- Klage gegen neues Klimaschutzgesetz

Ein Extremwetter jagt das nächste, Überschwemmungen, zerstörte Häuser, Tote – und dennoch unterschreibt Bundespräsident Steinmeier ein Klimaschutzgesetz, das eher weniger als mehr Klimaschutz bedeutet. Die Politik scheint klimamüde zu sein – und das obwohl für die Mehrheit der Deutschen der Schutz des Klimas eines der wichtigsten Themen ist. Konnten Vizekanzler Habeck und „Klimakanzler“ Scholz mit diesem Thema noch die Wahl gewinnen, so glauben inzwischen zwei Drittel nicht mehr daran, der Krise was entgegen setzen zu können. Und seitdem klar ist, dass Klimaschutz jeden Einzelnen etwas kostet, nimmt so mancher wohl lieber die Klimakatastrophe in Kauf. "Es ist eben nicht so, dass morgen die Welt untergeht.", sagt Friedrich Merz. Was er nicht sagt: Übermorgen könnte es zu spät sein. Der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung ist Anfang Juni zu dem Schluss gekommen, dass wir unsere Klimaziele womöglich verfehlen werden. Ein breites Bündnis aus Umweltverbänden, Fridays for Future und Einzelpersonen will nun vor dem Bundesverfassungsgericht Klage gegen Bundesregierung und Bundestag einreichen. Ihre Forderung: Ein verfassungskonformes Klimaschutzgesetz.
 
Beitrag von Anne Grandjean, Chris Humbs und Viviane Menges

Anmoderation:Jetzt haben sie ihn durchgebracht den Haushaltsplan für 2025. Er ist verabschiedet und bei diesen langen Verhandlungen ging es auch immer darum, was alles nicht geht: Die Ampel steht auf "rot". Sie steht auf der Schuldenbremse ausgerechnet jetzt. In Zeiten in denen die ganze Welt während der Fußball EM über unsere maroden Züge lachte. Unsere Infrastruktur ist in einem Wort: marode. Einsturzgefährdete Brücken, heruntergekommene Schulen, kaputte Straßen das Land zugrundegespart und obendrein schwächelt auch noch die Wirtschaft. In solchen Krisen Zeiten wäre es eigentlich wichtig, dass man richtig Geld in die Hand nimmt, in die Zukunft investiert. Aber das ist momentan wie vieles andere gestrichen.

"Komm, komm, komm, komm. So, dann kommt man mit auf die neue Weide."

Die Bio-Bauern Ulf und Hendrik Alhoff-Cramer betreiben einen Hof bei Detmold. Auf 80 Hektar halten sie Rinder und bauen Getreide an. Für sie ist die Klimakrise längst Realität.

Ulf Allhoff-Cramer, Bauer

"Früher gab es immer genug Wasser, so dass es halt wächst, ne? Und jetzt ist einfach so, dass wir in den letzten sechs Jahren fünf Dürrejahre hatten. Das heißt: Es war richtig richtig heftig."

Bis vor zwei Jahren hatten Vater und Sohn noch Einnahmen aus der Waldwirtschaft. Durch die Folgen des Klimawandels sind die komplett eingebrochen:

Ulf Allhoff-Cramer, Bauer

"Innerhalb von drei Jahren war all das, was mein Vater vor 70 Jahren gepflanzt hat, vertrocknet und vom Borkenkäfer aufgefressen. Das Holz ist nach China gegangen für einen Appel und ein Ei und es gibt keine Einnahmen mehr aus dem Wald."

Der Sohn zeigt in einem Social-Media-Video was nach den Dürrejahren kam: Starkregen vernichtete die Ernte.

Hendrik Allhoff-Cramer, Bauer

"Hier waren 25 Hektar Soja. Die sind jetzt komplett platt."

Durch Ernteausfälle fehlte Futter, es musste teuer eingekauft und Rinder verkauft werden.

Ulf Allhoff-Cramer, Bauer

"Die Klimakrise ist viel schneller und viel härter über uns gekommen, als es die Forscher vorhergesagt haben. Und das spüren wir an allen Ecken und Kanten. Und das ist ein Problem, was ganz besonders die Bauern und Bäuerinnen merken, weil sie nämlich die Höfe nicht mehr in einem guten Zustand an ihre Kinder übergeben können."

"Oh man ey... Warum ist das alles so schwer. Ich versteh das nicht."

Ereignisse wie diese werden durch die Klimakrise immer wahrscheinlicher und heftiger.

