Sendung vom 17.09.2003 - Höhn, Bärbel
Günter Gaus im Gespräch mit Bärbel Höhn
Gaus:
Meine heutige Interviewpartnerin, Bärbel Höhn, geboren 1952 in Flensburg, gehört zu den tonangebenden Grünen im Land, außerhalb Berlins. Sie ist Ministerin für Umwelt, Naturschutz, für Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen, in einer Koalition mit der SPD. Bärbel Höhn, studierte Mathematikerin, ist verheiratet und hat zwei Söhne. Sehen Sie „Zur Person - Bärbel Höhn“.
Joschka Fischer teilt mit, er werde 2006 mit Gerhard Schröder den Wahlkampf für die rot-grüne Koalition anführen, Frau Höhn. Wofür gibt es eigentlich noch Parteitagsdelegierte, die zu gegebener Zeit über solche Personal- und Koalitionsfragen entscheiden sollen?
Höhn
Also formal haben Sie natürlich recht. Er hätte sagen müssen: Ich möchte wieder zur Wahl antreten, also kandidieren. Es ist so, dass ihn der Parteitag sozusagen aufstellen würde. Wir haben ja keinen Bundesparteitag für die Bundestagswahl. Aber natürlich ist es klar – der Außenminister und der Vizekanzler - auch bei den Grünen ist es sehr unwahrscheinlich, dass er dann nicht die Spitzenposition einnehmen würde. Also insofern ist das wohl eigentlich ein Signal, das die Leute richtig verstehen.
Gaus:
Wenn sie es richtig verstehen – und das scheint so zu sein - dass alle es für ganz selbstverständlich halten, dass weil einer das und das ist, dass wofür die Grünen mal angetreten waren, nämlich solche Selbstherrlichkeit von Parteioberen zugunsten der Basis zu beschneiden oder abzuschaffen – wenn das alle so formal nur nehmen, wie Sie es jetzt getan haben, dann ist da doch ein Ideal verloren gegangen, oder?
Höhn
Ich glaube, nicht ganz. Weil... Es ist in der Tat so, dass sich da was verändert hat, da haben Sie recht. Wir haben ja auch die Diskussion um Trennung von Amt und Mandat, wo wir ja auch sehr klar gesagt haben, wir wollen unterscheiden zwischen – ich sage mal, der Parlamentsfunktion, oder auch der Parteifunktion. Insofern haben wir uns auch geändert, eindeutig. Aber auf der anderen Seite muss ich sagen, wenn ich sehe, wie Parteiprogramme bei uns diskutiert werden, mit welcher Inbrunst – ganz gleich, wie dick sie sind, wie inhaltlich gefüllt sie auch sind – ist das Parteiprogramm schon immer das Wichtigste noch.
Gaus:
Die allgemeine Auffassung ist: Die Personalisierung der Politik ist soweit fortgeschritten, bis hin zum Personenkult kann man gelegentlich denken, dass über Parteiprogramme vielleicht noch die um Personalmacht gebrachte Basis diskutiert, die Öffentlichkeit nimmt es kaum noch zur Kenntnis. In dem, wie Sie Kreide gefressen haben, in dem, was Sie bisher gesagt haben, erkennen Sie da die alte Basis-Kämpferin Bärbel Höhn noch wieder?
Höhn
Also erst mal habe ich keine Kreide gefressen.
Gaus:
Das ist formal, was Sie antworten.
Höhn
Das verstehe ich schon. Also der erste Punkt ist, ich sehe das auch nicht so, dass die Leute sich nicht mehr für Parteiprogramme interessieren. Das letzte Parteiprogramm der Grünen ist uns sozusagen aus den Händen gerissen worden bei der letzten Bundestagswahl. Das hat die Leute sehr, sehr interessiert. Also insofern gibt es offensichtlich noch genug, die sich dafür interessieren. Mich selber interessiert die Debatte um Parteiprogramme auch. Und ich bin als Ministerin dabei, sie umzusetzen.
Gaus:
Ich hatte danach nicht gefragt.
Höhn
Ja.
Gaus:
Ich hatte gefragt, warum es so hingenommen wird von der Öffentlichkeit, auch von der Medienöffentlichkeit, von den Medien selber, diese Stillosigkeit, dass zwei Spitzenleute sagen, ja wir machen’s wieder. Das nicht einmal so viel Taktgefühl vorhanden ist - weil die Demokratie sich dahin entwickelt hat, dass es ohne solche Rücksichtnahme geht - nicht einmal Taktgefühl genug vorhanden ist, um zu sagen, natürlich werden die Delegierten zustimmen. Wenn Sie jetzt sagen: Das ist doch selbstverständlich.
Höhn
Ja, also für mich persönlich ist ein Parteiprogramm wichtig, deshalb habe ich es auch geantwortet. Ich sage nur dabei ...
Gaus:
Ist das Parteiprogramm wichtiger als Joschka Fischer?
Höhn
Letzten Endes ist es wichtiger als Joschka Fischer.
Gaus:
Letztendlich für die Wahl?
Höhn
Auch für die Wahl, weil die Wählerinnen und Wähler fragen es nach. Sie gucken rein und hinterher fragen sie sehr genau: Was macht ihr da? Und was steht im Wahlprogramm. Also diese Diskussion gibt es sehr wohl. Ja, es gibt einen Punkt, den ich selber auch zunehmend merke, dass die Leute eben sagen, Politik ist so was von kompliziert. Wir arbeiten, wir können uns nicht den ganzen Tag mit Politik befassen und deshalb gibt es schon ein Gefühl bei den Leuten, dass sie teilweise sagen, dieser Person in der Politik vertraue ich mehr als einer anderen. Und deshalb, auch auf Grund der Kompliziertheit und der geringen Möglichkeit der Menschen, sich über Wochen und Stunden damit zu befassen, gibt es schon auch ein Interesse, sich an Personen zu orientieren in der Politik.
Gaus:
Ich glaube, dass es vornehmlich nur noch dieses Interesse gibt. Aber wir können uns ja beide in unseren Positionen irren. Die Frage bleibt: Bärbel Höhn, eine engagierte, durchaus der Basis auch aufgeschlossene, ihr zugehörige grüne Politikerin, rechtfertigt eine - erklärt, mildert ab - eine Personalisierung, die zu einer Art Entmündigung von Parteitagsdelegierten führt. Warum wehren Sie sich so?
