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Menschen zusammengepfercht hinter Gittern, eine Studentin in Handschellen auf offener Straße, entlassene Staatsanwälte: Was sich seit dem Amtsantritt von Donald Trump in den USA abspielt, ist weit schlimmer als viele befürchtet hatten. Stück für Stück legt Trump seine radikale Hand an die älteste Demokratie der Welt. Und spielt nun offen mit dem Gedanken einer dritten Amtszeit – das wäre ein Verstoß gegen die Verfassung.
Beitrag von Anne Grandjean und Daniel Schmidthäussler
Führende Forscher verlassen das Land, weil sie die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr oder einen "Bürgerkrieg" kommen sehen. Mit Jason Stanley wandert nun einer der bedeutendsten Faschismusforscher nach Kanada aus. Er sagt: Das, was unter Trump passiert, sei Faschismus. Andersdenkende in den USA und auch Amerikaner in Deutschland zögern inzwischen, ihre Meinung öffentlich zu äußern – aus Sorge vor Repressalien der Trump-Regierung.
Anmoderation: Regieren per Dekret - das ist die Methode Trump. Hier hat er gerade im Beisein von Schülern die Abschaffung des Bildungsministeriums eingeleitet. Der Kongress, Gerichte, Bürgerrechte, Journalisten - all das scheint ihm eher lästig zu sein. Und so ist der amerikanische Präsident gerade dabei, das politische System der USA nach seinem Willen umzubauen. Eine der ältesten und größten Demokratien der Welt ist plötzlich in Gefahr.
Zugriff in Zivil.
In einem Vorort von Boston wird auf offener Straße die türkische Doktorandin Rümeysa Öztürk festgenommen, ein Augenzeuge filmt.
"Are you kidnapping her?
"Entführt ihr sie?""
Dann wird sie abgeführt. Ihr werden vage "Aktivitäten zur Unterstützung der Hamas" vorgeworfen. Ein schwerer Vorwurf, für den die US-Behörden weder Beweise noch eine Anklage vorlegen. Zuvor hatte sie einen Israel-kritischen Artikel veröffentlicht. Jetzt sitzt sie in Abschiebehaft.
Die Journalistin und US-Expertin Annika Brockschmidt warnt seit Jahren vor autoritären Tendenzen in den USA.
Annika Brockschmidt, Freie Journalistin
"Das ist eine klassisch autoritäre Strategie. Man beginnt mit Menschengruppen, von denen man ausgeht, dass die allgemeine Bevölkerung vielleicht nicht sonderlich viel Sympathien für sie hegt. Deswegen werden jetzt besonders Studierende ins Ziel gesetzt, die sich bei pro-palästinensischen Protesten geäußert haben.
Aber unabhängig davon, wie man zu deren politischer Meinungsäußerung, was ja unter das Recht auf freie Meinungsäußerung fällt, steht, ist es ein ungeheuerlicher Vorgang."
Wegen angeblichem "Campus Aktivismus" haben inzwischen mehr als 300 Studierende ihr Visum verloren. Reisen sie nicht freiwillig aus, droht die Abschiebung.
Baut Donald Trump die Vereinigten Staaten zu einem autoritären Regime um? Diese Frage kommt in den vergangenen Wochen immer wieder auf. Einer der renommiertesten Faschismus-Forscher der Welt, Jason Stanley, will nicht länger in seiner amerikanischen Heimat bleiben – die gleite in den Faschismus ab.
Jason Stanley, Faschismusforscher
"Dieser Angriff auf unsere Freiheit kommt von einem Herrscher, der gerne König wäre und einer Partei, die sich wie die Kommunistische Partei aus China verhält."
Der Präsident als König – das Weiße Haus spielt selbst mit diesem Gedanken.
Auch das bekannte Historiker-Ehepaar Timothy Snyder und Marci Shore hat angekündigt, die USA zu verlassen. Shore warnt gar vor einem "Bürgerkrieg".
Wie wird aus einer Demokratie eine Autokratie? Dafür gibt es in der Forschung einige Kategorien. Die USA erfüllen bereits viele davon – drei Beispiele.
Bürgerrechte und Pressefreiheit werden eingeschränkt
Wer nicht auf Linie ist, wird angefeindet oder verfolgt. Das trifft nicht nur kritische Studenten, sondern etwa auch Wissenschaftler und unliebsame Medien. Die US-Abgeordnete Marjorie Taylor Greene verweigert etwa dieser Journalistin eine Antwort – weil sie aus Großbritannien kommt.
Marjorie Taylor-Green, Rep. Abgeordnete Repräsentantenhaus
"What country are you from? Ok, we don´t give a crap about your opinion and your reporting. Done. I don´t care about your fake news. Do you have a relevant question? This is an American journalist, thank you."
"Aus welchem Land kommen Sie? Ok, wir geben einen Scheiß auf Ihre Meinung und Ihre Berichterstattung. Ich interessiere mich nicht für Ihre Fake News. Haben Sie eine relevante Frage? Das hier ist ein amerikanischer Journalist, danke."
Auch benachteiligte Gruppen fürchten um ihre Rechte. Antidiskriminierung, in den USA als DEI bekannt, gilt jetzt als anti-amerikanisch.
