Endspurt -
Das Machtspiel von Friedrich Merz mit den Stimmen der AfD hat ein Beben ausgelöst: Der Ton im politischen Berlin war selten so rau, die Gesellschaft selten so gespalten. Auf der einen Seite: Demonstrationen gegen eine bröckelnde Brandmauer, auf der anderen: Die Normalisierung der AfD.
Beitrag von Daniel Donath, Anne Grandjean und Markus Pohl
Alice Weidel, die Kanzlerkandidatin einer in Teilen rechtsextremen Partei, tritt in TV-Runden neben Merz und Scholz inzwischen auf, als wäre es nie anders gewesen. Auch wenn Merz eine Koalition mit der AfD kategorisch ausschließt, glauben ihm gut 40 Prozent der Deutschen in dieser Frage nicht mehr so recht. Doch wie umgehen mit der Stärke der AfD? Wie gerade diese Frage Parteien und Bürger spaltet, erleben die Kontraste-Reporter im Wahlkampf-Endspurt auf den Straßen der Republik.
Anmoderation: Die Polarisierung sorgt auch für Gewalt: Besetzte Parteizentralen, zerstörte Wahlplakate, Angriffe auf Wahlkämpfer. Was ist los mit diesem Land - wohin driftet es? Unsere Kontraste-Reporterinnen und Reporter waren überall in der Republik unterwegs und haben unter anderem erlebt, dass sich auch CDU-Wahlkämpfer in Sachsen auf der Straße nicht mehr sicher fühlen können.
Frau
"Von der CDU … und die andere Partei, die verwechsle ich immer."
Steffen Roschek, CDU-Direktkandidat
"Ich kenn keine anderen Parteien, es gibt nur die CDU."
Frau
"Gut."
Steffen Roschek, CDU-Direktkandidat
"Was die Dame meint? Mit was man uns verwechseln kann? Naja, ich meine, der Elefant im Raum ist immer die AfD."
Und die ist hier eine Macht. Bei der jüngsten Landtagswahl holte sie in Bautzen fast 36 Prozent, war damit stärkste Partei. Roschek hat hier einen schweren Stand.
Aus dem Off
"Ronny, lass dich nicht blöde zuquatschen!"
Dieser Mann zerreißt den erhaltenen CDU-Flyer vor Roscheks Augen.
Roschek räumt auf – und wagt einen zweiten Versuch.
Steffen Roschek, CDU-Direktkandidat
"Komm, nimm dir das mal einfach."
Mann
"Warum sollte ich mich mit ihnen unterhalten?"
Steffen Roschek, CDU-Direktkandidat
"Naja…"
Mann
"Ich kann Ihnen nur schleunigst raten, dass sie sich hier aus unserem Viertel hier verpissen und das ganz schnell. Das kann ich Ihnen sagen. Ansonsten gibt’s heute noch blutige Leute."
Steffen Roschek, CDU-Direktkandidat
"Naja, gut, das müssen wir ja nicht machen, wir sind ja normale friedliche Menschen."
Mann
"Dann steigen Sie in ihr Auto und verpissen Sie sich."
Steffen Roschek, CDU-Direktkandidat
"Wir sind doch friedliche Menschen, oder? Ist das jetzt ’ne feine Art? CDU anzubrennen?"
Mann 2
"Naja…"
Steffen Roschek, CDU-Direktkandidat
"Was hast’n davon? Geht’s dir dann besser?"
Mann 2
"Ja."
Steffen Roschek, CDU-Direktkandidat
"Gut, also vielleicht denkt ihr an mich bei der Wahl."
Auch wenn Roschek sich unbeeindruckt gibt: Sogar CDU-Wahlkämpfer scheinen hier nicht mehr sicher. Als unsere Kamera aus ist wirft einer der Männer Böller direkt neben den CDU-Stand.
Kontraste
"Was macht das mit Ihnen?"
Steffen Roschek, CDU-Direktkandidat
"Entspannt."