Höhn
Nee, also ich sehe das auch ein Stück anders. Also, in der Tat ist es so, dass Personen heute in der Politik mehr Einfluss haben als früher, vielleicht auch mehr als mir damals vor zehn Jahren noch lieb gewesen wäre. Aber ich kann eigentlich nicht akzeptieren, dass ich deshalb die Diskussion um Programme weniger wichtig finde. Und sie ist auch nicht weniger wichtig, weil, wir werden... Also ich zum Beispiel auch als Ministerin werde jeden Tag daran gemessen. Ich bekomme Briefe, wo Leute sagen: Ich habe sie deswegen gewählt und ich möchte, dass Sie genau diesen Punkt umsetzen. Also insofern ist das tägliche Arbeit.
Gaus:
Was hat sich im Laufe des Erwachsenwerdens an den Grünen am stärksten verändert, Frau Höhn?
Höhn
Also ich glaube, die stärkste Veränderung ist natürlich dahingehend mit den Grünen vorgegangen, dass wir aus der außerparlamentarischen Opposition gekommen sind, dass wir am Anfang die Diskussion hatten, wir gehen noch nicht mal in die Parlamente, weil das ist uns eigentlich schon ein Stück zu stark daran, dass wir beeinflusst werden. Dass wir heute in vielen Regierungen sind, in der Bundesregierung, in wichtigen Ländern, wie in Nordrhein-Westfahlen, und dass wir deshalb die Politik mitbestimmen und ich sage mal damit auch den Staat mit repräsentieren. Und natürlich hat das eine Veränderung auch im Denken mit hervorgerufen.
Gaus:
Alle Fragen zielen auf die Herstellung eines Porträts. Denken Sie manchmal, was waren wir damals für arrogante junge Leute, die denken, sie könnten alles anders machen und nun machen sie vieles wie hergebracht.
Höhn
Nee, das denke ich persönlich eigentlich nicht. Sondern in der Tat es hat damals auch die Diskussion gegeben „ die Avantgarde der Arbeiterklasse“, also wir sind die „Avantgarde der Arbeiterklasse“ und keiner von denen war Arbeiter. Also ich sage mal, grade in linken Gruppen.
Gaus:
Aber nicht in den „Grünen“...
Höhn
Nee in linken Gruppen. Also ich muss sagen, der Unterschied ist vielleicht, dass ich dachte, ich könnte Veränderungen viel schneller durchsetzen. Ich war ungeduldig. Ich wollte, dass sie von einem Tag zum anderen sich verändern. Und deshalb habe ich auch harte Forderungen gestellt. Heute weiß ich, dass ich teilweise länger warten muss. Und selbst wenn ich es schaffen würde von einem Tag auf den anderen eine Forderung umzusetzen, dann würde der Widerstand da wieder so groß werden, dass es am Ende vielleicht ein Pyrrhussieg wäre, den ich da errungen hätte. Insofern bin ich an einigen Punkten geduldiger geworden mit dem, was ich umsetzen will. Aber nicht mit dem wohin ich will, also nicht mit den Zielen.
Gaus:
Wohin wollen Sie?
Höhn
Also ich bin in die Politik gegangen, weil ich etwas für diejenigen in dieser Gesellschaft tun will, von denen ich glaube, dass sie Unterstützung brauchen. Das ist bei der sozialen Frage, die ist mir wichtig. Aber natürlich habe ich mich jetzt auch hauptsächlich ausgerichtet auf die ökologische Frage, also Erhalt der Ressourcen und damit etwas zu machen für nachfolgende Generationen. Das zu bewahren. Und das ist das Ziel, was ich weiter verfolge.
Gaus:
Ich zitiere Bärbel Höhn: „An Politik reizt mich die Veränderung, was ich dazu brauche ist Macht.“ (Ende des Zitats) Haben Sie gelegentlich schon mal die Beobachtung gemacht, dass Macht zum Selbstzweck werden kann? Zu einer Art Droge?
Höhn
Ich glaube... Also vielleicht nicht so sehr die Macht, denn die Macht ist natürlich auch mit großer Verantwortung verbunden. Und manchmal denkt man, ist es ganz gut, wenn du weniger Macht hättest und auch weniger Verantwortung. Aber natürlich verändert Politik auch. Sie macht auch abhängig. Es gibt einmal die finanzielle Abhängigkeit, dagegen kann man sich noch wehren, habe ich persönlich auch versucht, mich zu wehren.
Gaus:
Was meinen Sie damit?
Höhn
Also zum Beispiel bin ich erst in die Politik gegangen, als ich schon einen Job hatte, als ich also wirtschaftlich auch auf eigenen Füßen gestanden habe. Und ich wollte erst dann in die Politik gehen, wenn ich sagen konnte – und ich bin erst dann in die Politik gegangen als ich sagen konnte, ich bin davon finanziell unabhängig. Es gibt, es darf keinen Zeitpunkt geben, wo ich sage, sozusagen aus wirtschaftlicher Abhängigkeit trage ich jetzt irgendwas mit.
Gaus:
Das ist die finanzielle Abhängigkeit.
Höhn
Genau.
Gaus:
Welche Abhängigkeiten gibt es noch?
Höhn
Und es gibt die zweite Abhängigkeit, die natürlich was damit zu tun hat was man in diesem Amt erlebt. Also die Anerkennung, die ja auch mit dem Amt verbunden ist und weniger mit der Person.
Gaus:
Auch die Macht, die man nicht miss...
Höhn
Das hat auch was mit Macht zu tun. Ich glaube, dass darf man auch nicht leugnen. Und da muss man versuchen, sich davon unabhängig zu machen.
Gaus:
Das heißt, ist das nicht ein bisschen vereinfacht, ist es nicht vielleicht sogar klischeehaft, wenn Sie sagen: Nein, nein, Macht als Selbstzweck, das gibt es nicht. Macht als Droge – haben Sie nicht eben doch die Abhängigkeit von Machtbesitz eingeräumt? Und kann das nicht etwas werden, was einen Politiker ticken macht, dass er sagt, ich will diese Macht haben zu den besten Zwecken. Aber die Zwecke können dann irgendwann dahinter zurücktreten. Oder?
