innen haben jetzt in Nagern einen von ihnen entwickelten Impfstoff getestet. Die geimpften Mäuse entwickelten vielversprechend hohe Antikörper-Konzentrationen gegen SARS-CoV-2. rbb Praxis hat mit Prof. Martin Bachmann über diese Forschungsergebnisse gesprochen.
Herr Prof. Bachmann, wir erwischen Sie gerade zu Hause in heimischer Isolation. Wie kam es dazu?
Wir hatten am Freitag eine Crew von Spiegel-TV bei uns im Labor. Eine Frau aus dem Team ist jetzt krank – Verdacht auf Corona.
Wie fühlt sich das an? Sie sind gerade dabei, einen Impfstoff zu entwickeln und müssen jetzt zu Hause hocken?
Gar nicht gut. Das Schlimmste ist: Nicht nur ich, sondern mein ganzes Laborteam sitzt im Moment daheim. Ich hoffe, die Frau hat nur eine Grippe und wir können schnell weiter arbeiten.
Sie gehören zu den schätzungsweise zwei Dutzend Arbeitsgruppen weltweit, die derzeit fieberhaft daran arbeiten, eine Impfung gegen SARS-CoV-2 zu entwickeln. In Seattle wurde am Montag einer ersten Probandin ein möglicher Impfstoff gegen das Coronavirus gespritzt. Wie schätzen Sie das ein?
"mRNA-1273" entwickeln die US-Biotech-Firma Moderna und die staatlichen National Institutes of Health (NIH) gemeinsam.
Nun wurden die Vakzine an Menschen getestet - ein Vorgehen, das mit allen Regeln der Pharmaforschung bricht [Anm. der Red.: Also ohne die bekannte Testphase an Labortieren]. Unser Impfstoff nutzt ein anderes Prinzip – und wir haben ihn zumindest schon an Mäusen erprobt.
Mit welchem Ergebnis?
Wir haben im Ganzen neun Mäusen drei Mal in wöchentlichem Abstand 30 Mikrogramm injiziert. Daraufhin haben die Mäuse neutralisierende Antikörper gegen das injizierte Virus-Protein gebildet. Wir haben den Mäusen Blut abgenommen und das Serum aufbereitet.
Im Reagenzglas konnten wir dann zeigen, dass das Serum mit den Antikörpern die infektiösen Anteile des Virus blockiert – und damit die Viren neutralisiert. Unser Ansatz funktioniert also.
Sie sagten, Sie nutzen ein anderes Prinzip ...?
Ja, viele Firmen, auch CureVac aus Tübingen, arbeiten mit mRNA-Impfstoffen. Diese bestehen lediglich aus dem genetischen Code für die Antikörper, eben der mRNA. Sie kodiert die Botschaft für das Antikörper-Protein.
Spezielle Zellen des Immunsystems, die B-Zellen, sollen dazu angeregt werden, Antikörper zu bilden. Bislang hat meines Wissens aber noch niemand gezeigt, dass dieser Typ von Impfstoffen wirklich Antikörper induziert. Wenn überhaupt, dann gibt es dazu nur eine ganz dünne Datenlage.
Und was machen Sie anders?
Sie kennen sicher die Abbildungen des Virus, das mit seinen Spitzen oder Spikes ein bisschen an einen Seeigel erinnert. Dieses Spike-Protein ist für die Infektion zuständig. Damit dockt das Virus an spezielle Rezeptoren, die ACE2-Rezeptoren, an und dringt darüber in menschliche Zellen ein. Das ist das Antigen, gegen das das Immunsystem Antikörper bilden soll.
Wir koppeln diesen Anteil des Virus an ein für den Menschen ungefährliches Virus, das Gurken-Mosaik-Virus, kurz GMV. Wir erschaffen quasi ein neues Virus, das durch diesen angeklebten Teil vom Coronavirus eben wie einen Virus aussieht [Anm. d. Red.: Damit das Immunsystem das Aussehen des "Gegners" quasi gefahrlos erlernen kann]. Das Ganze nennt man Virusartige Partikel (VLPs, virus-like particles).
Gibt es damit Erfahrungen?
VLPs werden bereits als wirksame Impfstoffe eingesetzt. Die letzte Vakzine, die nach diesem Prinzip funktioniert und wirklich berühmt geworden ist, ist der Impfstoff gegen das humane Papillomavirus (HPV) zum Schutz vor Gebärmutterhalskrebs.
Wir wissen: Die Kombination von Virus-Antigen und Fremdvirus in VLPs verstärkt die Wirkung des Impfstoffs und damit den Schutz. Auch wir haben in der Vergangenheit bereits wiederholt zeigen, dass Impfstoffe auf der Basis von VLPs bei allen getesteten Spezies, auch beim Menschen, hohe Konzentrationen von Antikörpern induzieren.
Ist das irgendwie gefährlich?
Nein. Dadurch, dass nur ein Bruchstück des Virus für den Impfstoff genutzt wird, vermehrt es sich ganz sicher nicht im Menschen. Und man kann es leicht in riesigen Mengen herstellen.
Wie weit sind Sie bei der Entwicklung Ihres Impfstoffkandidaten?
Wahrscheinlich sind wir die Gruppe, die mit diesem Typ von Impfstoff am Weitesten ist. Meines Wissens konnte von den anderen noch niemand zeigen, dass ihr Impfstoff wirklich neutralisierende Antikörper induziert.