Kontraste
"So normal, dass es entspannt ist?"
Steffen Roschek, CDU-Direktkandidat
"Ne, es ist nicht normal. Das ist extrem unnormal. Und das ist auch nicht schön für diese Stadt, die eigentlich normalerweise eine friedliche Stadt ist. Wir haben, glaube ich … Es gibt überall solche Idioten. Kann man nicht anders formulieren."
Von dem Mann, der Roschek bedroht hat, finden wir das Facebook-Profil. Er posiert dort mit der von Rechtsextremen genutzten White-Power-Geste.
Eine Woche später wird genau am selben Ort auch ein Wahlkampfteam der Linkspartei mit Böllern angegriffen. Ein Helfer wird mit einem Faustschlag ins Gesicht verletzt.
Nur ein Vorfall von vielen in diesem besonders rauen Wahlkampf. Alle Parteien beklagen Sachbeschädigungen und Gewalttaten, in der Nacht auf Sonntag etwa gab es einen Brandanschlag auf den Wahlkampfbus der SPD-Bundestagsabgeordneten Nina Scheer.
Auch Linksradikale befeuern den Hass. Nach der gemeinsamen Asyl-Abstimmung mit der AfD im Bundestag trifft es vor allem die CDU. In mehreren Städten stürmen linke Aktivisten Geschäftsstellen der Partei. Nach CDU-Angaben soll es auch eine Morddrohung gegen eine Mitarbeiterin gegeben haben.
"Wir sind die Brandmauer"
Anfang Februar gehen Hunderttausende friedlich auf die Straße, um gegen den Fall der Brandmauer zur AfD zu demonstrieren.
Doch wie hier in Berlin zeigt sich auch bei diesen Demonstrationen, wie aufgeheizt das politische Klima mittlerweile ist.
"Ganz Berlin hasst die CDU, ganz Berlin hasst die CDU"
Volker Wissing ist nach dem Ende der Ampelkoalition aus der FDP ausgetreten, er kandidiert nicht mehr für den Bundestag. Die Verantwortung für das raue Klima sieht er bei der Politik:
Volker Wissing, parteilos, Justiz- und Verkehrsminister
"Dieser Wahlkampf ist geprägt vor allen Dingen von einem Gegeneinander. Und es stehen weniger Inhalte, unterschiedliche Inhalte im Vordergrund als vielmehr ein wir gegen die. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Man möchte sich vor allen Dingen stark unterscheiden und ist dabei offensichtlich auch bereit, Tabubrüche zu begehen."
Zuletzt hat Friedrich Merz versucht die Wogen zu glätten, immer wieder jede direkte Kooperation mit der AfD ausgeschlossen:
Friedrich Merz, CDU-Kanzlerkandidat
"Es gibt keine Zusammenarbeit, es gibt keine Duldung, es gibt keine Minderheitsregierung."
Doch viele zweifeln. Laut einer Umfrage von Anfang Februar glaubt fast die Hälfte der Deutschen, dass Merz sein Versprechen, nicht mit der AfD zu koalieren, nicht halten wird.
Die Journalistin und CDU-Expertin Katharina Hamberger sagt, mit den Asyl-Abstimmungen im Bundestag sei in der Partei eine Eigendynamik in Gang gekommen.
Katharina Hamberger, Journalistin
"Das könnte vielleicht noch zum Problem werden für Friedrich Merz, dass er damit eine Tür geöffnet haben könnte, eine, die er nicht öffnen möchte, und zwar dass es gerade in den Landesverbänden, wo es Leute gibt, die sagen, die AfD, da haben wir doch Überschneidungsmöglichkeiten, dass die jetzt sagen, ja klar, wenn der Bund das macht, die Bundespartei das macht, warum sollen wir das dann nicht können?"
Ganz ähnlich sieht das Steffen Roschek in Bautzen. Wie so viele in der Ost-CDU hält er wenig von der Brandmauer zur AfD.