Höhn
Ja ich, ich will das nicht bestreiten. Dass Macht sozusagen auch korrumpieren kann, dass Macht auch die Menschen verändern kann. Sie haben mich nur gefragt, wie ich das selber sehe. Und ich glaube, dass ich mir dieser Gefahr bewusst bin und dass ich versuche, sie zu vermeiden. Wie stark man das dann vermeidet oder wie stark man sich da raushalten kann, wird man erst mal sehen, wenn die Macht weg ist. Wenn man sozusagen dann gucken muss, wie geht man mit der neuen Situation um, aber sich auch mental darauf einzustellen, das als Möglichkeit zu sehen. Das bedeutet zumindest, dass man sensibel ist dieser Frage gegenüber. Und das glaube ich, bin ich schon.
Gaus:
Nun kann es Ziele geben, die einem so wichtig sind, dass man dahinter vergisst – der Zweck heiligt die Mittel – dass man die Macht ins Kraut schießen lässt...
Höhn
Ja.
Gaus:
Wie wehren Sie sich dagegen, ganz konkret?
Höhn
Eins der Ziele, die ich habe, ist ja nicht nur der Inhalt soziale und ökologische Fragen umzusetzen, sondern auch die Art, das Instrument, also das demokratische Instrument.
Gaus:
In dem drei Jahre vor der Wahl die Führer mitteilen, sie wollen es wieder machen? Ist das das Element? Ist das der Stil? Ist das die Form?
Höhn
Also ich sage mal, wenn sie sagen, sie wollen es wieder machen, ist das das Eine. Da haben Sie natürlich recht. Da steht die Entscheidung - werden sie auch gewählt - steht dem gegenüber. Insofern ist das sozusagen eine Aussage...
Gaus:
Nein, dass sie es bestimmen dürfen, das ist Machtmissbrauch. Und zwar der Machtmissbrauch der Popularität.
Höhn
Ja, gut. Also ich sage mal, erstens ist das ein Angebot, nehmen wir es mal von beiden als Angebot an...
Gaus:
Nein., Nein, da bin ich nicht bereit.
Höhn
Gut. War es vielleicht von ihnen auch nicht so gemeint. Aber ich sage andersrum, ob die Partei sie wählt oder nicht, ist eine zweite Frage und die wird sich entscheiden. Wenn irgendwas in der Zwischenzeit passiert ist, was dazu führt, dass sie nicht mehr gewählt werden, war es auch nur ein Angebot. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie wiedergewählt werden, ist schon sehr groß. Und insofern haben sie, glaube ich, aufgrund dieser Wahrscheinlichkeit so was auch gesagt.
Gaus:
Haben Sie manchmal den Eindruck von sich, dass Sie im Laufe ihrer politischen Praxis, Sie sind nun bald zehn Jahre Ministerin, eine gewisse Glätte entwickelt haben, an der vieles abperlt?
Höhn
Nee, den Eindruck habe ich nicht. Also, ich glaube, dass ich heute viel mehr Erfahrung habe, dass ich deshalb vielleicht auch anders antworten würde. Vielleicht an einigen Punkten sicher auch nicht so direkt oder offen. Also zum Beispiel dieses Zitat mit der Macht würde ich heute wahrscheinlich anders ausdrücken. Ich würde eher sagen, dafür brauche ich Einfluss und Möglichkeiten, es umzusetzen. Das habe ich damals gesagt, so - ich glaube, kurz bevor ich Ministerin wurde oder so um diesen Dreh. Insofern bin ich sicher erfahrener geworden, weil ich einfach auch schlechte Erfahrungen gemacht habe und gemerkt habe, auf bestimmte Sachen sozusagen kriegst du auch eine schlechte Reaktion. Aber ich glaube nicht, dass ich glatter geworden bin, das glaube ich nicht.
Gaus:
Der Wechsel des Wortes Macht zum Wort Einfluss, wie Sie ihn eben erläutert haben, ist medientaktisch gedacht. Das heißt, Sie sagen - wenn ich Einfluss sage, gebe ich mir weniger Blößen...
Höhn
Richtig.
Gaus:
... kann ich nicht, so wie jetzt hier schon allzu lange, nach Macht und Macht als Selbstzwecke gefragt werden. Diese taktische Einfühlung, haben Sie die mit in die Politik gebracht oder haben Sie die aus Erfahrung entwickelt?
Höhn
Die habe ich wahrscheinlich nicht mit in die Politik gebracht, sonst hätte ich ja damals gar nicht „Macht“ gesagt. Aber... Also insofern sage ich, war das learning by doing. Natürlich merke ich, wie reagieren die Menschen darauf. Und mir geht es im Prinzip ja in der Tat darum, bestimmte Veränderungen durchzusetzen. Dafür bin ich wirklich in die Politik gegangen. Dafür arbeite ich auch hart.
Gaus:
Wir kommen darauf gleich.
Höhn
So. Und deshalb ist es natürlich so, dass ich versuche, auf dem Weg dahin viele Menschen mitzunehmen. Und...
Gaus:
...ist Einfluss besser als Macht.
Höhn
Ja. Und Diskussionen, die vielleicht davon ablenken, sagen wir mal, die eher störend wirken, die lernt man in der Tat oder lernen auch Politiker - oder ich habe zumindest auch gelernt, glaube ich, darauf entsprechend geschickter zu reagieren. Das ist vielleicht das, was Sie jetzt bezeichnen ‚Ist sie glatter geworden?’. Also ich merke das eher dahingehend, dass ich manchmal, wenn ich andere Politiker antworten höre, dann denke ich, das ist jetzt eine absolute Sprechblase. So. Und das ist ja auch das, was Leute stört. Nur auf der anderen Seite merke ich selber, es gibt mal Situationen, da werden Sie irgendwas gefragt, wovon Sie keine Ahnung haben.
Gaus:
In diesem Gespräch, in diesem Interview - schon den Ansatz zu einer Sprechblase gehabt?
Höhn
Kann sein, das müssen andere beurteilen. Also das ist schlecht, wenn ich es selber mache.
Gaus:
Was halten Sie von einem... Sie sagen, lieber Einfluss sagen, als Macht.
Höhn
Ja.
