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Der Haushalt 2025 steht. Und wie erwartet: Ohne Aussetzung der Schuldenbremse, Finanzminister Lindner hat sich durchgesetzt. Dabei sehen viele Expertengremien die derzeitige Schuldenbremse als hochproblematisch an. Ob es der IWF, die OECD oder auch die Bundesbank ist - sie alle halten eine Reform für sinnvoll. Marode Schulen, eine kaputtgesparte Bahn, eine kriegsuntüchtige Bundeswehr und grassierende Wohnungsnot – Deutschland braucht dringend Investitionen. Laut Deutschen Institut für Wirtschaft fehlen in den kommenden zehn Jahren 600 Milliarden Euro. Doch das wird es so nun nicht geben. Das Ausland blickt zum Teil mit Häme auf die „bizarre Haushaltspolitik“ der Deutschen. Internationale Ökonomen sehen die deutsche Sparpolitik gar als Wachstumsbremse, mit der Deutschland ganz Europa schade. Spielraum für höhere Investitionen wäre da, denn im internationalen Vergleich liegt Deutschland mit einer Verschuldung von etwa 64 Prozent des BIP weit unter der von Frankreich, Großbritannien oder der USA.
Beitrag von Kaveh Kooroshy, Markus Pohl und Carla Spangenberg
Anmoderation: Jetzt haben sie ihn durchgebracht den Haushaltsplan für 2025. Er ist verabschiedet und bei diesen langen Verhandlungen ging es auch immer darum, was alles nicht geht: Die Ampel steht auf "rot". Sie steht auf der Schuldenbremse ausgerechnet jetzt. In Zeiten in denen die ganze Welt während der Fußball EM über unsere maroden Züge lachte. Unsere Infrastruktur ist in einem Wort: marode. Einsturzgefährdete Brücken, heruntergekommene Schulen, kaputte Straßen das Land zugrundegespart und obendrein schwächelt auch noch die Wirtschaft. In solchen Krisen Zeiten wäre es eigentlich wichtig, dass man richtig Geld in die Hand nimmt, in die Zukunft investiert. Aber das ist momentan wie vieles andere gestrichen.
Schuldirektor Frank Müller führt uns durch seine Grundschule im brandenburgischen Guben. Der alte Industriebau ist längst nicht mehr zeitgemäß und schlichtweg zu klein.
Frank Müller, Schulleiter Friedensschule-Grundschule
"24 Kinder auf 37 Quadratmetern. Das ist natürlich sehr beengt. Das Einzige, was modern ist, ist das White Board, wie Sie sehen. Aber insgesamt: Es fehlt der Platz einfach für die Kinder."
Ein Neubau müsste her, auch um künftig den Ansprüchen an eine Ganztagsschule gerecht zu werden. Der Bürgermeister veranschlagt hierfür 30 Millionen Euro, Finanzierung unklar. Man hofft auf Förderungen.
Fred Mahro, CDU, Bürgermeister Guben
"Wir haben wirklich alles, was wir an finanziellen Möglichkeiten haben, zusammengekratzt im wahrsten Sinne des Wortes und hoffen, dass der zweite Teil, der hier finanziert werden muss, tatsächlich vom Land und vom Bund kommt, denn wenn man sagt, wir müssen in die Zukunft investieren, dann muss man das auch mit Geld tun."
Geld, das Guben selbst nicht hat. Das marode Freibad bleibt diesen Sommer geschlossen. Eine Sanierung wirtschaftlich nicht rentabel, ein Neubau kaum bezahlbar. Genausowenig die grundlegende Sanierung der Straßen in der Stadt, die teilweise noch aus den 70er Jahren stammen.
Fred Mahro, CDU, Bürgermeister Guben
"Alleine, wenn wir das Stück Straße sanieren würden, müssten wir alle Investitionen in der Stadt Guben für ein Jahr komplett zurückstellen. Und das denke ich mal, das ist unverantwortbar."
Wie Guben geht es den meisten Städten und Gemeinden. Ob kaputte Brücken oder marode Schuldächer: In Deutschland tut sich ein gewaltiger Investitionsstau auf. Mehr als 200 Milliarden Euro müssten in den nächsten zehn Jahren allein in die kommunale Infrastruktur investiert werden.
So hat es das Deutsche Institut für Wirtschaft errechnet. Hinzu kommen notwendige Investitionen in Bildung, Wohnungsbau, Klimaschutz und die überregionale Infrastruktur. Insgesamt knapp 600 Milliarden Euro in zehn Jahren – zusätzlich zu den ohnehin vorgesehenen Ausgaben in den öffentlichen Haushalten.
