Interview l Umgang mit Asthma in Zeiten von Corona - "Schützen Sie Ihre Atemwege"
Etwa fünf Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Asthma. Kortison ist in der Regel das Medikament, das ihnen Erleichterung bringt. Doch seitdem das neuartige Coronavirus kursiert, sind viele Asthma-Patienten verunsichert: Sind ihre Bronchien durch den Wirkstoff empfänglicher für das neuartige Corona-Virus SARS-CoV-2? Antworten und Tipps von der rbb Praxis.
Viele Asthma-Patienten sind zur Zeit verunsichert, denn sie fürchten: Was ihnen z.B. im Fall eines Anfalles hilft, könnte sie für den Lungenkeim SARS-CoV-2 anfälliger machen. Die wichtigsten Infos von Medizinern für diese Patienten:
- Inhalative Kortikosteroide (Beclometason, Budesonid, Fluticason etc.) unbedingt weiternehmen – derzeit kein Anhaltspunkt für erhöhtes Infektionsrisiko mit SARS-CoV-2
- Atemwege bestmöglich pflegen, Therapie optimieren (richtige Inhalationstechnik; Mund nach Inhalation ausspülen)
- Biologika-Therapie fortsetzen
- Besondere Vorsicht: Patienten mit schwerem Asthma, die Kortison in Form von Tabletten einnehmen (gelten als Risikopatienten)
Erle, Esche, Pappel - der Pollenflugkalender zeigt es deutlich: Für Allergiker fängt gerade die Zeit an, in der sie ihre Medikamente täglich benötigen. Viele Patienten mit allergischem Asthma inhalieren regelmäßig oder bei Bedarf kortisonhaltige Medikamente. "Wir stellen fest, dass viele von ihnen verunsichert sich und sich aktuell fragen, ob diese Mittel die Gefahr erhöhen, sich mit SARS-CoV-2 anzustecken oder an schwereren Verläufen mit COVID-19 zu erkranken", sagt Marek Lommatzsch, Lungenfacharzt und Allergologe von der Universität Rostock.
Medikamente schützen Atemwege
Der Mediziner gibt Entwarnung: "Inhalative Kortikosteroide in typischer Dosierung erhöhen nicht das Risiko für Atemwegsinfektionen", sagt Lommatzsch. Die inhalativen Kortikosteroide (ICS) jetzt abzusetzen wäre ein großer Fehler, so der Professor. "Es besteht die Gefahr, dass sich das Asthma gravierend verschlechtert und Betroffene zum Arzt oder ins Krankenhaus müssen", erklärt Lommatzsch. Zum einen würden so die Kliniken unnötig belastet. Zum anderen gäbe es gerade im Warte- oder Krankenzimmer das Risiko, sich erst recht mit dem Coronavirus anzustecken.
Dazu kommt: Ohne ausreichende Behandlung sind die auskleidenden Zellen der Atemwege stark angegriffen, so dass die Atemwege sehr empfindlich sind, Erreger leicht eindringen können. Wer seine Medikamente in dieser Zeit absetzt, erhöht deshalb das Risiko an COVID-19 oder anderen Atemwegsinfektionen zu erkranken. "Unbehandelte Atemwege beim Asthma müssen Sie sich wie aufgescheuerte Haut vorstellen. Die ICS führen dazu, dass sich die Wunde verschließt und die Erreger keine Chance haben", erklärt Lommatzsch.
Lange bekannt, sehr gut wirksam
Die ganze aktuelle Aufregung rührt von einem Missverständnis, stellt Lommatzsch klar: Kortison ist ein altes, vielfach erprobtes Mittel. Ärzte setzen es ein, um die überschießende Reaktion des Immunsystems zu stoppen, beispielsweise bei Autoimmunerkrankungen wie Rheuma oder Multipler Sklerose. Geschluckt, gespritzt oder als Infusion unterdrückt es effizient das Immunsystem.