Doch trotz all dem nehmen die weltweiten CO2-Emissionen immer weiter zu.

Deutschland ist in besonderer Verantwortung: Im Vergleich zum weltweiten Pro-Kopf-Durchschnitt stoßen wir deutlich mehr CO2 aus.

Aber Deutschland kam lange nicht aus dem Knick. Im Frühling 2021 verdonnerte dann das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung zum Handeln.

Maja Göpel forscht zu den Wendungen und Windungen der deutschen Klimapolitik. Das Urteil änderte einiges.

Maja Göpel, Transformationsforscherin

"Das ist eine wichtige Korrektur gewesen gegen eine eingebaute Kurzfristigkeit der Politik, die ja gerne sich an Wahl-Zyklen und an Sonntagsfragen etc. orientiert und sagt na ja, also meiner Klientel möchte ich jetzt kurzfristig nicht zusätzliche Kosten oder Aufwände zumuten, weil das nicht unbeliebt macht."

Ein ambitioniertes Klimagesetz kam und der Kanzler versprach:

Olaf Scholz, SPD, Bundeskanzler, Dez 2021

"Wir haben uns verpflichtet bis 2045 muss Deutschland klimaneutral sein … Die Pariser Klimaziele gelten."

Das Gesetz wurde in dieser Woche durch eine Novellierung abgeschwächt. Nach langem Zögern unterzeichnete der Bundespräsident die Änderungen.

Für die Alhoff-Cramers steht fest: Die Gesetzesänderung ist ein massiver Rückschritt im Klimaschutz. Zusammen mit zurzeit über Tausend anderen Privatpersonen und einem Bündnis aus Umweltverbänden ziehen sie vors Bundesverfassungsgericht.

Ulf Allhoff-Cramer, Bauer

"Deswegen gibt es jetzt die nächste Klage, die nächste Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht, weil eben die Regierung nicht so handelt, dass wir eine Chance haben, das Problem irgendwie zu beherrschen."

Im Entwurf der Klage heißt es, die Novelle sei "verfassungswidrig". Sie verstoße gegen die "Freiheitsrechte" vor allem der jüngeren Generation.

Deswegen beteiligt sich auch die Berliner Schülerin Frieda Egeling an der Klage. In der sechsten Klasse ging sie auf ihre erste Klima-Demo. Sie engagiert sich bei Fridays for Future:

Frieda Egeling, Fridays for Future

"Ich bin 14 und ich habe eigentlich bessere Sachen zu tun, als mich damit auseinanderzusetzen. Aber da die Bundesregierung nicht ihre Aufgaben umsetzt und unsere Menschenrechte beachtet, habe ich meiner Meinung nach keine andere Wahl, als das zu tun."

Die Klagenden kritisieren an der Gesetzesänderung vor allem, dass die Minderungsziele der einzelnen Sektoren – wie Energie, Bau oder Verkehr – nun nicht mehr eingehalten werden müssen. Der Ausstoß aller Bereiche wird jetzt verrechnet.

Es droht die Verlagerung von Einspar-Maßnahmen in die Zukunft, es gibt weniger Druck zu handeln, befürchten Experten:

Maja Göpel, Transformationsforscherin

"Man muss sich auch fragen Warum gab es Sektor Ziele? Das war eine Konsequenz, dass wir gemerkt haben, sonst passiert nicht genug, weil alle Ministerien untereinander sich so ein bisschen zugeschoben haben. Du kannst dich um die Emissionen kümmern, oder du. Jetzt nimmt man den Mechanismus, den man für notwendig gefunden hat, um wirksam zu werden, eben wieder heraus."

Dass die Klimaziele verfehlt werden könnten, liegt "vor allem am Verkehrssektor". So steht es im Entwurf der Kläger.

Tatsächlich hat das Verkehrsministerium seine Sektorziele in noch keinem Jahr eingehalten.

Dabei gäbe es einfach umsetzbare Maßnahmen, um CO2 einzusparen, weiß Prof. Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Expertenrats für Klimafragen der Bundesregierung:

Prof. Hans-Martin Henning, Vorsitzender Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung

Natürlich gibt es Maßnahmen im Verkehrssektor, die unmittelbar wirksam sind. Tempobeschränkung hätte eine unmittelbare Wirkung, die natürlich begrenzt ist, aber eben zeitnah auch eintritt.