Klar, jeder kann was in eine Maus oder in den Menschen spritzen. Aber um das Virus erfolgreich zu bekämpfen, brauchen wir neutralisierende Antikörper, die das ganze Virus neutralisieren.
Woher wissen Sie, dass dieses spezielle Protein Antikörper produziert, die das gesamte Virus stoppt?
Das wissen wir von SARS und MERS. Beide Erreger sind eng verwandt mit dem neuen Coronavirus. Und bei beiden hat dieser bestimmte Abschnitt an den Spikes die gewünschten Antikörper induziert – und zwar nicht nur in Mäusen, sondern auch in Katze, Hund und Pferd.
Was macht Sie so sicher, dass Ihre Ergebnisse an den Mäusen auf den Menschen übertragbar sind?
Aus der Vergangenheit wissen wir, dass die VLPs sehr verlässlich neutralisierende Antikörper hervorrufen. Es gibt daher keinen Grund anzunehmen, der Mensch würde andere Antikörper produzieren als die Maus.
Aus anderen Studien wissen wir wiederum, dass die Antikörper der Maus uns immer gut vorausgesagt haben, was im Menschen geschieht: Wenn die Maus X macht, macht der Mensch Y.
Sie würden also den gleichen Impfstoff nehmen, den Sie jetzt an Mäusen getestet haben und uns Menschen spritzen?
Im Prinzip ja, wir müssten nur höhere Reinheitsgebote beachten. Und bevor wir den Impfstoff in einer Phase-I-Studie an gesunden Menschen testen, würden wir eine Toxizitätsstudie machen, um zu zeigen, dass der Impfstoff keine Nebenwirkungen auslöst. Das ist zwar nicht zu erwarten, aber ein Wirkstoff, der so breit eingesetzt würde, muss wirklich sehr sicher sein.
Angenommen, der Impfstoff wird schnell zugelassen. Könnte sich das Virus so verändern, dass ein jetzt entwickelter Impfstoff zukünftig nicht mehr wirkt?
Davon gehe ich nicht aus. Wir haben bei den Corona-Viren nicht das Problem wie beispielsweise mit den Influenza-Viren, die sehr wandlungsfähig sind. Wiederum bei MERS gab es tausende verschiedene Virusisolate, die von verschiedenen infizierten Menschen gewonnen wurden. Sie ließen sich alle durch die gleichen Antikörper neutralisieren. Auch das neue SARS-CoV-2 ist genetisch sehr stabil.
Will man das Virus nach Plan eliminieren, braucht man Ihrer Meinung nach einen Impfstoff.
Unbedingt. In China sind doch vermutlich 99,99 Prozent der Leute noch nicht infiziert. Wenn China jetzt seine isolierenden Maßnahmen stoppt, kann man davon ausgehen, dass SARS-CoV-2 zurückkommt. Es sei denn, es geht uns wie mit SARS. Das Virus ist damals spontan verschwunden. Aber darauf würde ich mich ungern verlassen.
Benötigen Sie dafür Geld?
Klar. Wir suchen nach Kapitalgebern, die den Atem und das nötige Geld für den Zulassungsprozess haben. Wir sind uns sicher, dass unser Impfstoff wirkt und die Corona-Pandemie abkürzen könnte.
Das klingt phantastisch, wie geht es bei Ihnen weiter?
Wir möchten den Impfstoff so schnell wie möglich in die nächste Phase bringen und bei gesunden Menschen testen. Dazu müssen wir dringend das Herstellungsverfahren vereinfachen. Denn um den Impfstoff noch in dieser Pandemie einsetzen zu können, müssten wir sehr bald sehr große Mengen in sehr kurzer Zeit herstellen können.
Was hindert Sie daran?
Das strenge GMP-Verfahren. Unter GMP ("Good Manufacturing Practice") versteht man die "Gute Herstellungspraxis für Arzneimittel". Sie reguliert die Anforderungen an die Hygiene, an Räumlichkeiten, die Ausrüstung, Dokumentationen und Kontrollen bei der Herstellung von Arzneimitteln und Impfstoffen. Das Regelwerk ist so streng, dass man eigentlich neu zertifiziert werden muss, wenn man eine Zentrifuge von rechts nach links verschiebt.
Klar, hier geht es um die Sicherheit von Menschen.
Natürlich. Regulation ist wichtig, unbedingt. Doch dieses System ist nicht darauf ausgelegt, dass ein Virus über Nacht die Menschheit überfällt. Wenn es nicht sechs Jahre dauern soll, bis der Impfstoff verfügbar ist, brauchen wir eine massiv vereinfachte Zulassung.
Bei Ebola hat das funktioniert. Damals war die Sterblichkeit nur viel, viel höher und es waren nur ein paar tausend Menschen, die man immunisieren musste. Wollen wir die aktuelle Pandemie in den Griff kriegen, ohne dass sich 70 Prozent der Leute infizieren, müssen gewaltige Abstriche in den Entwicklungsauflagen gemacht werden.
Sind Sie denn im Kontakt mit den Behörden?
Ja, wir sind gerade dabei, aber im Moment hocke ich hier in der Isolation und kann nicht viel tun.
Prof. Bachmann, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Constanze Löffler