Interview | Blutdrucksenker - Bluthochdruck? Versenkt!
Jeder dritte Erwachsene in Deutschland hat Bluthochdruck. Sind Blutdrucksenker die (Er)Lösung? rbb Praxis hat mit Prof. Dr. Trenkwalder über die richtigen Medikamente, den Valsartan-Skandal und die Bedeutung von Entschleunigung gesprochen.
Bluthochdruck ist laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) die größte globale Gesundheitsgefahr. Ab wann sollte ein Patient zu Blutdrucksenkern greifen?
Eine medikamentöse Therapie ist dann angebracht, wenn ein Patient einen eindeutig erhöhten Blutdruck hat. Das heißt, wenn der Blutdruck mehrfach gemessen über 140 zu 90 mm Hg liegen – vor allem, wenn der Patient noch an anderen Erkrankungen leidet, oder die Werte noch höher sind – zum Beispiel über 160 oder sogar 180 systolisch.
Was können Patientinnen und Patienten tun, wenn die Werte zwar erhöht sind, aber noch im Grenzbereich liegen?
Dann rate ich meinen Patientinnen und Patienten, es erst mit den sogenannten Lebensstil-Maßnahmen zu probieren: Das Gewicht optimieren, sich ausreichend bewegen, sich kochsalzarm ernähren, ausreichend Gemüse und Obst essen, also kaliumreiche Kost zu sich zu nehmen. Und was mir ganz wichtig ist: auch für Ruhephasen und Entspannung zu sorgen.
Welche Medikamentengruppen gibt es und wie findet man für einen Patienten den perfekt passenden Blutdrucksenker?
Grob unterscheidet man fünf bis sechs große Gruppen: Das sind die ACE-Hemmer, AT1-Antagonisten, Kalzium-Antagonisten, Betablocker, entwässernde Medikamente (Diuretika). Dann kommen noch Spezialsubstanzen, wie z.B. Alphablocker dazu.
Man weiß, dass junge Patienten besser auf Betablocker und ACE-Hemmer sowie AT1-Antagonisten ansprechen, ältere Patienten reagieren dagegen besser auf Kalzium-Antagonisten und entwässernde Medikamente.
Welche neuen Erkenntnisse gibt es in der Medikamentenbehandlung?
Man weiß heute, dass man bei den wenigsten Patienten mit nur einem Medikament den Blutdruck in idealer Weise in den richtigen Bereich absenken kann – vor allem wenn eine schwere Hypertonie vorliegt. Deswegen greift man meist zu einer gut verträglichen, meist niedrig bis mittel dosierten, Kombinationstherapie aus zwei Tabletten. Da gibt es klassische Kombinationen, die man gut einsetzen kann.
Reizhusten, geschwollene Knöchel, Verdauungsprobleme – das sind nur einige der häufig auftretenden Nebenwirkungen von Blutdrucksenkern. Was können Patienten dagegen tun?
Eine gute Untersuchung und ein ausführliches Vorgespräch sind entscheidend, um für einen Patienten das optimale Mittel zu finden.
Vor allem ist es wichtig, die Patienten auf mögliche Nebenwirkungen im Vorfeld aufmerksam zu machen. Ein Beispiel: Man weiß, dass in Mitteleuropa etwa einer von 20 Patienten auf einen ACE-Hemmer mit Husten reagiert.
Darüber kläre ich den Patienten auf, dann bekommt er eine kleine Packung der Medikamente verschrieben. Wir vereinbaren dann, dass er noch einmal kommt, falls er im Laufe der nächsten zwei, drei, vier Wochen Husten entwickelt. Dann probieren wir etwas anderes aus.
Seit Anfang Juli 2018 haben die Landesbehörden deutschlandweit Präparate mit dem Blutdrucksenker Valsartan aus den Apotheken zurückgerufen. Der Grund: Die Produkte seien verunreinigt gewesen – mit dem potenziell krebserregenden Stoff NDMA. Wie konnte es dazu kommen?
Das hängt damit zusammen, dass wir ein System haben, in dem die Ärzte – von den Kostenträgern, d.h. den Krankenkassen – dazu aufgefordert werden, immer die billigsten Medikamente, die sogenannten Generika zu verordnen. Das sind billigere Nachahmerprodukte.
Das führte beim Fall Valsartan dazu, dass nur noch die Original-Firma Novartis und drei weitere Firmen das Medikament in Europa hergestellt haben. 15 der 18 Nachahmerfirmen haben es bei demselben chinesischen Billigproduzenten herstellen lassen. Dieser Produzent hat 2012 das Verfahren geändert – aber niemanden darüber informiert.
Bei diesem neuen Herstellungsverfahren sind in geringen Mengen auch krebserregende Substanzen angefallen und mit den Tabletten dann an Patienten ausgeliefert worden.
Die Verantwortung dafür liegt aus meiner Sicht eindeutig bei den Kostenträgern und beim Preisdruck in der Medikamentengestaltung.
Was sollte man aus dem Valsartan-Fall lernen?
Eine der Konsequenzen, die man daraus ziehen sollte ist, dass wir in Deutschland wieder umfangreichere Standards in der Medikamenten-Qualitätskontrolle definieren. Das sollten wir dann auch von Firmen fordern, die zwar in Deutschland die Medikamente verpacken, aber irgendwo in der Welt produzieren lassen und sich bisher überhaupt nicht um Qualitätskriterien kümmern – siehe Fall Valsartan.