Gaus:
Was denkt sich einer, der „Basta“ sagt?
Höhn
Ja, der hat vielleicht sich entschieden...
Gaus:
Der hat genug Macht das sagen zu können?
Höhn
Kann sein, ja. Hat sich vielleicht entschieden, das mal ganz direkt zu machen.
Gaus:
Gibt es keinen Drang von Bärbel Höhn nach Berlin, um ein größeres Rad mit mehr Einfluss, mehr Macht drehen zu können, als in Düsseldorf?
Höhn
Also momentan nicht. Ich muss sagen, Nordrhein-Westfalen ist ein absolut starkes Land. Wenn ich das vergleiche, haben wir ungefähr die Wirtschaftskraft, gut die Wirtschaftskraft, der Niederlande. Wir haben mehr Einwohner als die Niederlande. Ich habe ein unglaublich interessantes Ministerium, was viel breiter ist als irgendeins, was auf Bundesebene da ist. Weil ich Umwelt, Landwirtschaft, Eine Welt miteinander kombinieren kann. Und ich habe momentan auch immer noch eine Menge Ideen, was ich da ändern kann, also was ich tun kann. Und so lange das noch der Fall ist, fühle ich mich in Düsseldorf sehr wohl.
Gaus:
Warum mag Joschka Fischer Sie so wenig?
Höhn
Ja, da müssten Sie ihn wahrscheinlich selber fragen.
Gaus:
Nun ja, er stand mir nicht zur Verfügung und ich glaube, er hätte es mir nicht gesagt. Aber ich habe mich umgehört, wie bei jeder Vorbereitung auf jedes Interview unter relativ vielen Leuten, die Fischer nahe stehen, die Ihnen nahe stehen. Allgemein war die Antwort: Nein, er mag Sie nicht besonders. Warum nicht?
Höhn
Ich sage mal, es gibt ja eine ganz bekannte Auseinandersetzung zwischen Joschka Fischer und mir.
Gaus:
Das ist der Bosnien-Konflikt.
Höhn
Das ist Kosovo, die Debatte um den Kosovo und den Einsatz der NATO dort. Und da habe ich sicher eine Rolle gespielt, die ihm nicht gefallen hat. Das hat er ja auch sehr deutlich danach artikuliert. Und deshalb glaube ich ... Vielleicht weil Sie auch gefragt haben: Warum gehen Sie nicht nach Berlin? Oder haben Sie sich das bisher sozusagen noch nicht überlegt? Es gibt sicherlich auch allen Grund zu sagen, das ist sicher nicht schlecht, wenn jemand - außerhalb von Berlin relativ bekannt - sich auch mal zu Sachen äußert in einer anderen Art und Weise. Und diese Möglichkeit auch hat, es zu tun.
Gaus:
Man hat mich auf den Gedanken gebracht anzunehmen, es könnte genau dies sein, - weil in einem Falle Devotheit gesprochen - es könnte genau dieser Mangel sein, der dem Spitzenkandidaten der Grünen an Bärbel Höhn missfällt. Halten Sie das für bisschen weit hergeholt?
Höhn
Also, dass mein Verhalten zur Kosovo-Debatte sicher unser Verhältnis - ich sage mal wesentlich bestimmt hat, das glaube ich auch. Und es war ja so eine Situation, wo es plötzlich eng wurde auch in der Abstimmung, also auch durchaus gefährlich für ihn. Aber ich muss sagen, es ist auch nicht mehr so, dass wir uns überhaupt nicht mögen. Also es ist schon so, dass wir in letzter Zeit durchaus besser klarkommen. Und ich denke, es gibt auch bestimmte Phasen, wo man da auch mal anders miteinander umgehen kann.
Gaus:
Kann man sagen, Sie sind durch die mütterliche Sorge um ihre beiden Söhne ganz konkret – politisiert waren Sie schon immer – aber ganz konkret an politische Probleme zunächst auf kommunaler Ebene herangeführt worden? Sie sind ins Ruhrgebiet verzogen und es gab Kindergartenprobleme und Sie wollten sich um dieses Kindergartenproblem kümmern, denn Sie waren ganz konkret persönlich interessiert, was je kein schlechter Einstieg in die Politik ist. Es heißt dann auch, ich weiß nicht, ich konnte das nicht nachfragen, einer der Söhne, inzwischen sind sie beide erwachsen, bekam eine Atemwegserkrankung und es konnte sein, dass eine nahegelegene Kokerei daran beteiligt war. So dass dann die Mutter Bärbel Höhn sich auch noch um Schadstoffemissionen kümmerte und gegen Sondermüllverbrennungsanlagen – ist das ein Weg gewesen, der eine allgemeine politische Aufgeschlossenheit konkretisierte?
Höhn
Ja. Das kann man so sagen. Aktiv in die Politik – natürlich in der Zeit, in der ich studiert habe, waren alle politisch, das andere wäre komisch gewesen. Dass ich aktiv in die Politik gekommen bin, dass kann man sicher sagen, liegt an meinen Kindern. Weil, das waren eben Probleme im Kindergarten, die wollte ich lösen und das ist vielleicht auch mein Politikstil. Ich versuche konkrete Probleme anzupacken und zu verändern.
Gaus:
Zur Person Bärbel Höhn, geboren am vierten Mai 1952 als Bärbel Christensen in Flensburg. Der Vater war promovierter Landwirt und dann Landwirtschaftslehrer und schließlich Berufsschuldirektor. Aufgewachsen ist Bärbel Christensen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Nach dem Abitur Studium der Mathematik und Volkswirtschaft an der Universität Kiel. Studienabschluss 1976 als Diplommathematikerin. Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hochschulrechenzentrum der Universität Duisburg. Verheiratet mit einem Mathematiker, wie schon erwähnt zwei Söhne. Noch einmal einen Schritt zurück Frau Höhn. Im berühmten 68er Jahr waren Sie 16 Jahre alt. Verstehen Sie sich und sehen Sie sich als einen sehr jungen Teil der 68er Bewegung?