Steffen Roschek, CDU-Direktkandidat
"Mandatsträger sind verpflichtet, miteinander zu reden. Da kommt es auch gar nicht auf die Partei drauf an, das müssen die machen und dann werden wir das auch in Zukunft so handhaben. Und weil wir da auch in Kommunalparlamenten halt Erfahrung haben, erwarten die Leute sukzessive, glaube ich auch, dass es in den Landes- und Bundesparlamenten auch so passiert. Aber das heißt nicht, dass man eine Koalition möchte. Ich bin ein starker Anhänger davon, mal eine Minderheitsregierung im Bund auszuprobieren."
Eine Minderheitsregierung wäre aber wohl angewiesen auf die AfD.
Es wäre der Durchbruch für die Rechtsradikalen, die gerade eine Normalisierung im Eiltempo durchlaufen. Zunächst der Ausbruch aus der Isolation im Bundestag.
Dann die Auftritte Alice Weidels in diversen Kanzlerduellen – sie gehört jetzt dazu.
Und schließlich die unverhohlene Unterstützung durch den Vizepräsidenten der USA.
JD Vance, US-Vizepräsident
"Es gibt keinen Platz für Brandmauern."
Die vermeintliche "Normalität" der AfD zeigt sich vergangenen Samstag in Schwedt in Brandenburg. Großer Andrang beim Auftritt des Direktkandidaten Hannes Gnauck. Der skizziert den Weg zur Macht:
Hannes Gnauck, AfD, Bundestagsabgeordneter
"Friedrich Merz wird sich mit der SPD zusammenschließen und vielleicht sogar noch mit den Grünen. Und dann wird noch mal zwei Jahre herumgewurschtelt, ähnlich wie in Österreich. Dann wird es irgendwann Neuwahlen geben. Oder sie halten bis 2029 tatsächlich durch. Aber dann sage ich euch, dann setzen wir unser Alice hier mit über 30 Prozent die Krone auf."
Gnauck ist Vorsitzender der in Auflösung begriffenen JA, der als gesichert rechtsextrem eingestuften Jugendorganisation der AfD. Der ehemalige Berufssoldat wurde selbst wegen mangelnder Verfassungstreue von der Bundeswehr freigestellt. Mit seiner Rhetorik von den kriminellen Flüchtlingen kommt er hier gut an.
"Überall nur Muschkoten. Meine Frau wurde schon paarmal angequatscht."
"Jeder, der herkommt, kriegt alles in Arsch geblasen und unsereins muss zusehen."
"Wenn das so weiter geht, würde ich sogar die NSDAP wählen, wenn´s die noch geben würde."
Viele junge Leute suchen die Nähe zu Gnauck, machen Fotos mit ihm. Eine Woche zuvor beim Wahlkampf in Templin entstand dieses Foto: Gnauck posiert mit Sympathisanten. Einige der Jugendlichen sollen laut Medienberichten im Anschluss Gegendemonstranten angegriffen haben, die Polizei ermittelt wegen Körperverletzung gegen Unbekannt.
Einige von dem Foto aus Templin erkennen wir auch in Schwedt wieder:
Kontraste
"Waren sie dabei?"
Antwort
"Kein Kommentar"
Kontraste
"Was haben Sie denn in Templin gemacht?"
Antwort
"Er muss nichts sagen."
Antwort 2
"Wir haben nur Präsenz gezeigt. Mehr nicht. Punkt."
Kontraste
"Was bedeutet das, Präsenz zeigen?"
Antwort
"Kein Kommentar."
Hannes Gnauck, AfD, Bundestagsabgeordneter
"Bei diesen Übergriffen war ich nicht mit dabei. Und wir kontrollieren natürlich auch nicht jeden, der hier auf unser Fest kommt. Nur weil jemand schwarz gekleidet ist, heißt es nicht, dass er gewaltbereit ist."