6,7 Millionen Tonnen CO2 könnte man mit einem Tempolimit von 120 einsparen. Immerhin die Hälfte dessen, was zusätzlich im Verkehrssektor eingespart werden muss. Eine deutliche Mehrheit der Deutschen befürwortet ein Tempolimit.

Doch das FDP-geführte Verkehrsministerium sperrt sich. Wir fragen beim klimapolitischen Sprecher der Liberalen nach. Warum kein Tempolimit?

Olaf in der Beek, FDP, Klimapolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion

"Also das wäre eher ein Pyrrhussieg, den wir dort einfahren würden … gegen die Freiheit. Das wäre das klare Bekenntnis dafür, dass wir starke Regulierungen brauchen, die den Bürger in seiner Freiheit einschränken.

Für die FDP unter Lindner heißt es: Freiheit statt schneller Klimaschutz. Dafür setzen die Liberalen auf den Emissionshandel.

Olaf in der Beek, FDP, Klimapolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion

"Wir werden alle Klimaziele auch im Verkehrssektor erreichen. Bei Emissionshandel wird wirken ab 2027. Damit würde automatisch auch Autofahren natürlich teurer werden und jeder wird sich in seiner eigenen Tasche schon überlegen, ob er weiter schnell fahren will oder ob er langsam fährt."

Teurerer Sprit spart CO2. So der Plan der FDP. Schaut man zwei Jahre zurück, hat die FDP aber genau das verhindert.

Da gab es Proteste, wegen zu hoher Spritpreise. Finanzminister Lindner reagierte mit einem Tankrabatt, damit sich wieder alle Benzin und Diesel leisten konnten.

Offenbar schiebt die FDP Klimaschutz in die Zukunft – und das mit fragwürdigen Maßnahmen. Die Ampelkoalitionäre ziehen mit – und malen ein positives Bild.

Am Rande einer Pressekonferenz treffen wir Klima-Minister Habeck.

Robert Habeck, B`90/Grünen, Bundesminister für Wirtschaft und Klima

"Wir haben, würde ich sagen, zum ersten Mal in Deutschland die Chance tatsächlich die Klimaschutzziele einzuhalten. Also vor zwei Jahren hätte man gesagt: unmöglich. Jetzt würde ich sagen, wenn wir weitermachen wie bisher, schaffen wir es."

"Wir müssen weiter, Danke."

Das widerspricht dem aktuellen Gutachten des Expertenrates für Klimafragen der Bundesregierung. Das kommt zum Ergebnis: Zielverfehlung.

Wir liegen drüber – besonders deutlich aber verfehlen wir die Ziele nach 2030. Klar ist...

Prof. Hans-Martin Henning, Vorsitzender Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung

"...dass die Ziele 2040 und 2045 nicht eingehalten werden, dass also auch das Ziel Klimaneutralität bis 2045 auf Basis der heute implementierten Politikmaßnahmen nicht erreicht werden wird."

Habeck stützt sich bei seinen aktuellen Erfolgsmeldungen auf ein älteres Gutachten des Umweltbundesamtes. Das stellte er im März vor.

Robert Habeck, B´90/Grüne, Bundesminister für Wirtschaft und Klima

"Wir haben das mal aufbereitet in einer Grafik. Die genauen Zahlen müssen Sie gar nicht sehen. Aber die Balken sind doch sprechend genug. So sind wir ins Amt gekommen. Das war die Aufgabe der Regierung. Das Rote musste runter. Da waren wir im letzten Jahr. Hier sind wir jetzt. Man sieht einen kleinen grünen Balken, der unterhalb der Linie liegt. Das ist … Das ist das Resultat politischer Arbeit."

Als Habeck das verkündet, weiß er bereits seit drei Monaten, dass ihm viel weniger Geld für Klimaschutzmaßnahmen zur Verfügung steht als in den Prognosen eingeplant.

Weniger Geld, weniger Maßnahmen, mehr Emissionen. Wieso dann trotzdem diese öffentliche Erfolgsmeldung? Wir fragen nach beim Vorsitzenden des Expertenrates.

Prof. Hans-Martin Henning, Vorsitzender Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung

"Ich würde jetzt sagen, das müssen Sie die Bundesregierung fragen …"

Auf unsere Anfrage reagiert Habecks Ministerium nicht.

Geschönte Zahlen, fehlende Gelder. Verfehlte Ziele.

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Beitrag von Kaveh Kooroshy, Markus Pohl und Carla Spangenberg