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Nicht erst seit der Debatte um die anti-israelischen Statements bei der Berlinale Preisverleihung, stellt sich die Frage, was da eigentlich los ist in der Kulturszene? Seit dem Massaker der radikal-islamischen Hamas an israelischen Zivilisten und dem darauffolgenden Angriff Israels auf die Hamas im Gazastreifen wird Künstler:innen und Kulturinstitutionen vorgeworfen, dass sie "dröhnend schweigen" würden oder zumindest nicht gut vorbereitet seien auf aggressive Protestaktionen von pro-palästinensischen Aktivisten. Was ist da schiefgelaufen?
Die Bärengala am vergangenen Samstag. Auf der Bühne kritisieren einige der Preisträger:innen den Militäreinsatz in Gaza - von Genozid ist die Rede. Auch der israelische Regisseur Yuval Abraham verurteilt die Politik seiner Regierung. Im Saal gab es Applaus – auch von Politiker:innen. Am nächsten Tag kritisierten Claudia Roth und Kai Wegner, die Berlinale Leitung – sie hätte eingreifen müssen, auch die Solidarität mit Israel herausstellen. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein sieht alle in der Verantwortung.
Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter Bundesregierung
"Für mich als Antisemitismusbeauftragten ist es besonders misslich, weil ich ja immer die Zivilgesellschaft aufrufe einzuschreiten, wenn man Antisemitismus mitbekommt. Und wenn schon politisch handelnde und sensibilisierte Menschen das nicht machen, dann wird es natürlich umso schwerer, das von der Zivilgesellschaft einzufordern."
Seit dem Krieg in Gaza nach dem Massaker der Hamas nutzen propalästinensische Aktivisten Kultur und Wissenschaft für ihre Proteste. An der Humboldt Uni verlesen sie ein Statement und als die israelische Richterin Daphne Barak Erez darauf antworten will, wird sie niedergebrüllt.
Im Hamburger Bahnhof wird die Leiterin des jüdischen Museums Mirjam Wenzel Zielscheibe von Hassreden. Eingeladen hatte die kubanische Künstlerin Tania Bruguera zu einer Lesung von Hannah Arendts "Ursprünge totalitärer Herrschaft". Am Abend als Mirjam Wenzel beginnt – wird sie von den Aktivist:innen persönlich angegriffen.
Mirjam Wenzel, Leiterin jüdisches Museum Frankfurt
"Wir wurden alle als Rassisten beschimpft und auch angegangen. Das war eine gezielte, aggressive Intervention in meinen Auftritt und damit aber auch in die Lesung als Ganzes. Das wurde sofort gefilmt und dann auch gleich in den sozialen Medien verbreitet."
Die israelische Fotografin Ruth Zuntz ist im Hamburger Bahnhof dabei. Seit mehr als 20 Jahren lebt sie in Berlin, unterrichtet an einer Privaten Kunsthochschule. Im Hamburger Bahnhof hat sie mit ihrem Handy gefilmt.
Ruth Zuntz, Fotografin
"Es war ein Trauma für mich. Es war ziemlich traumatisch und es hat mich schockiert. Die haben alle ihren Namen geschrien und haben ihr unterstellt, dass sie Zionistin ist, dass sie Faschisten und Zionism ist gleich wie Nazism und ist gleich Faschismus. Die haben sie nicht gefragt, für was sie steht, was sie denkt. Was ist Ihre politische Idee? Sie haben ihr es einfach gesagt. Du bist so! Du denkst so. Und sie haben ihr eigentlich der Mund zugeschlossen."
Ruth Zuntz kommt gerade zurück aus Israel und hat die Orte des Hamas Massaker fotografiert. Zum Beispiel die zerstörten Autos der Besucher:innen des Nova Musikfestivals - die nur feiern wollten.
Ruth Zuntz, Fotografin
"Also wir sind da entlanggefahren, man kann sich gar nicht vorstellen, dass überall in den Feldern sind die Menschen um ihre Leben gerannt und dann trotzdem wurden sie zum Großteil ermordet."
Um so mehr ist Ruth Zuntz erschreckt, wenn die propalästinensischen Aktivisten in Berlin das Existenzrecht Israels leugnen und die Opfer der Hamas verschweigen. Wie können Kulturinstitutionen solche Aktionen wie im Hamburger Bahnhof in Zukunft unterbinden? Was können ist tun? Mirjam Wenzel sieht auch ein Mangel an Kenntnis von Antisemitismus.
Mirjam Wenzel, Leiterin jüdisches Museum Frankfurt
"Ich bin der festen Überzeugung, dass wir als Leiter:innen von Kultureinrichtungen besonders gefordert sind, in Zeiten von steigendem Hass und Hetze und auch von steigendem Antisemitismus, Räume zu schaffen, die demokratische Räume sind, in denen ein respektvolles Sprechen über differente Erfahrungen und Perspektiven überhaupt möglich ist."
Diese Woche haben Tausende Künstler aus aller Welt den Ausschluss Israels von der diesjährigen Kunstbiennale in Venedig gefordert – ein Brief der sogenannten Art Not Genocide Alliance. Für den Antisemitismusbeauftragten Felix Klein helfen solche Boykottaufrufe niemanden.
Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter Bundesregierung
"Die Situation von Israel wird sehr kritisch beurteilt von vielen Menschen im sogenannten globalen Süden. Israel gilt für viele als letzte Kolonialmacht des Westens, wo die ursprüngliche Bevölkerung eben verdrängt wurde. Diese Sichtweise verkennt aber, dass die Gründung des Staates Israel völkerrechtlich absolut rechtmäßig stattgefunden hat."
Nach der Berlinale hat der israelische Regisseur Yuval Abraham Morddrohungen bekommen, schreibt er in den sozialen Medien, seine Familie sei von einem rechtsradikalen israelischen Mob bedroht worden: Israelische Medien und Berliner Politiker hätten seine Rede absurderweise als antisemitisch bezeichnet.
Ruth Zuntz, Fotografin
"Es ist die Zeit, nicht mit Slogan durch die Gegend zu rennen. Es ist die Zeit, wo man Fragen stellen muss und genau zuhören, weil es gibt sehr viel Leid in dieser Region."
Autorin: Nathalie Daiber