(Bild: rbb/Stefan Erhard)
Bild: rbb/Stefan Erhard

Tatort: Das Opfer - Interview mit Regisseur Stefan Schaller

Hatte es für Sie einen besonderen Reiz, sich als "Tatort- Regisseur" nur auf eine Hauptfigur zu konzentrieren? Und wer ist Robert Karow für Sie?

Die starke Fokussierung des Drehbuchs von Erol Yesilkaya auf eine zentrale Figur mochte ich sehr. Das Besondere an diesem Tatort war für mich dabei, dass nicht eine Episodenhauptrolle im Fokus steht, sondern der Ermittler selbst. Der Fall ist quasi auch Karow und Karow ist der Fall. Das Drehbuch war sowohl ein Thriller, wie auch ein Psychogramm. Das fand ich außergewöhnlich. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass die Produzent:innen Hana Geißendörfer und Malte Can und die Redaktion mir diese Geschichte anvertraut haben, und ich mit Mark Waschke, den ich als Schauspieler ungemein schätze, gemeinsam auf diese intensive Reise gehen konnte.

Ich kannte Karow natürlich aus anderen "Tatorten". Unter anderem aus dem "Tatort: Meta", den auch Erol Yesilkaya geschrieben hat. Ich fand immer faszinierend, dass Karow jemand ist, der den Dingen auf den Grund geht, der sich in seinem Ringen um Wahrheit und Erkenntnis nicht schont. Gleichzeitig wirkte Karow auf mich auch immer geheimnisvoll. Oft kühl und rational. Außerdem fand ich interessant, dass Karow eine Figur ist, die in Bezug auf menschliche Beziehungen und Sexualität sehr frei und offen ist. Trotzdem ist er in gewissen Aspekten auch reserviert und verschlossen. Das Drehbuch zu "Das Opfer" bot nun die Möglichkeit die Schichten von Karows Persönlichkeit etwas frei zu legen und tiefer zu blicken. Wichtig war uns dabei, dass wir Karow nicht "verraten". Trotz aller Verletzlichkeit, die er in diesem Film hat, sollte er gegenüber anderen Figuren nicht auf einmal total empathisch werden, bzw. haben wir versucht, eine gewisse Wandlung bei ihm sehr dezent zu erzählen. Wie gehst du damit um, wenn du jemanden verloren hast? Für Karow geht es in diesem Fall darum, sich dieser Frage wirklich zu stellen. Das hat mich sehr berührt.

Aber bei allem Fokus auf Karow, fanden wir es wichtig, dass die Geschichte in manchen Momenten auch in andere Leben eintaucht. Zum Beispiel, wenn man den Clanchef, gespielt von Sahin Eryilmaz, als Familienvater kennenlernt. Oder, wenn der Film innehält und den Fokus auf Kim Riedles Figur lenkt, auf das, was sie erlebt hat. Das war für uns elementar. Es war eine große Freude wieder mit der Casterin Karimah El-Giamal zusammenzuarbeiten und all diese herausragenden Schauspieler:innen zu besetzen, wie z.B. auch Luka Dimic. Mit Jasmin Tabatabai wollte ich schon lange zusammenarbeiten. Sie war meine absolute Wunschbesetzung und ich war sehr glücklich darüber, dass es bei diesem Film nun geklappt hat. Besonders komplex war das
Casting der beiden jungen Darsteller. Mir war extrem wichtig, dass die beiden nicht nur optisch
eine große Ähnlichkeit zu Mark Waschke und Andreas Pietschmann haben, sondern dass wir auch
sehr gute Schauspieler mit Jona Levin Nicolai und Laurids Schürmann finden.

Wie sind sie an diese mit ihren verschiedenen Erzählebenen doch sehr komplexe Geschichte herangegangen? Was war für Sie der Schwerpunkt?

