Zahnärztliche Versorgung in der 'Corona-Zeit' - Mit einem mulmigen Gefühl
Tag für Tag kommt der Zahnarzt Hans-Werner Bertelsen seinen Patienten bis auf wenige Zentimeter nah – ohne zu wissen, ob sie möglicherweise an COVID-19 erkrankt sind. Er wünscht sich eine klare Ansage von der Bundeszahnärztekammer in Berlin: Wen und wie sollen deutsche Zahnärzte behandeln? Die rbb Praxis hat mit dem Bremer Zahnarzt gesprochen.
Herr Dr. Bertelsen, es ist vormittags, mitten in der Woche, wer kümmert sich um Ihre Patienten?
Wir arbeiten momentan nur halbtags und kümmern uns dann um Notfallpatienten. Meine Helferinnen habe ich in Kurzarbeit geschickt. Gerade ist eine kurze Pause zwischen zwei Patienten.
Welche Patienten sehen Sie noch?
Alle die, bei denen die Behandlung nicht warten kann. Also solche mit Entzündungen. Bei ihnen besteht die Gefahr, dass die Keime von den Zähnen in den Körper streuen. Oder wenn Patienten die Krone oder ein Zahn abgebrochen ist. Manche haben auch Probleme mit ihrem Zahnersatz und können nicht mehr richtig kauen. Gerade habe ich eine Patientin von ihrem vereiterten Weisheitszahn befreit.
Und welche Patienten schicken Sie weg?
Die mit Kontrollen oder umfangreichen Sanierungen, bei denen ich es verantworten kann, dass ihre Behandlung um ein halbes Jahr verschoben wird. Wir machen aktuell keine Prophylaxebehandlungen und Zahnreinigungen. Auch umfangreiche Zahnersatzbehandlungen fange ich im Moment nicht an.
Wie haben Sie Ihre Praxis jetzt organisiert?
Die Patienten sollen sich vorher telefonisch bei uns anmelden. Menschen mit Atemwegssymptomen bitten wir, erst zu kommen, wenn diese abgeklungen sind. Das Wartezimmer ist geschlossen, wir vergeben die Termine großzügig und planen mehr Zeit als sonst für die Behandlungen ein. Außerdem desinfizieren wir jede Stunde die Türklinken und wischen regelmäßig durch. Und ich habe an der Rezeption ein Plexiglas anbringen lassen, um die Damen dort zu schützen.
Die Menschen sollen im Moment anderthalb bis zwei Meter Abstand halten. Sie arbeiten ganz dicht an den Mündern Ihrer Patienten – was machen Sie, um sich zu schützen?
Neben HNO- und Augenärzten haben wir Zahnärzte die größte Infektionsgefahr. Nicht nur in Wuhan, auch in Italien ist das Sterberisiko etwa unter HNO-Ärzten besonders hoch. Das macht auch uns Zahnärzten große Sorgen. Trotzdem bekommen wir keine FFP-Masken, haben keine Schutzanzüge. Wir tragen einen ganz normalen Mund-Nase-Schutz und Gesichtsschilde. Wenigstens hat die nahegelegene Apotheke unsere Desinfektionsvorräte aufgefüllt, die zuletzt zur Neige gingen.
Eine unbefriedigende Situation.
Wir fühlen uns im Stich gelassen. Manche Kollegen haben Angehörige aus Risikogruppen. Die Arbeit an Patienten, die vielleicht ansteckend sind, ist für sie besonders belastend. Das müsste nicht sein. Seit 2013 ist klar, dass Deutschland im Pandemiefall nicht genug Schutzkleidung hat. Trotzdem sind wir bis heute auf Zulieferungen aus dem Ausland angewiesen. Keiner in diesem Land kann Masken fertigen.
Was bräuchten Sie, um sich gut zu schützen?