Höhn
Also, politisch geprägt haben die mich schon. Weil, wir hatten - damals war ich an der Schule noch – hatten wir natürlich, also ich hatte auch einen älteren Bruder und andere auch und die haben natürlich sozusagen uns schon was mitgegeben. Also wir haben da schon Habermas und Adorno gelesen, nicht richtig verstanden aber das hat uns sehr sehr... das fanden wir sehr sehr spannend und insofern... Also die ganze Diskussion um die Institution, wie gehen wir damit um, die hat uns schon bewegt und deshalb glaube ich, in gewissem Sinne geprägt sind wir dadurch und politisiert sind wir dadurch schon.
Gaus:
Welche Ideale haben Bärbel Christensen auf die Straße getrieben, was hat Sie empört?
Höhn
Demonstrationen habe ich in dieser Zeit natürlich auch mitgemacht...
Gaus:
...na, wer nicht in Ihrem Alter?
Höhn
Genau. Und zwar aber auch wieder um konkrete Sachen. Also natürlich haben wir über Probleme... uns bei Problemen engagiert, was unser eigenes Studium anging, den ÖPNV, die Verschlechterung des ÖPNV, aber natürlich auch den Vietnamkrieg.
Gaus:
Erklären Sie ÖPNV.
Höhn
Den Öffentlichen Personennahverkehr, also, wenn die Busse da wieder teurer wurden...
Gaus:
Nicht alle wissen es genau.
Höhn
Ja, also insofern war auch da eigentlich schon der Punkt, dass ich gesagt habe: Es muss immer sehr konkret sein. Also ich war weniger diejenige, die sich dann auch einer linken Gruppe angeschlossen hat, die sozusagen dann alles auch gemacht hat - entweder Tirana hat gesagt wo es lang geht, oder Moskau hat gesagt, wo es langgeht, oder Peking hat gesagt, wo es lang geht. Das war weniger mein Stil. Aber richtiger fand ich, wenn es ein ganz konkretes Problem gab, das ich auch als ungerecht empfand, was gelöst werden musste. Dann habe ich mich auch engagiert.
Gaus:
Hatten Sie damals Träume von einer besseren Welt? Sie haben am Anfang dieses Interviews gesagt, Sie haben auf günstige Veränderungen gesetzt, die schneller als es möglich ist, erhofft wurden. Wenn man das jetzt ein bisschen überhöht, hat denn Bärbel Christensen - wollen wir jetzt bei Bärbel Höhn wieder bleiben, damit die Leute nicht denken hier hätte die Partnerin sich verwandelt – hatte die junge Bärbel Höhn politische Träume?
Höhn
Na natürlich.
Gaus:
Von einer besseren Welt – wie sahen die aus?
Höhn
Also der erste Punkt war, was wollte ich selber. Und da war das schon so - ich bin ja christlich sozial erzogen - da wollte ich schon etwas von dem zurückgeben, was ich ja selber empfangen habe, ich habe ja eine gute Kindheit gehabt. Ich habe ja Glück gehabt, so aufwachsen zu dürfen in einer intakten Familie. Ich bin auch so erzogen worden, verantwortlich der Gesellschaft gegenüber, da etwas zurückzugeben, ich sage mal an die sozial Schwachen, an Leute in der Gesellschaft, die es nicht so gut haben, wie ich. Und das war schon auch ein Lebensziel, was ich dann, ich sage mal - sehr philosophisch mit meinen Kommilitonen diskutiert habe: Was ist der Sinn des Lebens? Also was will ich selber für mich tun? Und dazu gehörte natürlich auch mehr Gerechtigkeit. Das war... die siebziger Jahre war die Diskussion der Bildungsgerechtigkeit. Ich habe ja erlebt, wie die Leute plötzlich Bafög bekommen haben. Und natürlich ging es um die Anti-AKW- Bewegung, also eine andere Energiepolitik.
Gaus:
Die Bärbel Höhn hat einmal gesagt, sie sei eine realistische Linke. Können Sie das an Beispielen konkretisieren, was eine realistische Linke ist?
Höhn
Ja, links ist ja immer sehr schwierig zu definieren. Und ich sage, mal der Teil von mir, der sich einfach wehrt gegen Ungerechtigkeiten, also der auch den Schwachen helfen will - sei es den Menschen oder sei es der Umwelt, die sich nicht wehren kann. Das ist glaube ich, eine auch klassische linke Position, die ich da vertrete. Realistisch bin ich auch ein Stück im Laufe der Zeit geworden und zwar dahingehend, dass sozusagen der Weg, der zum Ziel führt, dass ich da flexibler geworden bin, dass ich da nicht mehr so festgelegt – es muss nur ein Weg sein – dass ich sage, der Weg muss natürlich vertretbar sein, also es kann nicht irgendeiner sein, den ich nicht mitmachen kann. Aber ich bin da freier, sozusagen den zu wählen, mit wem ich das zusammen erreiche und insofern sozusagen passe ich die Erreichung der Ziele der Realität an.
Gaus:
Könnte es sein, dass Sie auf eine ganz spezielle Art, parteiintern wenn man so will, durchaus populistische Züge haben? Das heißt, auf Parteitagen sprechen Sie der Partei, der grünen Partei aus der Seele aber gleichzeitig sorgen Sie in der Praxis dafür, dass die Seele die Realpolitik nicht behindert.
Höhn
Nee, also das würde ich nicht so stehen lassen wollen. Und zwar deshalb weil ich glaube, man muss doch unterscheiden zwischen dem, wo ich hinwill und das ist auch das, was die Partei will und dem, wie wir es machen. Natürlich ist sozusagen diese Ungeduld, die ich früher auch hatte, gibt es natürlich bei einem großen Teil der Partei. Zu recht, denn ohne den Druck der Partei, ohne den Druck der Basis würde auch gar nichts funktionieren. Deshalb ist es auch gut so. Aber die Umsetzung ist manchmal schwierig und wir haben das ja gesehen in der Koalition, also jetzt auch in Nordrhein-Westfalen teilweise, dass das, was man erreichen kann, wenn man eine fünf- bis zehn -Prozent-Partei ist, gegenüber sozusagen allen anderen, die dagegen stehen, dass das manchmal nicht hundert Prozent dessen ist, was im Wahlprogramm steht. Wenn man das deutlich macht, dass man alles tut, um soviel wie möglich von den Zielen zu erreichen und die Ziele nicht aus den Augen zu verlieren, dann glaube ich, ist es das, was ich versuche. Und ich versuche es natürlich auch möglichst gut zu machen, meinen Job.