Aber: Die körperliche Abwehr reagiert unter einer Behandlung mit Kortison auch zögerlicher auf eindringende Krankheitserreger. "Das gilt aber vor allem für eine Therapie mit Tabletten, Spritzen oder Infusionen, bei denen Kortikosteroide in hohen Dosen in den ganzen Körper gelangen", sagt Lommatzsch. Menschen unter dauerhafter Kortisontherapie haben eine erhöhte Gefahr für Infektionen mit Bakterien, Viren und Pilzen.
Positive Besonderheiten von Asthmasprays
Völlig anders liegt der Fall bei Asthma-Patienten: Sie inhalieren ihre Steroide – und das Kortison gelangt fast nur an die Bronchien, damit es optimal wirken kann. "Kortisonhaltige Asthmamittel zum Inhalieren in niedriger Dosis erzeugen keine Abwehrschwäche", sagt Asthma-Experte Lommatzsch. Nur ein sehr geringer Teil des Kortisons geht in den Körperkreislauf über, wird dort aber rasch abgebaut.
Seit sie in den 1970er Jahren hierzulande eingeführt wurden, sind die ICS der mit Abstand wichtigste Baustein der Asthma-Therapie. Für die meisten Patienten mit Asthma sind sie die unverzichtbare Basis der Therapie. "Nur dank dieser Asthmasprays können wir die Erkrankung heute so gut führen und ohne Weiteres ambulant behandeln", sagt Lommatzsch. In der Zeit davor erlitten Asthma-Patienten häufig Phasen, in denen sich die Symptome stark verschlimmerten; die Krankheit endete oft tödlich.
Wer ist gefährdet?
Dennoch gibt es Asthma-Patienten, die stärker für eine Infektion mit SARS-CoV-2 gefährdet sind: Jene nämlich, die aufgrund einer aktuellen Asthma-Verschlechterung Kortikosteroide wie Prednisolon als Tablette, Spritze oder Infusion bekommen. "Diese Akut-Behandlungen helfen in der kritischen Situation massiv und können sogar lebensrettend sein", sagt Lommatzsch. "Die Therapie sollte dabei so kurz wie möglich sein, um die Patienten nicht unnötig zu gefährden."
Auch Patienten mit schwerem Asthma, die zur Kontrolle ihrer Symptome regelmäßig Kortisontabletten einnehmen müssen, haben ein erhöhtes Risiko. "Diese Patienten sind infektgefährdet und sollten sehr strikt die aktuellen Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes befolgen, auf sehr gute Handhygiene achten und persönliche Kontakte mit Menschen meiden", sagt der Pneumologe.
Gute Asthma-Kontrolle ist entscheidend
Für alle anderen hat weitest gehende Beschwerdefreiheit oberste Priorität: "Menschen mit Asthma-Beschwerden führen ihre verordnete Therapie am besten regelmäßig weiter. Bestehen weiter Symptome, können sie mit ihrem Arzt telefonische Rücksprache halten, wie sich die Therapie optimieren lässt."
Jenen, die ihren Arzt nicht erreichen, rät Lommatzsch zu Selbstinitiative: "Patienten mit Asthma-Beschwerden können die Inhalationen mit ihren ICS vorübergehend erhöhen, gegebenenfalls bis zur Höchstdosis laut Beipackzettel."
Lunge fit halten hat Priorität
Für das neuartige Corona-Virus ist bislang noch kein Impfstoff in Sicht. Umso wichtiger ist es, dass sich Asthma-Patienten vor allen Erkrankungen durch Bakterien und Viren schützen, die auf die Lungen schlagen können. Denn: Entzündungen von Bronchien oder Lungen verstärken häufig asthmatische Beschwerden.
"Es ist sinnvoll, sich gegen Pneumokokken impfen zu lassen - auch um zu verhindern, dass es zu einer gleichzeitigen Infektion mit mehreren Erregern kommt, die den Organismus zusätzlich belasten und den Krankheitsverlauf verschlimmern würden", sagt Lommatzsch. Die Influenza-Saison neige sich langsam dem Ende zu. Aber spätestens im kommenden Herbst macht es wieder Sinn, sich dagegen impfen zu lassen.
Beitrag von Constanze Löffler