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Sex, Medien und Metoo. Selten wurde ein Buch mit solcher Spannung erwartet, wie "Noch Wach?", der neue Roman von Benjamin von Stuckrad-Barre. Es heißt, es geht darin eigentlich um den Umgang mit Frauen bei der Bild-Zeitung und um die Machtstrukturen, die Führung, im Springer-Konzern, die diesen ermöglichen. Ist es ein Schlüsselroman?
Der Rockstar unter den Popliteraten. Benjamin von Stuckrad-Barre. Seit Monaten ist die Premiere seines neuen Buchs ausverkauft: Noch wach?
Benjamin von Stuckrad‑Barre Schriftsteller & Journalist
"Er, der Chefredakteur, er rief dich in sein Büro. Während draußen alle herumhasten, Terroranschlag, Krebswunder, Familientragödie, Superbingo, Todesrätsel – sie rennen und rufen, ihr aber esst in Ruhe Chicken Wings mit Ketchup. Wenn sein Telefon klingelt oder jemand zur Tür hereinkommt, sagt er: Jetzt nicht! Jetzt nämlich DU."
"Noch wach?" – das schrieb der frühere BILD-Chefredakteur Julian Reichelt mutmaßlich einer jungen Mitarbeiterin. MeToo-Vorwürfe bei Springer, der Medienskandal 2021. Ein Debatten-Roman also, ausgerechnet von Stuckrad-Barre? Der doch immer lieber über sich selbst schreibt, statt die Welt zu retten?
Benjamin von Stuckrad‑Barre Schriftsteller & Journalist
"Ein Thema ausbreiten, sich einem Thema widmen oder da mal was sagen müssen oder glauben zu müssen und die Gesellschaft, jetzt müssen wir mal als Gesellschaft – fällt aus. Ist immer Scheißkunst. Ich erzähl eine Geschichte."
Machtmissbrauch im Medienhaus – im Buch ist es ein Fernsehsender. Neben dem – namenlosen – Chefredakteur spielt ein ebenfalls namenloser Freund des Ich-Erzählers die Hauptrolle. Es ist der Chef des Chefredakteurs. Medien spekulieren wild, ob die Figur an Mathias Döpfner, den allmächtigen Vorstandschef bei Springer angelehnt ist.
Mathias Döpfner, Vorstandschef Springer-Verlag
"Er hat uns nicht die Wahrheit gesagt und damit war klar, wir mussten sofort handeln und wir haben die Chefredaktion bei BILD neu aufgestellt."
Dass bei "Noch wach?" alle an einen Schlüsselroman über Macht und Männerbünde denken, hat auch damit zu tun, dass Stuckrad-Barre zehn Jahre für den Springer-Verlag arbeitete, eng befreundet war mit Döpfner. Und damit irgendwie auch Teil der Geschichte ist.
Benjamin von Stuckrad‑Barre Schriftsteller & Journalist
"Das ist nicht, auch nicht verklausuliert, meine Geschichte bei Springer, jetzt aber in einem Fernsehsender, knick knack, Dr. Döpfner heißt "der Freund", knick knack. Das ist so nicht."
Und doch, wer das Buch liest, kann sich den Parallelen nur schwer entziehen. Zu sehr schillern der Machtmensch im Roman und der Machtmensch im Leben.
Mathias Döpfner: Milliardär, Kunstfreund, oberster Chef von BILD und WELT. Einer der mächtigsten Männer der Republik.
Benjamin von Stuckrad‑Barre Schriftsteller & Journalist
"Ich hab da was beobachtet, erlebt, durchlitten kann ich wirklich sagen, weil das unangenehm war. 09:03 Und ich gemerkt habe, wie Macht funktioniert, wenn sie nicht mehr dein Freund sein will - so wie das vorher der Fall war dort."
Döpfners Freund ist Stuckrad-Barre heute jedenfalls nicht mehr. Dessen Umgang mit dem mutmaßlichen Machtmissbrauch des BILD-Chefredakteurs empört ihn: Döpfner wirft Reichelt damals erst dann raus, als die Medien-Berichterstattung Springers US-Geschäft zu torpedieren droht.
Mathias Döpfner, Vorstandschef Springer-Verlag
"Es handelt sich nicht um ein Kulturproblem des ganzen Springer-Verlags. Es gibt dieses Problem bei Bild, und deshalb müssen wir hier sehr schnell noch viel grundlegender an der Modernisierung unserer Kultur im Sinn von Respekt arbeiten."
Im Buch beschreibt Stuckrad-Barre das Kulturproblem eines Medienkonzerns, in dem Männerbünde Machtmissbrauch ermöglichen. Er selbst ist schon lange nicht mehr bei Springer, als sich Frauen aus dem Unternehmen an ihn wenden und ihm ihre Geschichte offenbaren.
Benjamin von Stuckrad‑Barre Schriftsteller & Journalist
"Mich interessiert der Springer-Verlag nicht. Mich interessiert die BILD-Zeitung nicht. Hab‘ nie für die gearbeitet. Aber wenn sich Menschen bei einem melden und sagen: Kannst du mir bitte helfen, und denen geschieht Unrecht, dann ist man einfach kein Arschloch."
Im wahren Leben steckt Stuckrad-Barre der New York Times eine SMS von Mathias Döpfner durch, in der dieser sich vor Reichelt stellt. Textnachrichten bleiben Döpfners Problem bis heute: Immer neue geleakte Stammtischparolen lassen das ursprüngliche Thema, das des Romans verblassen. Das verärgert Stuckrad-Barre.
Benjamin von Stuckrad‑Barre Schriftsteller & Journalist
"Ich kann diesen Fall nicht auflösen und für Gerechtigkeit sorgen. Das will ich auch nicht. Aber Literatur kann dann, weil sie andere Mittel hat und anders argumentiert und anders erzählen kann und muss als Journalismus, der ja Objektivität verlangt - die Subjektivität der Kunst kann das beschreiben, wie das ist. Nicht, wer hat um siebzehnuhrdreißig wem was wie…. Sondern hinhören: Wie ist die Sprache der Macht, wie ist die Sprache der Ohnmacht? Wie geraten eigentlich alle da rein?"
"Bei ihm, dem Chefredakteur nämlich ist das alles anders. Er ist nämlich mal in einem Kriegsgebiet mit einem Pferd davongeritten, kurz bevor ein Granateinschlag das Café, in dem er einen Informanten getroffen hatte, dem Erdboden gleichgemacht hat."
Benjamin von Stuckrad‑Barre Schriftsteller & Journalist
"Es gibt nicht die strahlende Heldengestalt, in dem Fall jetzt die Frauen, die man so richtig aufräumen in der Welt der bösen Männer, die alle ganz schön viel Geld haben und Anzüge an – ganz ehrlich gesagt, das ist Kasperle-Theater. Nee, da gewinnt keiner, alle gehen beschädigt da raus. Und das deckt sich ehrlich gesagt mit meiner Welterfahrung."
Benjamin von Stuckrad-Barre ist ein guter Roman gelungen. Eine düstere, häufig erschreckende Satire auf mächtige Männer.
Autor: Andreas Lueg