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Seit sich die Phrase "OK, Boomer" im Internet als ironische Antwort auf die vermeintliche Besserwisserei der Baby-Boomer Generation etabliert hat, ist das Thema rund um diese Generation in aller Munde. Nie wurden in Deutschland mehr Kinder geboren als 1964 und langsam tritt diese Generation ab. Der bekannte Soziologie Heinz Bude hat den Boomern jetzt ein eigenes Buch gewidmet und die Schriftstellerin Susanne Matthiessen fragt in ihrem Roman "Lass uns noch mal los", was aus den Boomer-Frauen geworden ist.
Sie sind viele und lange keine Babies mehr: in den Siebziger Jahren greifen die Boomer erstmals aktiv in die Geschicke der Bundesrepublik ein.
"Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran!"
Die großen Utopien der Studentenrevolte sind da längst zu Ende. Die Boomer suchen ihren eigenen Weg zum Glück. Das Modell Deutschland, die Altvorderen können sie mal. Doch dann ist der Traum aus. AIDS – verdirbt den Spaß. Und gar nicht so weit weg fliegt beinah ein Atomkraftwerk in die Luft.
Heinz Bude, Soziologe und Buchautor
"Die Welt war für die Boomer von Anfang an auf der Kippe. Es ist etwas Verrücktes: Die Boomer spüren, dass der ganze Aufbruchsoptimismus überhaupt kein Optimismus ist, sondern durchsetzt ist von der Angst, dass wieder eine Katastrophe passiert."
Auftritt Heinz Bude, vor ein paar Tagen in der Schaubühne. Das Publikum: Fast ausschließlich Boomer - die Generation der zwischen 1955 und 1970 Geborenen, die jetzt so langsam doch mal ab- und in den Ruhestand tritt. Der Soziologe würdigt sie in seinem neuen Buch: Abschied von den Boomern.
Lesung Heinz Bude
"Die Katastrophen der 1980er Jahre, die die Boomer selbst am eigenen Leib erfahren haben – Tschernobyl und AIDS – haben sie davon überzeugt, dass auf dieser Welt nichts gesichert und überwunden ist."
Es ist das Lebensgefühl: Wir haben nichts zu verlieren außer das Leben. Deshalb sind sie gegen die Nato-Nachrüstung, für den Frieden und gegen noch ein Atomkraftwerk, in Brokdorf. Die Boomer haben keine Botschaft. So prägen sie die Welt, in der wir heute leben: Popkultur, Massenkonsum, Selbstverwirklichung.
- "Haste mal den Mark über?"
Wo nichts mehr sicher ist, muss man improvisieren. Das Boomer-Typische ist die Bastel-Existenz.
Heinz Bude, Soziologe und Buchautor
"Das war nicht irgendwie ein falsches Selbstbewusstsein oder irgendwie so ein Größen-Selbst, das irgendwie absurd durch die Decke ging - das war so eine experimentelle Haltung: man macht so, man schaut so."
Steve Jobs revolutioniert dabei mal eben die Kommunikation, Harald Schmidt immerhin die Fernsehunterhaltung. Und auch nebenan in der DDR gibt es sie, die Boomer.
Heinz Bude, Soziologe und Buchautor
"Wenn man Boomer / Ost auf ihr Boomer-Sein angesprochen hat, haben die gesagt: Da haben wir nichts mit zu tun, Boomer ist eine West-Sache. Unsere wirkliche Selbstprüfung, unsere Herausforderung war die Wende. Wir sind sozialisiert in der DDR, hatten da irgendwie auch was gelernt und mussten nun sagen: Wollen wir das irgendwie alles abschütteln, wollen wir andere Menschen werden oder wollen wir das kapitalisieren?"
Manche Boomer-Frauen - Ost, haben es bei dieser Übung ganz schön weit gebracht. Und wie war’s für die BoomerInnen im Westen? Die Publizistin Susanne Matthiessen kam in den Siebzigern aus der westdeutschen Provinz nach Berlin. Die Aufbruchsstimmung jener Zeit feiert sie in dem mitreißenden Roman "Lasst uns nochmal los".
Susanne Matthiessen, Publizistin
"Natürlich haben wir die Krisen der Boomer-Zeit auch mitgemacht, die großen Phasen der Friedensbewegung. Aber dann gab es eben diesen einen, speziellen Teil, in dem sich Frauen organisiert haben. Das war einfach ein vollkommen anderes Gefühl und das war ein gutes Gefühl."
Kreuzberg, Mitte der Siebziger. Auf der Straße, in besetzten Häusern läuft sich eine neue Frauenbewegung warm. Sie wollen sich von Männern nicht mehr ihr Leben vorschreiben lassen, sie wollen was ihnen zusteht, sie wollen "ihre Hälfte der Welt". Ein Lilalatzhosen-Paradies, ohne falsche Zimperlichkeiten.
Susanne Matthiessen
"Ich kann mir jetzt ja hier nicht selbst belasten. Aber wir wollten eben auch provokativ sein. Oder wir wollten eben unseren Teil vom Leben genau so haben wie es für andere selbstverständlich war. Ich glaube, uns war gar nicht so bewusst, dass das jetzt enorm feministisch war."
Die Zeiten haben sich geändert, die Frauen müssen noch immer kämpfen Susanne Matthiessen erzählt ohne Pathos, unterhaltsam und selbstironisch von schwierigen Lebenswegen, vom Altwerden ohne soziale Sicherheit und den bis heute nicht eingelösten Hoffnungen von damals.
Susanne Matthiessen, Publizistin
"Ich möchte eigentlich allen nochmal in Erinnerung rufen, wer wie waren. Was wir waren. Wie wir waren. Am Ende haben wir alles noch in uns. Und ich denk mir, das was wir mal wollten muss doch irgendwie möglich sein jetzt mal zu vollenden."
Vielleicht braucht die Gegenwart, diese Welt voller Krisen: Krieg, Rechtsruck, Klima - die Boomer und ihre Begabungen mehr denn je. Von Jüngeren müssen sie sich anhören, dass sie die Welt vor die Wand gefahren haben. Aber ist das gerecht, und ist es die ganze Wahrheit?
Heinz Bude, Soziologe und Buchautor
"Was zu lernen ist, ist wie man sein Leben führen kann unter der Drohung, dass es auch plötzlich alles zu Ende gehen kann. Und das ist doch eigentlich eine ziemlich gute Ausstattung für die gegenwärtige Situation. Und dann erinnert man sich an die Boomer und fragt: Wie ging das eigentlich: in einer Welt zurecht zu kommen, die von einem auf den anderen Tag eine ganz andere sein kann?"
Autor: Andreas Lueg