Gaus:
Da gibt es ja zwei Möglichkeiten – die eine Möglichkeit, es gibt wahrscheinlich noch 35 andere, nennen wir zwei Hauptmöglichkeiten. Die eine Möglichkeit ist, Mann oder Frau stellt sich vor den Parteitag und sagt: Nicht alle Blütenträume reifen, da wollen wir hin. Sie würden sagen, gemäß unserem Programm. Und deswegen sage ich euch, ihr müsst euch zurücknehmen in euren Emotionen, Selbstdisziplin üben. Und dann kann man damit scheitern oder man kann damit eine Mehrheit kriegen. Früher ist man damit regelmäßig gescheitert bei den Grünen, inzwischen kriegt man fast regelmäßig eine Mehrheit – war beim Kosovo-Konflikt auch so – das ist die eine Möglichkeit. Die andere Möglichkeit ist die, nach der ich etwas boshaft gefragt habe. Auf dem Parteitag spricht man die Seele der Delegierten an und im Kabinett oder in der Praxis, wo immer sie geübt wird, sorgt man dafür, dass die Seelenaufwallungen die Praxis nicht beschädigen. Sind zwei verschiedene Wege. Die Frage war, ist der zweite Weg möglicherweise eher Ihrer, als der erste?
Höhn
Also mir wird ja eher vorgeworfen, dass ich eher noch in den Verhandlungen die Seele wallen lasse. Also insofern scheint mir doch eher der erste Weg der richtige zu sein.
Gaus:
Wo verläuft für Sie die Grenze zwischen einem wertgebundenen Pragmatismus und Opportunismus?
Höhn
Der entscheidende Punkt ist glaube ich, dass bei den Zielen, die sich aus den Wegen ergeben, dass sich bei den einzelnen Auseinandersetzungen, die ich führe, dass ich diesen Zielen jedes Mal ein Stück näher kommen muss. Wenn es zurück geht, wenn es in die falsche Richtung geht, dann darf ich nicht mitmachen. Das ist eine Grenze, die darf ich nicht überschreiten und das ist sozusagen der Pragmatismus zu sagen, ich habe jetzt nur einen kleinen Schritt erreicht, aber in die richtige Richtung. Opportunismus wäre, wenn ich auch Sachen mitmache, die kontraproduktiv sind, die in eine andere Richtung gehen und die sozusagen nur noch dafür da sind, dass man wirklich die Macht erhält. Also damit auch die Macht falsch einsetzt, weil man sie eben nicht in Richtung Ziel einsetzt.
Gaus:
Können Sie ein Beispiel geben für politische Haltungen, politische Beschlüsse, bei denen Bärbel Höhn sagt: Das war’s, ich verabschiede mich.
Höhn
Also momentan sehe ich...
Gaus:
Beim Kosovo-Krieg war es nicht so. Wann kann es je so sein?
Höhn
Theoretische Frage.
Gaus:
Ja.
Höhn
Also momentan würde ich die in meiner eigenen Partei nicht sehen. Also weil ich das Fundament meiner Partei noch für sehr gut finde. Also ich finde, dass sie sich sehr intensiv, sehr sensibel auch mit so schwierigen Fragen wie Krieg und Frieden auseinandersetzt, sich solche Entscheidungen nicht einfach macht und man kann darüber sozusagen reden: Hättet ihr nicht eine andere Mehrheit finden müssen. Aber die Auseinandersetzung finde ich auf einem hohen Niveau, auch wenn man immer sagt, die Grünen werden sozusagen immer mehr Regierungspartei, finde ich, trotzdem haben wir diese Auseinandersetzungen weiter, die verlieren nicht an Wert und nicht an Durchschlagskraft. Auch was so andere sensible Fragen, die mich betreffen würden - zum Beispiel, wie gehen wir mit Rassismus um, wie gehen wir mit Menschenrechtsverletzungen um, finde ich...
Gaus:
Sie können in der Zeit kein Politikfeld erkennen, von dem Sie sagen: Wenn meine Parteifreunde dieses betreten, werden sie es ohne mich tun müssen?
Höhn
Also momentan sehe ich bei den mir sehr wichtigen Politikfeldern - wie Krieg und Frieden, wie Menschenrechtsverletzungen - dass ich ganz gut mit meiner Partei leben kann.
Gaus:
Alle Reformen, die die Rot-Grüne Koalition in Berlin angepackt hat und auf den Weg gebracht hat und am Ende in irgendeiner Form verabschiedet, so notwendig sie sind oder nicht sind, am Ende wird ein größerer Teil der Bevölkerung ärmer sein als vorher. Ein sehr viel kleinerer Teil der Bevölkerung wird weniger arm sein, wird nicht ärmer geworden sein. Was sagt der Gerechtigkeitssinn von Frau Höhn zu dieser Sozialpolitik, von der ich... von deren Notwendigkeit ich nicht spreche, sondern nur über dieses Ergebnis.
Höhn
Also ich glaube, dass wir da Defizite haben und dass wir da mehr dran tun müssen. Deshalb bin ich auch eine der Unterstützerinnen die sagt, wir müssen - in welcher Form auch immer - an eine Vermögenssteuer oder eine Erbschaftssteuer ran. Was wir im jetzigen System haben ist, dass der Faktor Arbeit wahnsinnig belastet wird, also damit alle Erwerbstätigen, dass aber der Faktor Kapital oder der Faktor Ressource viel zu wenig belastet wird und dass das genau zu dieser Ungerechtigkeit, übrigens auch zu dieser hohen Arbeitslosigkeit führt. Und deshalb sehe ich, dass wir bestimmte Änderungen machen müssen, auch in der Agenda 2010, aber mir fehlen bestimmte Punkte und das ist sozusagen eine stärkere Besteuerung von Kapital. Also wie auch immer, seien es Vermögenssteuer, Erbschaftsteuer oder welche Form. Also da bin nicht mehr so festgelegt, dass ich sage: Nur das eine will ich. Aber aus Gerechtigkeitsgründen müssen wir stärker das Kapital was da ist, auch besteuern.
Gaus:
Gerechtigkeit ist für sie ein Faktor von Realpolitik, nicht von Träumerei?