Ich habe versucht die feine Komposition und das Fließen der Geschichte, welches ich beim Lesen des Drehbuchs empfunden habe, mit der Inszenierung zu unterstreichen. Besonders mochte ich, wie Erol Yesilkaya mit all diesen schönen Genre-Elementen spielt - wie zum Beispiel den Aufzeichnungen des verdeckten Ermittlers und dem Voice Over. Für mich bestand der Reiz des Drehbuchs sowohl in seiner komplexen Struktur, als auch in den verschiedenen Themen, die es behandelt. Den Clan und dessen toxische Machtstrukturen, die Vergangenheit von Karow. Auch die Themen Liebe und Loyalität spielen eine große Rolle. Aber vor allem ist die Geschichte eine Reflexion darüber, wie du dich zur Wahrheit verhältst. In dem Sinne waren die Genre-Elemente und die Erzähl-Struktur des Drehbuchs für mich nicht Selbstzweck, sondern eine Möglichkeit dieses zentrale Thema des Films - Wahrheit und den Umgang damit – widerzuspiegeln.

Ich erzähle grundsätzlich gerne sehr subjektiv und nah an den Figuren. Und in diesem Film nehmen wir auch sehr stark Karows Perspektive ein. Sogar die "dritte" Erzähl-Ebene – die des verdeckten Ermittlers erzählen wir gewissermaßen über Karow. Wir haben versucht diese Erzähl-Ebene visuell so zu gestalten, dass ganz subtil der Eindruck entsteht, Karow stellt sich die Erlebnisse des verdeckten Ermittlers – anhand des Notizbuchs – vor. Es ist seine Version von Maiks Geschichte. Bei den anderen beiden Ebenen - also der Vergangenheits-Ebene und der Jetzt-Ebene - ging es uns darum, sie stilistisch kaum bzw. nur sehr dezent zu unterscheiden. Die Ebenen sollten so elegant wie möglich ineinander übergehen. Ein bisschen wie in einem Tagtraum. Mit dem Kameramann Markus Nestroy, der Szenenbildnerin Jenny Roesler und der Editorin Heike Gnida habe ich intensiv daran gearbeitet das Fragmentarische der Erinnerungen filmisch einzufangen und spürbar zu machen, wie es sich anfühlen könnte, wenn verdrängte Erlebnisse Stück für Stück wieder ins Bewusstsein dringen. Im selben Maße, wie Karows Erinnerungen hochkommen, wird auch der Fall klarer. Und so kommen wir langsam an den Punkt, an dem Karow versteht, was Maik ihm eigentlich sagen wollte. Gleichzeitig versteht Karow auch etwas über sich selbst und ihm wird klar, wie er seinem Vater begegnen will, und muss.

Wie wichtig ist die Stadt Berlin als ein Charakter im Film? Was wollten Sie bei den Dreharbeiten unbedingt miteinfließen lassen?

Bei der Umsetzung war uns wichtig, dass sich der Film authentisch anfühlt. Gemeinsam mit den Darsteller:innen und meinem Team habe ich deswegen intensiv geprobt und recherchiert. Gleichzeitig sollte es ein Thriller werden, der große Bilder hat und der eher ein Gefühl der Stadt vermittelt, als die einzelnen Schauplätze und Motive zu konkret in den Vordergrund zu stellen. Wir wollten Form und Inhalt so nah wie möglich zusammen bekommen, dem Film etwas Poetisches geben und einen Thriller erzählen, der im Kern emotionale Liebesgeschichten erzählt. In Karows Fall über die erste und wahrscheinlich größte Liebe seines Lebens.

Regisseur Stefan Schaller

Stefan Schaller studierte an der Filmakademie Baden-Württemberg Regie. Seine Kurzfilme liefen auf zahlreichen nationalen und internationalen Festivals, u.a. auf der Berlinale im Rahmen der
Perspektive Deutsches Kino. Sein Abschlussfilm an der Filmakademie und Kinodebüt "5 Jahre Leben" über den Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz erregte große Aufmerksamkeit. Der Film feierte seine internationale Premiere auf dem Filmfesfestival in Rotterdam und lief auf zahlreichen internationalen Filmfestivals. Zu seinen Werken gehören u.a. "Aus der Haut" und der "Tatort: Damian". Stefan Schaller wurde u.a. mehrfach mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet und erhielt den Thomas-Strittmatter-Preis. Für den Rostocker "Polizeiruf 110: Sabine" erhielt er 2022 den Grimme-Preis. Stefan Schaller lebt als Autor und Regisseur in Berlin.

Pressedossier