Was aktuell bei uns passiert ist von der Politik und den Aufsichtsbehörden ist grob fahrlässig. Kurz: Ich glaube man braucht da eine ganz klare Kontrolle und das gilt für alle Nachahmerprodukte. Nachahmerprodukte sollten genauso untersucht und genauso überprüft werden, wie jedes neue Medikament.
Allein im vergangenen Jahr sollen rund 900.000 Patienten in Deutschland das verunreinigte Blutdruckmittel eingenommen haben, so schätzt die Bundesregierung. Sollte die Gesundheit der betroffenen Patientinnen und Patienten nun in besonderer Weise überwacht werden?
Man kann die Ärzte nur bitten, sich eine Notiz zu den Patienten zu machen, die über mehrere Jahre betroffene Generika genommen haben. Natürlich sollten bei Betroffenen auch Symptome, die irgendwie auf eine Tumorentstehung hinweisen sehr ernst genommen und kritisch nachverfolgt werden.
Es wird nicht jeder fünfzigste oder jeder hundertste ein Problem bekommen, aber man kann sich vorstellen dass jeder 5.000 oder jeder 10.000 Patient einen extra Tumor bekommt und das sind dann sicherlich einige Dutzend Betroffene.
Sie Sind Chefarzt am Klinikum Starnberg, wie hat sich der Valsartan-Fall auf Ihren Arbeitsalltag ausgewirkt?
Am Klinikum bei uns war Valsartan schlagartig nicht mehr verfügbar, weil die wenigen Firmen, die ein sauberes Valsartan hergestellt hatten, über Nacht ausverkauft waren. Wir haben die Patienten auf ähnliche Präparate umgestellt, mit denen wir gute Erfahrungen gemacht haben. Das ist in der Regel unproblematisch.
Ärgerlich finde ich aber, dass die Patienten in diesem Fall auch für das neue Medikament wieder zahlen mussten.
Gab es viele Patienten, die nach dem Skandal ihren Blutdrucksenker – auch wenn es ein anderer Wirkstoff war – sofort absetzen wollten?
Da gab es natürlich einige. So eine Meldung geht sehr schnell durch die Medien und wenn da gesagt wird, ein Blutdrucksenker ist krebserregend, werden viele Patienten unsicher.
Oft sind Medikamente über viele Jahre und Jahrzehnte an vielen Millionen Patienten eingesetzt worden und über Nacht werden sie durch eine einzelne Studie in Verruf gebracht. Mit solchen Meldungen über Einzelstudien sollte man grundsätzlich sehr vorsichtig sein. Aber man muss aufpassen, die Berichterstattung verfolgen und vor allem auch weitere kritische Untersuchungen machen.
Neben Medikamenten gibt es einiges, das man selbst tun kann, um Bluthochdruck vorzubeugen oder entgegenzuwirken. Sie hatten die Lebensstilmaßnahmen bereits erwähnt. Was empfehlen Sie Ihren Patienten konkret?
Ich glaube eine gute Sportart ist zum Beispiel das Nordic Walking, weil das eine schöne Ausdauersportart ist. Im Winter ist auch Ski-Langlauf ideal. Das sind Sportarten, die wirklich den Blutdruck runterbringen. Für die Patienten ist es auch schön zu erleben, dass ihr Blutdruck deutlich niedriger ist und sie selbst nach dem Sport viel entspannter sind.
Mir ist auch ganz wichtig, dass die Entspannung nicht zu kurz kommt: Ein bisschen weniger Termine, ein bisschen weniger Hektik im Alltag auch mal Ruhe zwischendurch – egal ob Sie ein Buch lesen oder einen gemütlichen Abend mit Freunden verbringen – sich dafür Zeit zu nehmen, tut gut und ist sehr wichtig.
Viele nehmen sich auch in ihrer Freizeit zu viel vor...
Ich denke wir sind heute alle stark getaktet, gerade auch in unserer Freizeit. Der Freizeitstress wird dann zu einem zusätzlichen Faktor, der den Blutdruck steigen lässt. Eigentlich sollten wir uns in der Freizeit aber erholen und ein bisschen vom Alltagsstress runterkommen.
Ich empfehle meinen Patienten daher, das Abendprogramm mal bewusst ausfallen zu lassen. Lassen Sie den Abend einfach offen und schauen, was sich ergibt. Es muss nicht langweilig sein, aber mein Appell: Einfach nicht ein Wochenende von Freitag 16 Uhr bis Sonntag 22 Uhr verplanen.
Gibt es noch etwas, das Sie unseren Lesern gerne auf den Weg geben wollen?
Jeder über-18-Jährige sollte seinen Blutdruck kennen und sollte irgendwann einmal den Blutdruck messen lassen. Wenn man da einen Blutdruck hat, der absolut normal ist, also 120 zu 80 oder 120 zu 75, dann hat man die nächsten zwei, drei Jahre sicherlich Ruhe und braucht nicht ständig Blutdruck messen.
Wenn er aber in einen Bereich kommt, der sich langsam der Hypertonie mit 140 zu 90 nähert, dann sollte man den Blutdruck sicherheitshalber alle sechs Monate kontrollieren lassen. Alternativ kann man sich auch selbst ein Messgerät kaufen und den Blutdruck regelmäßig überwachen und bei Veränderungen zum Arzt gehen. Da wäre schon ganz viel erreicht.
Vielen Dank für das angenehme Gespräch!
Das Interview führte Ariane Böhm.