Höhn
Ja, genau. Das ist sozusagen auch etwas, warum ich Politik mache. Und es kann nicht am Ende das Ziel sein, dass Reiche reicher geworden sind und Arme ärmer geworden sind. Und dass die Schere weiter auseinander gegangen ist und deshalb muss man auch bei der Agenda 2010 sagen: Leute, da fehlt noch was, da müssen wir was tun. Und das wäre bei der Besteuerung von Kapital.
Gaus:
Was sagen Sie, wenn jetzt der Bundeskanzler sagt, die Grünen kotzen ihn an - und zwar in diesem Zusammenhang?
Höhn
Na in dem hat er es ja nicht gemeint.
Gaus:
Nein, aber jetzt in diesem, danach frage ich, weil dies unser Interview ist.
Höhn
Na ja. Also da müssten bestimmte Teile seiner Partei ihn auch ankotzen, weil - die haben dieselben Forderungen. Also ich sag mal, mich ärgert momentan – also er hat es ja auch bestritten, aber okay – mich ärgert momentan eher, dass über den Wirtschaftsminister in der Rot-Grünen Koalition in Berlin stärker, ich sage mal eine alte SPD-Politik gemacht wird, die dieser Koalition schadet. Und zwar stärker auf Großkonzerne gesetzt, stärker auf alte Industrien gesetzt, wo wir eine soziale Frage haben, aber keine energiepolitische, also zum Beispiel bei der Steinkohle. Und das, finde ich, gefährdet momentan diese Koalition viel mehr, als wenn man mal eine Äußerung zum Irak macht.
Gaus:
Da Sie auf Wolfgang Clement gekommen sind. Ich zähle einmal auf, was Wolfgang Clement - als er Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen war - über seine Ministerin Höhn – Sie sind Ministerin für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft...
Höhn
War ich, jetzt bin ich nicht mehr für Raumordnung, aber dafür Naturschutz und Verbraucherschutz...
Gaus:
Sie haben sich ein bisschen durchgesetzt.
Höhn
Das war noch Clement.
Gaus:
Das war noch Clement?
Höhn
Ja genau.
Gaus:
Also und Sie sind seit `85 Mitglied der Grünen, um das auch zu sagen. Also ich zähle einmal auf, was ich mir notiert habe, was Wolfgang Clement über seine Ministerin Höhn gesagt hat, ohne auch nur die Hand vorzuhalten, hintereinanderweg gesagt: „Weltfremd, unberechenbar, absurd, unverantwortlich, eine Katastrophe“. Ende der Worte, die Clement für Höhn gefunden hat. Was sagen Sie dazu?
Höhn
Ja. Das ist ja auch schon ein bisschen Geschichte. (lacht)
Gaus:
Aber Geschichte ist sehr interessant.
Höhn
Das stimmt, das stimmt.
Gaus:
Wenn sie so konkret in Worte gefasst ist.
Höhn
Ja das stimmt. Gut. Also ich glaube, für die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen war es ein Kulturschock, mit den Grünen zusammengehen zu müssen. Sie haben uns lange als ein Anhängsel betrachtet, das sie brauchen, um die Mehrheit zu haben. Aber nicht das sie brauchen, um mit ihnen gemeinsam Politik zu machen. Und weil ich eigentlich immer darauf beharrt habe, dass wir unsere grünen Ziele da auch mit einbringen, glaube ich, war ich auch einfach manchmal ein bisschen unangenehm und für so einen – Clement ist auch manchmal ein bisschen ruppig, sage ich mal - und für so eine Machtmenschen wie Clement und für so einen ruppigen, dem fallen dann durchaus auch mal drastische Vokabeln ein. Ich weiß nicht, ob er zu jeder dieser Vokabeln steht, aber ich glaube zu einem Teil, da ist er ja auch ehrlich, wird er stehen.
Gaus:
Also alle sind ja mal in die Welt gekommen, ohne dass er Gegendarstellungen verlangt hätte.
Höhn
Also okay, gut, dass er es irgendwo mal gesagt hat, traue ich ihm durchaus zu.
Gaus:
Mal ganz aufrichtig, kränkt Sie so was ein bisschen?
Höhn
Am Anfang ja, klar am Anfang – also weniger in der Zeit von Clement. Also als ich dann Ministerin wurde, da hatte ich ja schon ein bisschen Erfahrung hinter mir. Aber am Anfang, als ich Fraktionssprecherin wurde, hat mich das natürlich gekränkt, solche Äußerungen. Heute bin ich da einfach lockerer. Also ich sage, wer so über jemand anderen redet, hat keine anderen Argumente mehr. Und das zeigt einfach, dass er ein bisschen hilflos ist.
Gaus:
Wo sehen Sie selbst die größten Schwierigkeiten, die Sie politischen Partnern bereiten, Ihrer Art nach?
Höhn
Ich glaube, dass ich einfach anders bin als andere und dass sie das nicht gewohnt sind.
Gaus:
Wieso sind Sie anders? Worin sind Sie anders?
Höhn
Einfach weil ich da hartnäckiger bin, mehr an meinen Zielen festhalte, sozusagen auch an den Inhalten immer festhalte und weniger so eine bin, wo man sagen kann: Pass mal auf, wir setzen uns mal bei einem Glas Rotwein zusammen und dann kungeln wir mal ein bisschen. So. Und das ist nicht so mein Stil. Ich bin dann auch im Detail eigentlich durchaus sehr präzise, weil ich weiß, dass auch das Detail teilweise in der Sache sehr sehr wichtig ist. Und die meisten Politiker begeben sich so weit in die Sache nicht rein und deshalb finden sie das erst mal unangenehm.
Gaus:
Neigen Sie manchmal dazu, in einem Kompromiss schon eine Niederlage zu sehen?
Höhn
Ich... mittlerweile glaube ich nicht mehr, die Grünen schon. Das ist auch ein Verhalten unserer Partei. Also Sie haben doch vorhin zum Beispiel diesen Punkt Raumordnung angesprochen. Ich habe da sehr schnell, als ich gemerkt habe, dass das darauf hinausläuft, dass die unbedingt die Raumordnung haben wollten, einfach eher überlegt, was kann man dafür kriegen? So und als wir ein gutes Paket beieinander hatten, grüne Ressorts dafür bekommen haben, da fand ich, war das ein guter Kompromiss. Hat sich im Nachhinein ja auch herausgestellt, aber die Partei hat das schon als einen sehr großen Verlust angesehen, also die hat nur gesehen, was wurde ihr weggenommen und nicht gesehen, was haben wir dafür erstritten und bekommen. Und insofern würde ich nicht in jedem Kompromiss eine Niederlage sehen. Also, ist auch nicht so. Aber manchmal neigt meine Partei dazu, das so zu sehen.
