Was hilft - was schadet? - Immunsystem richtig stärken
In der kalten Jahreszeit sind besonders viele Keime in der trockenen Luft - und verbreiten sich darin besonders gut. Viele versuchen jetzt Ihr Immunsystem nochmal richtig zu stärken - oder durch Nahrungsergänzung und Hausmittel die Erkältung in letzter Sekunde abzuwehren. Aber was hilft wirklich? Was ist zu viel des Guten? Und hilft eine Stärkung noch, wenn man eigentlich schon angeschlagen ist? Die rbb Praxis informiert.
Winterzeit ist Erkältungszeit - nicht nur weil Temperaturwechsel zwischen drinnen und dem kalten Draußen im Körper für mehr Stress sorgen, als zu wärmeren Zeiten, sondern auch, weil es Keime in trockener Luft leichter haben sich zu verbreiten und länger überleben. Viele Deutsche setzen - nicht nur in dieser Zeit - darauf ihr Immunsystem z.B. durch Nahrungsergänzungsmittel zu stärken: Die Bundesregierung geht davon aus, dass rund ein Drittel der erwachsenen Deutschen zusätzlich zur normalen Nahrung Mittel wie Vitaminpräparate, Mineralien, Aminosäuren, Fettsäuren oder Pflanzenextrakte mit Mikroorganismen einnehmen, um ihrem Immunsystem einen Boot zu geben, ihm etwas Gutes zu tun. Ein gutes Geschäft: Der Absatz von Nahrungsergänzungsmitteln ist allein in den Jahren von 1998 bis 2009 um über 30 Prozent gestiegen und das Beratungsunternehmen Iqvia nennt auch für das Jahr 2017 eine Absatzsteigerung von rund fünf Prozent.
Dabei zeigen Studien seit Jahren, dass es allgemein keine Unterversorgung mit Vitaminen, Mineralstoffen und Co. in Deutschland gibt. An der Grundausstattung mangelt es also nicht - erst Recht bei einer ausgewogenen Ernährung mit viel Gemüse und bei ausreichender Bewegung - denn die setzt u.a. wichtige Stoffwechselprozesse im Körper in Gang. Trotzdem: Kann ein extra an Vitaminen, Mineralien & Co. nicht doch etwas bringen?
Besonders beliebt sind Nahrungsergänzungsmittel dann, wenn die nächste Erkältung droht, sich also erste Anzeichen für eine Erkältung bemerkbar machen. Kann das helfen? Studien zeigen: In vielen Fällen kann ein Mehr z.B. an Vitaminen bestenfalls wirkungslos bleiben, manchmal sogar schaden. In einigen wenigen Fällen gibt es Anzeichen dafür, dass ein Mehr bestimmter Stoffe bei drohender Erkältung vielleicht helfen könnte.
Am beliebtesten: Vitamin C
Ob schon erkältet oder noch nicht - seit Jahren ist Vitamin C der Renner unter den Nahrungsergänzungsmitteln. Grundsätzlich ist Vitamin C (Ascorbinsäure) an zahlreichen Stoffwechselvorgängen im Körper beteiligt, beispielsweise beim Aufbau von Bindegewebe und der Bildung von Botenstoffen. Außerdem hilft es dabei, freie Radikale im Körper auszuschalten. Auch Vitamin E, B2, Zink und Selen z.B. gehören zu diesen sogenannten Radikalfängern. Freie Radikale versetzen Zellen in einen sogenannten oxidationen Stress und können so Kettenreaktionen auslösen, die Zellen und Gewebe zerstören und den Körper so auch anfällig für Krankheiten machen.
Darf's doch ein bisschen mehr sein?
Kann ein zusätzlicher "Boost" mit Vitamin C also vor Erkältungen schützen oder sie im letzten Moment abwehren? Klar ist: Der Körper kann Vitamin C nicht bilden und verfügt auch über keinen speziellen Speicher dafür. Es muss also regelmäßig über die Nahrung aufgenommen werden. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt eine Tageshöchstmenge von 250 mg für Erwachsene. Aber: Auch das Wie spielt eine Rolle, denn dass Antioxidantien wie Vitamin C vor freien Radikalen schützen ist für die "Pillenform", also die isolierte Form, nicht klar bewiesen. Die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA hat die Datenlagen im Zusammenhang mit Werbeversprechen geprüft. Auf Grund dessen hält sie die Schutzfunktion von künstlichen Antioxidantien für viele Stoffe für nicht wissenschaftlich belegt.
Vitamin C ist ein absolut wichtiger Stoff für den Körper - gerade auch für das Immunsystem. Wer Sorge hat sich zu erkälten oder gar schon erste Anzeichen spürt, kann sich guten Gewissens darum bemühen die Tagesdosis sicher aufzunehmen - am besten über frische Produkte wie roter Paprika oder frischem Orangensaft, denn in frischem Obst und Gemüse stecken noch andere wichtige Vitamine und Mineralien. Immerhin deutet eine Studie aus Helsinki auch an, dass bei Auftreten der ersten Symptome eine Vitamin C-Tagesdosis von 8 mg positive Effekte gegen Lungenentzündung haben kann.