Es gibt ein paar Publikationen aus Wuhan, denen zufolge COVID-19-Patienten nur in voller Schutzkleidung behandelt werden sollten: FFP2- oder FFP3-Masken, Anzüge, Gesichtsschilde, Handschuhe. Ein Anzug kostet auf dem freien Markt derzeit 30 Euro. Wenn ich mit zwei Assistenzen arbeite, ist eine normale Behandlung zu Kassensätzen nicht mehr wirtschaftlich. Wir bräuchten Zuschüsse, die solche Extras berücksichtigen.
Auch COVID-19-Patienten haben Zahnschmerzen. Wer kümmert sich eigentlich um die?
Das machen rund 200 Schwerpunktpraxen und Universitätszahnkliniken in ganz Deutschland. Zumindest sie haben Mitte der Woche die dringend benötigte Schutzausrüstung bekommen.
Zuschüsse gibt es nicht, Schutzkleidung auch nicht. Wie fühlt es sich an, ständig in der Aerosol-Wolke der Patienten zu sitzen und sich möglicherweise anzustecken?
Nicht gut. Jeder Patient, der auf meinem Stuhl mit Zahnschmerzen Platz nimmt, könnte infiziert sein. Ich müsste eigentlich jeden in voller Montur empfangen.
Was machen Sie stattdessen?
Ich benutze jetzt einen Bohrer, der langsamer läuft und weniger Aerosol erzeugt. Dafür dauert die Behandlung länger. Auch auf den Ultraschall zum Entfernen von Zahnstein verzichten wir, weil er so viel Sprühnebel abgibt.
Sie gehen für Behandlungen regelmäßig in Pflegeheime. Dort sind Sie derjenige, der das Virus einschleppen könnte – wie verhalten Sie sich?
Ich war erst gestern bei einer 89-jährigen Dame, die starke Zahnschmerzen hatte. Dafür habe ich mich komplett vermummt. Doch das ist eine Gratwanderung. Die Bewohner in den Heimen sind hochgradig verstört, weil kein Besuch kommt und das Pflegepersonal kaum Zeit für sie hat. Da kommt dann noch der komplett eingepackte Zahnarzt und will einen Zahn ziehen. Das hat sehr viel Unruhe gebracht. Für das Pflegepersonal hat sich die ohnehin angespannte Situation seit Corona noch verschlimmert. Neben der anstrengenden Pflegearbeit müssen sie jetzt zusätzlich mehr emotionale Arbeit verrichten und die Menschen beruhigen.
Sie versorgen viel weniger Patienten als üblich. Wie fangen Sie das finanziell auf?
Bislang ist nicht vorgesehen, dass unsere Umsatzeinbußen von Staatsseite kompensiert werden. Die finanziellen Lücken stopfe ich momentan aus eigener Tasche. Ich habe bei der Bremer Aufbaubank einen Zuschuss beantragt. Er hilft bei den laufenden Kosten: Miete, das Leasen von Geräten... Besonders übel trifft es die jungen Kollegen, die gerade in eine neue Praxis investiert haben und jetzt auf Patienten warten. Sie müssen um ihre Existenz bangen, weil sie ihre Kredite nicht mehr bedienen können.
Wäre es nicht sinnvoller, die wenigen Patienten zentral zu behandeln?
Sicher. Man könnte die notwendigen Behandlungen in Notfallpraxen machen. Aber dem steht unser Versorgungsauftrag entgegen. Wenn ich meinen Laden zumache, muss ich dafür einen Vertreter benennen. Ich möchte aber niemanden in Gefahr bringen, nur um mich selbst aus der Schusslinie zu nehmen.
Ließen sich solche Notfallpraxen in einem kleinen Bundesland wie Bremen nicht recht einfach organisieren?
Ich halte es für keine gute Idee. Es würde die Leute nur noch mehr verunsichern, wenn jetzt jedes Bundesland sein Ding macht. Wir warten auf ein Signal aus Berlin, von der Bundeszahnärztekammer, wie wir Zahnärzte uns verhalten sollen.
Tut sich denn in Berlin was?
Ich bin mir sicher, die Kollegen sind dabei, eine Lösung zu entwickeln, die für alle Beteiligten okay ist.
Vielen Dank für das Gespräch, Dr. Bertelsen.
Das Interview führte, Constanze Löffler.