Auch wenn die AfD derzeit Rückenwind verspürt: In den Umfragen konnte sie nach dem Dammbruch im Bundestag nicht mehr weiter zulegen. Ein ähnliches Bild bei den anderen großen Parteien: Trotz der Massenproteste gab es kaum eine Veränderung.
Eine Enttäuschung vor allem für die SPD. Viele Sozialdemokraten hatten gehofft, sich als antifaschistisches Bollwerk profilieren zu können. Wir fragen den Berliner Spitzenkandidaten Ruppert Stüwe nach den Ursachen.
Ruppert Stüwe, SPD, Spitzenkandidat Berlin
"Na es geht ja darum nicht, Prozente gut zu machen bei der Wahl. Sondern das ist tatsächlich eine Haltungsfrage für die SPD, dass wir Angst haben, dass Teile der politischen Mitte wieder mit der politischen Rechten kooperiert."
Jetzt droht der SPD das schlechteste Ergebnis seit 1890. Bei eisiger Kälte wirbt Stüwe um Unentschlossene.
"Für sie noch ein paar Informationen zur Bundestagswahl?
"Nein danke, ich wähle die AfD, danke."
"Für sie noch ein paar Informationen zur Bundestagswahl?
"Ihr habt das Land an die Wand gefahren, auf keinen Fall!"
Neben der wirtschaftlichen Lage ist es vor allem das Thema Migration, das viele hier umtreibt.
"Irgendwie stößt mir die AfD so sehr auf, mit dem was sie vorträgt und was sie wollen, dass ich sagen kann, das kann jetzt nicht die Lösung sein. Aber ich sehe die SPD auch nicht in der Lage, und auch die anderen demokratischen Parteien nicht in der Lage, da wirklich das Ruder herumzureißen."
Eine Stimmung, die im Land um sich greift. Auf die Frage, welcher Partei sie zutrauen, am besten mit den Problemen in Deutschland fertig zu werden, sagt fast die Hälfte der Befragten: keiner Partei.
Eine gefährliche Entwicklung, meint der Publizist Albrecht von Lucke.
Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler
"Es gibt ein grundsätzliches Unbehagen, Ja, mehr noch einen totalen Verlust an Glauben in die Handlungsfähigkeit von Politik. Das hat auch sehr stark mit der Kakophonie der Ampel zu tun. Das ist ein fatales Erbe der letzten drei Jahre."
Klar zulegen konnte nach dem Dammbruch nur eine Partei: Die Linke. Schon tot geglaubt, liegt sie in den Umfragen mittlerweile deutlich über der Fünf-Prozent-Hürde.
Vieles liegt an ihr – Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek – und an dieser Rede, in der sie der CDU vorwarf, mit der AfD zu paktieren. Das Video der Rede ging viral, hat mittlerweile mehr als 6,5 Millionen Aufrufe auf Tik Tok.
Heidi Reichinnek, Die Linke, Spitzenkandidatin
"Ich glaube, für die Leute war es wichtig, dass es eine Partei gibt, die ganz klar sagt, keinen Millimeter nach rechts, die da auch laut wird, die auch den Frust und die Wut, die die Leute empfunden haben, so im Bundestag rauslässt."
Der wahrscheinliche Einzug der Linken wird die Regierungsbildung wohl nicht einfacher machen.
Aber wer mit wem im neuen Bundestag – nach einem Wahlkampf mit zur Schau gestellter Kompromisslosigkeit, mit Tabubrüchen und erstarkten Rechtsradikalen?
Volker Wissing, parteilos, Justiz- und Verkehrsminister
"Die Welt verändert sich, und unser System wird herausgefordert. Dinge, die wir für stabil und sicher gedacht haben, werden plötzlich in Frage gestellt. Wir müssen deswegen dafür sorgen, dass wir demokratische Mehrheiten bilden können, die Stabilität bilden und die auch, die das Land handlungsfähig machen."
Angesichts der weltpolitischen Lage scheint klar: viel Zeit bleibt dafür nicht.