Aber ein zu viel an Vitamin C, gerade über einen längeren Zeitraum (Wochen oder länger) kann auch böse Folgen haben - zum Beispiel kann Vitamin C dann z.B. Nierensteine fördern oder bei über drei Gramm pro Tag auch für Durchfälle und Magen-Darm-Beschwerden sorgen.
Wenn zu viel Gutes schadet
Was gut gemeint ist, kann den Körper aus der Balance bringen und ihm sogar schaden - und das trifft nicht nur beim Vitamin C oft die Niere. Auch ein zu viel an Vitamin B kann beispielsweise bei Diabetikern zu Nierenschäden führen. Zu viel Kalzium steht im Verdacht Gefäßverkalkungen zu befördern. Zu viel Magnesium kann zu Durchfällen führen. Beim Überkonsum von Vitamin A oder D kann es zu Schwindel, Kopfschmerz und erbrechen kommen, in extremen Fällen auch zu Vergiftungen. Experten gehen davon aus, dass dazu aber mindestens die dreifache Menge der empfohlenen Tagesdosen über Tage notwendig wäre.
Zu viele Vitamine aus der Nahrung zu sich zu nehmen ist fast unmöglich, über Vitaminpräparate geht das aber durchaus - und ein Nutzen von extremen Dosen, erst Recht für nicht mangelernährte Menschen, konnte nicht nachgewiesen werden. Im Gegenteil: Für die sogenannte Cochrane Analyse wurden 78 Studien mit über 300.000 Teilnehmern daraufhin untersucht, ob die Einnahme von hohen Dosen an Antioxidantien wie Vitamin A, C, E, Betacarotin und Selen zur Vorsorge vor lebensbedrohlichen Krankheiten wie Krebs, Herz-Kreislauferkrankungen oder Schlaganfall nützlich sein könnten. Die Dosen durch Nahrungsergänzungsmittel lagen um ein Vielfaches höher, als der empfohlene Tageshöchssatz. Das Ergebnis war eindeutig negativ - für keinen der Stoffe konnte eine lebensverlängernde Wirkung nachgewiesen werden. Im Fall von Vitamin A, E und Betacarotin kam es sogar zu einer höheren Sterblichkeit. Zum Teil bedingten solch extrem hohe Vitamindosen über einen längeren Zeitraum sogar Tumore.
Zink: Retter in letzer Minute?
Während es keine Belege dafür gibt, dass der schnelle Griff zu Vitaminen dann noch hilft, wenn die Erkältung im Anmarsch ist, gibt es dahingehend tatsächlich positive Hinweise, was Zink betrifft. Forscher der Cochrane Collaboration konnten in einer großen Analyse von Studien bestätigen, dass die Einnahme von Zink als Sirup, Lutsch- oder anderen Tabletten binnen 24 Stunden nach Auftreten der ersten Erkältungsanzeichen die Erkältung um etwa einen Tag verkürzen kann. Der Schweregrad des Infekts wurde in dieser Analyse durch Zink nicht beeinflusst. Berichtete Nebenwirkung bei einigen Patienten war Übelkeit.
Gerade im Fall der Lutschtabletten stellte die Zinkdosierung ein Problem dar. Die Studienautoren empfohlen daher eine Tagesdosis für den Erkältungskonter von mindestens 75 mg. Zum Vergleich: Die vom BfR empfohlene Höchstmenge in Nahrungsergänzungsmitteln pro Tag liegt für Zink bei 6,5 mg.
Grundsätzlich gilt: Ungeduld hilft nicht
Die Suche nach schneller und vor allem einfacher Abhilfe oder Prävention für Erkältungserkrankungen ist verständlich: Wer hat schon Lust auf eine Erkältung oder gar Grippe? Klar ist aber auch: Grundsätzlich lässt sich nicht mit Nahrungsergänzungsmitteln ausgleichen, was man vorher dem Körper nicht gönnt und der braucht vor allem eine ausgewogene Ernährung mit Vitaminen und Mineralien, Bewegung, die das Immunsystem fit hält und Schlaf, um dem Alltag gesund und gut vorbereitet zu begegnen. Und gerade wenn das Immunsystem von Keimen angegriffen wird, gilt das ebenso: Schlaf, viel Flüssigkeit und das Ausgleichen von Mineralienverlust z.B. sind dann besonders wichtig.
Aber: Nahrungsergänzungsmittel sind keine Medikamente - sie werden nicht als solche auf Sicherheit oder Wirkung geprüft und sollten auch nicht so verwendet werden. Echte Vitaminmängel lassen sich nur mit dem Arzt abklären und dann gezielt behandeln. Und eine Überdosierung in guter Absicht, auch z.B. mit den guten Vitaminen, kann am Ende mehr Schaden als Nutzen bringen - erst Recht auf Dauer.