Gaus:
Hätten Sie gerne, dass Ihre Söhne in die Politik gehen?
Höhn
Eher nicht. Und zwar aus folgendem Grund: Ich bin ja auch eigentlich aktiv erst relativ spät in die Politik gegangen, also da war ich ja schon über dreißig und das finde ich auch richtig. Also auf der einen Seite brauchen wir junge Leute in der Politik, damit die auch ihre Bedürfnisse darstellen. Auf der anderen Seite finde ich das ganz schwierig, wenn man ganz jung in die Politik geht, noch keine Erfahrung im Beruf hatte und damit auch noch nicht diese wirtschaftliche Unabhängigkeit, die ich ganz ganz wichtig finde. Deshalb, wenn sie vielleicht später einmal in die Politik gehen, ist das okay, aber wenn sie so von vornherein, ich sage mal solche Parteiprofis geworden wären, das hätte ich wahrscheinlich auch in ihrem Sinne nicht so für gut gefunden.
Gaus:
Was tun Sie gerne, wenn Sie nicht Politik machen?
Höhn
Mit meiner Familie zusammen sein, also ich sage mal ein bisschen...
Gaus:
... die Söhne sind aus dem Haus.
Höhn
Ja, aber die kommen oft zurück. Also, die kommen ja oft und besuchen uns.
Gaus:
Was tun sie?
Höhn
Die sind jetzt gerade in ihren Abschlussprüfungen. Also einer studiert Wirtschaftsmathematik...
Gaus:
... Mathematik!
Höhn
Ja, auch. Genau. Der will sozusagen... bewirbt sich schon gerade fleißig. Und der andere wird Lehrer für Mathematik und Geschichte. Also der macht gerade sein zweites Staatsexamen.
Gaus:
Kommen Sie und Ihr Mann niemals ins Grübeln, wie so was kommt, zwei Mathematiker kommen zusammen und dann kommen zwei mathematisch orientierte Kinder zustande. Also - ist das irgendwo ein bisschen unheimlich, dass nicht mal irgendeiner aus der Art schlägt?
Höhn
Also wir haben ihnen eher geraten, nicht Mathematik zu studieren.
Gaus:
Warum?
Höhn
Und zwar erst mal deshalb, weil das ein ganz ganz hartes Studium ist und weil man am Ende meistens was anderes macht, als die Mathematik.
Gaus:
Also Bärbel Höhn ganz sicher.
Höhn
Ja. Mein Mann auch und insofern...
Gaus:
... was macht Ihr Mann?
Höhn
Mein Mann hat mit mir sich eine Stelle an der Universität geteilt...
Gaus:
... das weiß ich, ja.
Höhn
Sozusagen im Rechenzentrum. Momentan hat er sich beurlauben lassen und insofern hat er sozusagen... seine anderen Fähigkeiten bringt er jetzt auch ein. Also insofern ist, glaube, ich die Mathematik eher eine Grundlagenwissenschaft: Wie denke ich überhaupt? Wie analysiere ich ein Problem? Wie versuche ich ein Problem anzugehen? Aber es ist auf jeden Fall wichtig, etwas anderes zu haben, auch andere Fachkenntnisse zu haben. Um dann eben auch neben den Instrumenten, die man in der Mathematik lernt - und auch gut verwenden kann später mal, auch in vielen anderen Bereichen - sozusagen dann ein anderes Handwerk auch gelernt zu haben.
Gaus:
Was sind die anderen Fähigkeiten, die ihr Mann jetzt, wo er sich hat beurlauben lassen, ausübt?
Höhn
Der kann einfach jedes Handwerk machen. Der kann sich in juristische Sachen hineinbegeben. Der kann... Also der hat neben der Mathematik einfach noch sehr viele andere Fähigkeiten. Man muss aufpassen, es gibt ja auch bestimmte Mathematiker, die dann nur noch in der Mathematik leben, das gibt dann auch ein paar sehr weltfremde. Und dann muss man eben aufpassen, dass man das sozusagen auch im anderen gesellschaftlichen Leben anwendet und dass nicht die Mathematik einen selber beherrscht.
Gaus:
Das heißt, es ist für Sie keine Entspannung, wenn Sie mal soviel Zeit hätten, ein mathematisches Problem von Grund auf und ohne reale Bezüge zu lösen, zu durchdenken?
Höhn
Das würde... Vielleicht für meinen Mann eher, aber für mich nicht. Also ich würde eher – ich sehe Mathematik eher auch als ein gutes, ein... was sozusagen die Abstraktionsfähigkeit schärft, aber ein gutes Instrument.
Gaus:
Erlauben Sie mir eine letzte Frage: Sie sind in den siebziger Jahren aus der Kirche ausgetreten, heute predigen Sie wieder auf Kirchentagen. Warum?
Höhn
Also ich bin natürlich geprägt von christlichen Werten. Also von der sozialen, ökologischen Frage und auch der Friedensfrage. Da finde ich viel bei dem, wie ich auch erzogen worden bin. Das sind die Werte, die mein Leben bestimmen. Ich bin in den siebziger Jahren ausgetreten aus der Kirche, aus der Institution. Ich bin nun evangelisch gewesen, im Norden. Aber das ist ja eher die Kirche – was hat die Kirche im Mittelalter gemacht, was hat auch die katholische Kirche gemacht, da haben wir sehr kontrovers drüber diskutiert und einfach gesagt, damit wollen wir nichts zu tun haben. Und heute merke ich einfach, dass ich eine große Verbindung habe zu Menschen, die in der Kirche sind, zu Gemeinden, die sich genau bei diesen Fragen genauso positionieren und engagieren, wie ich das tue und das bringt mich sozusagen letzten Endes zurück zur Kirche oder vielleicht zu den Werten, die ich mit meinem christlichen Glauben verbinde.