Prof. Michael Hüther, Institut der deutschen Wirtschaft
"Der Investitionsstau ist in der Tat dramatisch, weil er ja keine Kurzgeschichte ist, sondern seit etwa 20 Jahren durch eine Unterfinanzierung öffentlicher Investitionen zustande gekommen ist. So kann´s wohl nicht weitergehen. Ich wundere mich, wenn manche meiner Kollegen sagen, hier würde der Staat nicht kaputtgespart, sondern er ist schon kaputtgespart."
Die Ampel aber rühmt sich in diesen Tagen dafür, nach den Corona-Jahren endlich wieder die Schuldenbremse einzuhalten. Allen voran der Finanzminister.
Sein Haus schaltete vor einigen Wochen sogar Werbung für die Schuldenbremse, die Ausgaben von Bund und Ländern streng beschränkt. In der FDP-Farbe Gelb.
Bei der Vorstellung der Haushalts-Einigung für 2025 fragen wir nach:
"Warum halten Sie an diesem Mantra der Schuldenbremse weiterhin fest, die ja auch international kritisiert wird?"
Christian Lindner, FDP, Bundesfinanzminister
"Wir sind in der Lage, die Investitionsnotwendigkeiten dieses Staates aus dem laufenden Haushalt zu decken. Ich hatte darauf hingewiesen, dass er mit 57 Milliarden Euro im Haushalt ein historisches Hoch haben, das wir noch mal verstärkt haben gegenüber dem vergangenen Jahr."
Es ist tatsächlich mehr als zuvor – aber immer noch viel zu wenig, um die Investitionslücken zu schließen.
Prof. Michael Hüther, Institut der deutschen Wirtschaft
"Das hat man in die Zukunft verschoben. Beziehungsweise man ignoriert es. Das merkt man bei einigen Mitgliedern, auch von der Regierung, die dann immer sagen: Ja, ja, das mit den Investitionen, wir haben jetzt den höchsten, historisch höchsten Ansatz im Bundeshaushalt. Es geht nicht um historische Ansätze, es geht um die Bedarfe, die über Jahrzehnte sich aufgebaut haben. Und wenn wir die nicht langsam decken, dann werden wir die Funktionsfähigkeit des Staates infrage stellen."
Wie schlecht es um zentrale Bereiche der deutschen Infrastruktur steht, zeigte die Fußball-EM: Fans aus ganz Europa erlebten unzureichenden Nahverkehr und ausgefallene Züge. Österreichische Fans mit einer pointierten Lagebeschreibung:
"Die Deutsche Bahn ist so im Oasch, die Deutsche Bahn ist so im Oasch!"
Das deutsche Schienennetz ist marode. Mehr als 90 Milliarden Euro, schätzt die Bahn, bräuchte es, um das Netz zu erneuern.
Mechanische Stellwerke sind in Deutschland keine Seltenheit. Teilweise aus der Kaiserzeit, so wie dieses Stellwerk eines privaten Unternehmens in Nossen bei Dresden. Der Fahrdienstleiter muss hier per Hand dreizehn Hebel umstellen, damit der nächste Zug auf das richtige Gleis fährt.
Patrick Horn, Fahrdienstleiter
"Ich muss jetzt optisch gucken, dass ich den Fahrweg einstellen kann. Ohne das geht es nicht und dazu gehören eben auch die dazugehörigen Weichen."
Bei den Investitionen in die Bahn-Infrastruktur hinkt Deutschland Ländern wie der Schweiz oder Österreich weit hinterher, wie der Pro-Kopf-Vergleich eindrücklich zeigt.
Um mehr in die Bahn zu investieren und gleichzeitig die Schuldenbremse einzuhalten, bedient Christian Lindner sich eines Kniffs: Der Bund erhöht das Eigenkapital der Bahn, das Geld dafür leiht er ihr aber nur – und damit fällt es nicht unter die Schuldenbremse. Ein Haushaltstrick.
Dieses Darlehen an die Bahn hat aber einen Haken: Sie muss dafür Zinsen zahlen, erklärt der Verkehrsexperte Andreas Geißler:
Andreas Geißler, Allianz pro Schiene
"Und diese Verzinsung, diese Kapitalkosten, die müssen dann nachher auf die Trassenpreise umgelegt werden. Die Trassenpreise, das ist die Schienen-Maut, die alle Züge zahlen müssen, die auf dem Schienennetz fahren. Und diese Trassenpreise, die gehen dann nach oben."
Und damit wird das Zugfahren teurer. Schon hat die Bahn erklärt, unrentable Strecken deshalb möglicherweise einstellen zu müssen.
Eine Absurdität, die zeigt, welche Verrenkungen unter dem Diktat der Schuldenbremse notwendig sind, um überhaupt noch investieren zu können.
Die Ökonomin Isabella Weber, die in den USA lehrt, hält diese Kombination aus Investitionsstau und Schuldenbremse für fatal.
