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Gut 10 Jahre hat Regisseur Kilian Riedhof Gerichtsakten studiert, mit Historikern und Zeitzeugen gesprochen und schließlich ein Drehbuch mitgeschrieben. Jetzt kommt "Stella. Ein Leben" ins Kino, in dem er die Lebensgeschichte von Stella Goldschlag erzählt. Eine Jüdin, die im Berlin der Nazizeit von der Gestapo erpresst und angeheuert wird, untergetauchte Juden aufspüren und zu verhaften. Stella Goldschlag gab es wirklich, sie wurde nach dem Krieg zu 10 Jahren Straflager in der DDR verurteilt. Danach stellte man sie nochmal in West-Berlin vor Gericht. Die Gerichtsakten und Zeugenaussagen dieses Prozesses bilden die Grundlage des Films.
Berlin 1940. Die achtzehnjährige Stella Goldschlag träumt von einer Karriere als Jazz-Sängerin.
Doch Stella ist Jüdin, ihr Leben in Nazi-Deutschland wird unerträglich. Sie muss Zwangsarbeit leisten. Schließlich taucht sie mit ihren Eltern unter.
"Kannst Du mal bitte aufhören damit!"
Die Gestapo findet sie. Ihr droht die Deportation ins KZ – es sei denn, sie arbeitet für die Gestapo und spürt andere untergetauchte Juden auf.
"Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht."
Stella sieht keinen anderen Ausweg und wird zur "Greiferin".
"Gestapo - Mitkommen!"
Regisseur Kilian Riedhof hat lange mit der Figur der Stella gerungen.
Kilian Riedhof, Regisseur
"Es ist keine Figur, die man eben mal so erzählt. Oder es ist eine Figur, die einen ständig hin- und herschüttelt, die einen nicht in Ruhe lässt. Das ist ein Dämon in dieser Figur."
Stella Goldschlag gab es wirklich.
Gemeinsam mit ihrem Freund Rolf Isaakson verrät sie mutmaßlich hunderte jüdische Menschen, die in Konzentrationslager deportiert werden.
Für ihre Taten wird sie nach dem Krieg von einem sowjetischen Militärtribunal zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt. Danach spricht sie ein Gericht in West-Berlin erneut schuldig, wegen ihrer Haftzeit in der DDR kommt sie aber auf freien Fuß.
Kilian Riedhof hat jahrelang zu dem Fall recherchiert, auch anhand der Prozessakten.
Kilian Riedhof, Regisseur
"Sehr interessant ist es eigentlich, eine fast detektivische Arbeit, die Aussagen von Stella in elf Jahren Unterschied zu betrachten, weil man merkt, dass sie sich in manchen Punkten verändert hat, und ich glaube zu ihren Gunsten verändert hat, damit ihre Schuld eben nebulöser oder geringer wird."
Paula Beer schafft es, Stella als eine junge Frau zu zeigen, mit der man Mitleid empfindet – die man aber gleichzeitig auch verabscheut.
Kilian Riedhof, Regisseur
"Immer wenn man einen Grund findet für Stella, sie zu entlasten, weil man versteht, dass sie ihr eigenes Leben und das ihrer Familie retten möchte, das wird man verstehen. Auf der anderen Seite jedoch verrät sie eben Freunde, also verrät sie Menschen, die sie kennt. Das ist ungeheuerlich. Deshalb war es für uns wichtig, eben kein klares Urteil von Anbeginn zu geben, sondern eben genau diese Ambivalenz, sie als Opfer und als Täterin zu sehen, das auszuhalten und auch dem Zuschauer zuzumuten."
"Stella. Ein Leben" deutet Stella Goldschlag als eine Frau, die zwar mit ihren Entscheidungen hadert. Sich mit der Zeit jedoch an die eigenen Abgründe gewöhnt.
Die echte Stella Goldschlag wohnt nach ihrer Haft in Berlin, dann in Süddeutschland. Sie lebt zurückgezogen, ändert ihren Namen.
In den 1990er Jahren gibt sie ihr einziges Fernsehinterview – getarnt mit Perücke und großer Sonnenbrille – und rechtfertigt ihren ersten Einsatz für die Gestapo.
Stella Goldschlag
"Um meine Eltern zu retten und über den Transport zu kriegen, habe ich gesagt: Gut, ich versuche es. Habe mir dabei natürlich gar nichts gedacht. Aber welcher Mensch hätte so eine Gelegenheit nicht wahrgenommen, nicht?"
Ferdinand Kroh
"Was war der Fahndungsdienst?"
Stella Goldschlag
"Das waren alles Juden, die andere Juden abholten, nich? Oder verhafteten. Für mich könnte mein Leben jetzt vorbei sein. Ich habe oft mit dem Gedanken gespielt, mein Leben endlich auszulöschen. Denn ich habe ja nie das erreicht, das erreichen können, was andere Menschen erreichen konnten, ich bin nicht glücklich gewesen."
Mit 72 Jahren ertrinkt Stella Goldschlag in einem Freiburger Weiher, vermutlich ist es Selbstmord.
Wie hätte ich mich verhalten? Wäre ich frei von Schuld geblieben? Das sind die zentralen Fragen, die dieser Film stellt.
"Hast du gut gemacht. Was ziehst du denn für eine Schnute? So sind die Zeiten. Geh mit oder geh unter."
Kilian Riedhof, Regisseur
"Es ist nicht etwas, was ich von mir wegschieben kann, sondern etwas, was mich genauso betreffen könnte, in anderen Zeiten oder vielleicht auch in sehr nahen Zeiten, wenn wir die konkrete politische Lage, in der wir stecken, gerade betrachten. Und ich glaube, vielleicht ist es die Erfahrung, dass wir rechtzeitig unseren ethischen Kompass justieren müssen, bevor es zu spät ist. Denn wenn bestimmte Mächte erst mal an der Macht sind, dann werden wir keine Zeit mehr haben. Da muss man sehr schnell entscheiden und dann kann man sich auch falsch und fatal entscheiden, so wie Stella Goldschlag."
Autorin: Marie Röder