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Günter Gaus im Gespräch mit Günter Grass
(Erstsendung: 17.12.97/ORB)
Nachruf auf Günter Grass: "...notfalls als Splitter im Auge"
Er war einer der wichtigsten und berühmtesten Gegenwartsautoren, ein streitbarer Geist und unglaublich vielfältiger Künster. Am Montag ist Günter Grass im Alter von 87 Jahren verstorben. Ein Nachruf. Von Anne-Dore Krohn
Ein Nationaldichter. Das ist ein großes Wort, aber zu Günter Grass passt es. Zeitlebens arbeitete er sich an deutschen Vermächtnissen und Verhältnissen ab. Und gleichzeitig schrieb er sich selbst tief hinein in die Geschichte und wurde schon zu Lebzeiten zu einer historischen Figur.
Aus Grass' Lyrikband "Eintagsfliegen" 2012
"Trotz allem"
Nach Liebe dürstendes Land,
dessen Bewohner nicht müde werden,
vernarbte Wunden zu lecken.
Meiner Liebe gewisses Land,
dem ich verhaftet bin,
notfalls als Splitter im Auge.
Zwischen Lyrik, Roman und Novelle
Ein Splitter im Auge - schöner als Grass selbst im Gedicht „Trotz allem“ kann man seine Rolle kaum beschreiben. Ob Kalter Krieg, Wende oder Überwachungsskandal - der Mann mit dem Schnauzbart war immer zur Stelle, ein Unbequemer, der zürnte, urteilte, verurteilte. Mit dem israelkritischen Gedicht "Was gesagt werden muss" löste er 2012 eine heftige Debatte aus. Grass ging weit, auch mal zu weit - von Altersmilde war keine Spur. Literatur und politisches Engagement waren für ihn untrennbar - von Anfang an.
"Wir alle, die damals jungen Lyriker der 50er Jahre, waren uns deutlich bis verschwommen bewusst, dass wir zwar nicht als Täter, doch im Lager der Täter zur Auschwitz-Generation gehörten", schreibt Grass in "Schreiben nach Auschwitz". "Aber auch soviel war uns gewiss, dass das Adorno-Gebot - wenn überhaupt - nur schreibend zu widerlegen war. Doch wie?"
Theodor Adornos Satz, man könne nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben, forderte Grass zum Gegenteil heraus -1956 erschien der Band "Die Vorzüge der Windhühner". Bei der Gruppe 47 las er erste Auszüge der "Blechtrommel", ein Generationenroman über die deutsche Vergangenheit, tabufrei und kraftvoll geschrieben, ein Welterfolg. Es folgten zahlreiche Romane und Novellen, auch weitere Gedichte, in denen Grass sich immer wieder mit seiner Herkunft auseinandersetzte, z. B. in "Kleckerburg".
"Kleckerburg"
Getauft, geimpft, gefirmt, geschult.
Gespielt hab ich mit Bombensplittern.
Und aufgewachsen bin ich zwischen
dem Heilgen Geist und Hitlers Bild.
Im Ohr verblieben Schiffssirenen,
gekappte Sätze, Schreie gegen Wind,
paar heile Glocken, Mündungsfeuer
und etwas Ostsee: Blubb, pfff, pschsch ...
"Wie konnte es dazu kommen, dass du bis zum Schluss an den Endsieg geglaubt hast?"
Geboren wurde er 1927 in Danzig, die Familie lebte in einer Zweizimmerwohnung ohne Bad, ein Regal unter dem Fenster war alles, was ihm als Kind gehörte. Umso größer waren seine Träume: Er wollte Künstler werden. Nach dem Krieg machte er eine Steinmetzlehre und ging an die Kunstakademie. Schreiben und gestalten gingen Hand in Hand, immer wieder illustrierte er auch eigene Texte, z.B. den Einband von "Beim Häuten der Zwiebel" - Schicht um Schicht legte Grass in diesem Erinnerungsbuch von 2006 seine Herkunft frei.Und enthüllte, dass er mit 17 Jahren Mitglied der Waffen-SS gewesen war. Die Empörung war groß, warum hatte er, der Mahner, der Mann mit dem erhobenen Zeigefinger, damit so lange gewartet? "Weil ich dem Jungen, der mir sehr fremd ist, in manchen Fragen, der ich mal gewesen bin, nah kommen musste", erklärte Grass dereinst. "Zum Beispiel die Frage, wie konnte es dazu kommen, dass du bis zum Schluss an den Endsieg geglaubt hast?"
Die eigene Verführbarkeit blieb ein Lebenstrauma, und Motor seines Werkes. Sein Schreiben richtete sich auch immer gegen das Vergessen. Unvergessen bleiben seine Romanfiguren, ob Fonty, Joachim Mahlke, Tulla Pokriefke oder der ewige Oskar Matzerath - sie werden immer lebendig sein.
Beitrag von Anne-Dore Krohn
Stand vom 13.04.2015