Prof. Isabella M. Weber, Ökonomin
"Ich denke, dass sich Deutschland gerade eigentlich ins eigene Fleisch schneidet mit dieser Art von Schuldenbremsen-Politik. Die Schuldenbremse ist aus der Zeit gefallen. Es war wahrscheinlich nie eine gute Idee, die Schuldenbremse in die Verfassung zu schreiben."
2009 stimmte der Bundestag mit Zwei-Drittel-Mehrheit für die Aufnahme in das Grundgesetz. Seitdem ist die Neuverschuldung auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beschränkt – plus einer von der Konjunkturlage abhängigen Komponente. Nach der Finanzkrise sollten die ausufernden Staatsschulden gebändigt werden. Das aber ist längst geschehen.
Unter den G7-Staaten hat Deutschland die mit Abstand niedrigste Staatsschuldenquote mit lediglich 64 Prozent.
Und gleichzeitig hat Deutschland das geringste Wirtschaftswachstum, steckte 2023 sogar in einer Rezession.
Prof. Isabella M. Weber, Ökonomin
"Es ist das eine, wenn man eine Schuldenbremse hat in einer Situation, in der die Wirtschaft in einer guten Lage ist und insofern es keinen großen Schaden anrichtet, wenn der Staat spart. Und es ist das andere, wenn mitten in einer der tiefsten Krise seit der Nachkriegszeit auf der Schuldenbremse besteht, weil genau in dieser Situation der Staat ganz besonders gefragt ist, um Investitionen voranzutreiben, um die Wirtschaft widerstandsfähiger zu machen."
In den USA etwa hat Präsident Biden die Wirtschaft mit einem 400 Milliarden Dollar Investitionspaket angekurbelt. Es soll helfen, das Land klimaneutral und zukunftsfest umzubauen.
Selbst der Internationale Währungsfonds und die OECD mahnen mittlerweile eine Reform der deutschen Schuldenbremse an. Auch die Bundesbank zeigt sich offen dafür.
Christian Lindner aber sieht sich weiter auf richtigem Kurs:
Christian Lindner, FDP, Bundesfinanzminister
"Deutschland muss auch in fiskalpolitischer Hinsicht führen durch Vorbild."
Prof. Isabella M. Weber, Ökonomin
"Ich würde sagen, dass man in Ökonomenkreisen – und zwar über verschiedene Denkschulen hinweg – den Kopf schüttelt, weil es einfach nicht nachvollziehbar ist. Aus 'ner wirtschaftspolitischen Perspektive ist das keine Vorbildfunktion, sondern gleicht eher einer Art von Masochismus.
Doch nicht nur für die Wirtschaft könnte der Sparkurs zum Problem werden:
Prof. Michael Hüther, Institut der deutschen Wirtschaft
"Parallel zur Infrastruktur-Lücke haben wir uns eine Verteidigungs-Lücke oder eine Friedensdividende gegönnt, die etwa auch so groß ist. Zu der 600-Milliarden-Lücke bei den öffentlichen Infrastruktureinrichtungen kommen so etwa 650 Milliarden Unterfinanzierung der Bundeswehr, gemessen an dem 2-Prozent-Ziel."
Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro reicht nicht aus, um diese Rückstände aufzuholen.
Laut Ampel-Finanzplan soll der Wehretat 2028 auf 80 Milliarden Euro ansteigen – knapp 30 Milliarden mehr als heute. Schon jetzt wird dafür bestellt, etwa solche Leopard-Panzer. Woher das Geld für den Zuwachs kommen soll, ist aber völlig offen.
Man verschiebe das Problem auf die Zukunft, kritisiert der haushaltpolitische Sprecher der Union.
Ingo Gädechens, CDU, Haushaltsausschuss
"Ich habe bisher in meiner politischen Tätigkeit und das sind jetzt über 15 Jahre eine derartige Haushaltspolitik noch nicht erlebt. Scholz hat ja gesagt, er hat keine Lösung für dieses Problem. Aber er stellt sich der Wiederwahl und wird das Problem dann angehen. Ja, so kann man natürlich argumentieren. Aber das ist nicht redlich. Und ich sag ihnen ganz ehrlich: 30 Milliarden ist eine riesen Summe."
Gestern in Erfurt: Truppenbesuch des Verteidigungsministers. Boris Pistorius macht gegenüber Kontraste keinen Hehl daraus, dass er vom Haushalt seiner Ampel-Regierung enttäuscht ist.
Kontraste
"Ist es möglich, mit der Schuldenbremse tatsächlich bis 2029 kriegstüchtig zu werden?"
Boris Pistorius, SPD, Bundesverteidigungsminister
"Also ich habe immer Zweifel daran geäußert, dass wir diese Situation meistern mit einer vollumfänglich gültigen Schuldenbremse, an der Auffassung habe ich auch nach dem heutigen Tag nichts zu ändern."
Eine schlecht aufgestellte Bundeswehr, eine marode Infrastruktur und eine schwächelnde Wirtschaft – Zeit zu investieren, und nicht zu sparen.