Die New York Times berichtet aus internen Dienstanweisungen von Behörden.
Worte wie "Frauen", "Behinderung" und "Gleichberechtigung" sollen nicht mehr verwendet werden.
Donald Trump , US-Präsident
"DEI is what have ruined our country and now it’s dead. I think DEI is dead."
"DEI hat unser Land ruiniert, und jetzt ist es tot. Ich denke DEI ist tot."
Ein zweites Kriterium: Die Gewaltenteilung wird ausgehebelt.
Für Aufsehen sorgte auch eine Aktion des US-Heimatschutzministeriums: Migranten wurden rechtswidrig in ein Gefängnis nach El Salvador abgeschoben, werden dort unter menschenunwürdigen Bedingungen gefangen gehalten. Die zuständige Ministerin postete ein Video aus der Haftanstalt.
Kristi Noem, US-Heimatschutzministerin
"If you come to our country illegaly this is one of the consequences you could face. First of all: Don’t come to our country illegaly. You will be removed and you will be prosecuted."
"Wenn Sie illegal in unser Land einreisen, dann ist das eine Konsequenz, die Sie zu erwarten haben. Kommen Sie nicht illegal in unser Land: Sie werden abgeschoben und Sie werden bestraft."
Ein Richter wollte die Aktion noch stoppen und wurde von Regierungsmitgliedern umgehend verleumdet.
Pam Bondi, US-Justizministerin
"This is an out of control judge. A federal judge trying to control our entire foreign policy and he cannot do it."
"Dieser Richter ist außer Kontrolle. Ein Bundesrichter, der versucht, unsere gesamte Außenpolitik zu kontrollieren, das darf er nicht."
Tom Homan, US Border Czar
"I don’t care what any judge thinks, as far as this case, we’re gonna continue to arrest public safety threats and national security threats, we will continue to deport from the United States."
"Mir egal, was irgendein Richter denkt, in diesem Fall werden wir weiterhin Bedrohungen für die nationale Sicherheit verhaften und aus den Vereinigten Staaten ausweisen."
Eigentlich sollte nicht nur die Justiz, sondern auch der Kongress allzu schlimme Verfehlungen der Regierung stoppen, demokratische Kontrolle ausüben. "Checks and Balances" nennt man das in den USA. Doch davon ist derzeit nicht viel zu spüren.
Daniel Benjamin leitet die American Academy in Berlin, ein amerikanisches Kulturinstitut. Er sieht einen der Grundpfeiler der Demokratie in Gefahr.
Daniel Benjamin, American Academie Berlin
"Republican majorities in the Congress, in both the House of Representatives and the Senate, have essentially given up on their own responsibilities, on their prerogatives, and are simply rubberstamping what Trump wants. That endangers the system of checks and balances."
"Die Republikanische Mehrheit im Kongress, sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat, hat im Grunde ihre Verantwortlichkeit aufgegeben und nickt einfach alles ab, was Trump will. Das gefährdet das System der Checks and Balances."
Und schließlich: Gewalt wird toleriert
Diejenigen, die die Demokratie angegriffen haben, werden sogar hofiert – die Kapitolstürmer vom 6. Januar 2021. Viele wurden inzwischen von Trump begnadigt. Und nun erwägt der Präsident sogar sie zu bezahlen – mit einem "Entschädigungsfonds".
Annika Brockschmidt, Journalistin
"Sollte das wirklich so kommen, dann würde das bedeuten, dass die Angreifer vom 6. Januar, die das Kapitol gestürmt haben, nicht nur straffrei bleiben, dass sie nicht nur freigelassen werden, […] sondern das wäre jetzt quasi als Sahnehäubchen obendrauf sogar noch eine finanzielle Belohnung, dass sie für ihn politische Gewalt ausgeführt haben."
Die vergangenen Wochen zeigen: Eine der ältesten Demokratien der Welt ist in Gefahr. Trump gegen die Demokratie. Wie wird es weitergehen?
Daniel Benjamin, American Academie Berlin
"Certainly unprecedented. And deeply worrisome. I don't think we've gone over the edge yet, but I think everyone is very, very worried."
"Die Situation ist sicherlich ein Novum. Und zutiefst besorgniserregend. Ich glaube nicht, dass wir schon abgestürzt sind, aber alle sind sehr, sehr besorgt."
Wolfgang Ischinger, Präsident Stiftungsrat Münchner Sicherheitskonferenz
"Ich glaube, das Gefüge der amerikanischen Politik, die Gewaltenteilung, wird zwar beschossen, im Augenblick, wird in Frage gestellt, heißt aber noch lange nicht, dass es umkippt."
Annika Brockschmidt, Journalistin
"Ich glaube nicht, dass das weitere Abrutschen in Autoritarismus verhindert werden kann, ohne dass es landesweite Massenproteste gibt, ohne dass die demokratische Führung aus ihrem Winterschlaf aufwacht und sich tatsächlich mit der mit der politischen Realität beschäftigt."
Proteste gibt es bereits. Und Trump kommt nicht mit allem durch.
Gleichzeitig spielt der Präsident öffentlich mit dem Gedanken einer dritten Amtszeit – es wäre ein klarer Verfassungsbruch.