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Psychodelisch und farbenroh: Mit viel Liebe zum Detail bringt das Ensemble der Neuen Bühne Senftenberg "Hair" ins Amphitheater. Das legendäre Musical über Love und Peace in Zeiten des Vietnamkrieges kommt nach Brandenburg. Wie passt das Stück in die Zeitenwende?
Wir sind nicht im Central Park und die Flower-Power-Jahre sind eine Weile vorbei – aber an der Neuen Bühne Senftenberg verstehen sie ihr Handwerk. Die Maskenabteilung ist gefordert.
Anthony Curtis Kirby, Musicaldarsteller
"Ich hatte solche Jahre auch schon selbst. Ich mag das schon auch so, kann ich schon tragen."
Es geht um "Hair" – also spielen Perücken eine Hauptrolle, logisch. Ein Welterfolg wird für die Sommersaison im Amphitheater am Senftenberger See inszeniert.
Manche Stücke überdauern die Zeiten – andere nicht. Warum wird "Hair" immer noch auf die Bühne gebracht?
Daniel Ris, Intendant Neue Bühne Senftenberg
"Es verhandelt das Thema Vietnamkrieg, es verhandelt das Thema "Was für einen Lebensentwurf habe ich?" Habe ich einen hedonistischen, geht es nur um mich, geht es nur um mein Vergnügen? Sex, Drugs and Rock n Roll. Oder geht es um Verantwortung, geht es vielleicht sogar um Glauben, um eine Verantwortung um mein Land? Das sind zwei verschiedene Lebensentwürfe. Das heißt, es gibt einen wirklich verhandelnswerten ernsten Inhalt und dazu gibt’s Welthits und Sexyness und das ist n gutes Rezept."
Nachdem das Stück 1967 in New York uraufgeführt worden war, entwickelte es sich schnell zum Welthit – es hatte den Nerv der Zeit getroffen. Hier Bilder aus der Berliner Erstaufführung 1969.
Im weltweit erfolgreichen Film verstärkt Regisseur Milos Forman – etwa durch Szenen wie die folgende – noch die Darstellung des vermeintlich sorglosen Lebensgefühls der Aussteiger, die mit allen Konventionen brechen und gegen das Bürgertum rebellieren.
In Senftenberg spielt Leon Haller diesen Tischtänzer namens Berger. Eine Rolle, die auch fürs Leben abseits der Bühne inspiriert.
Leon Haller, Schauspieler
"Also, sich n bisschen davon inspirieren zu lassen, sich nicht die ganze Zeit Sorgen um Geld zu machen oder: wie schaffe ich es auf jeden Fall, mit meinem Beruf in den nächsten fünf Jahren meine Lebenssituation deutlich zu verbessern, wie schaffe ich es mehr Konsumgüter anzuhäufen – das sind ja alles Sachen, die betreffen uns heute noch krasser als damals, finde ich. Da ist schon manchmal ein bisschen die Sehnsucht da, auf das alles zu pfeifen."
Im Stück soll der bürgerliche Claude zum Vietnamkrieg eingezogen werden oder können die Hippies ihn vom Gegenteil überzeugen? Cannabis ist 57 Jahre nach der Uraufführung legal geworden – aber das nur am Rande - denn wenn es um das Thema Krieg geht, sieht man diesen Hippieklassiker jetzt mit anderen Augen.
"Willst Du ´n Mann sein, mit ner Uniform?"
- "Du bist einfach lächerlich!"
Daniel Ris, Intendant Neue Bühne Senftenberg
"Die sagen da gegenseitig voneinander: mit Dir kann man nicht reden. Ich habe meine Position und Du hast Deine Position und wir können uns nicht verständigen. Das ist ja auch was, was wir heute ganz viel feststellen, in der Gesellschaft. Und da finde ich auch, diese Szene ist komplett aktuell. Jeder hat Gründe für seine Position. Der eine hat den Grund für seine zutiefst pazifistische Position, auch für seine hedonistische Position, der andere hat seine Gründe und sie finden zu keinem Gespräch?"
Love and Peace – far away. Die Wehrpflicht wird diskutiert, Deutschland muss wieder "kriegstüchtig" werden, sagt der Verteidigungsminister. Was mag da noch kommen?
Leon Haller, Schauspieler
"Ich finde es schon krass, sich damit auseinanderzusetzen, was passiert, wenn du Anfang 20 bist, du hast gerade die Schule hinter Dir und dann sollst du dich dafür bereit machen, für Dein Vaterland zu sterben. Und kann es wieder passieren, ja denk schon. Ich hoffe, es passiert nicht aber ich würde nicht sagen, dass es nie passieren wird."
Und wo bleiben da Love und Happiness? Bei dieser Inszenierung stehen Bühnenprofis aus dem Ensemble und Theaterliebende aus der Umgebung gemeinsam auf der Bühne – Alexandra Golk ist Mitglied der Theatergruppe "Leidenschaftliche Chaoten" und im wahren Leben Pflegedienstleiterin.
Alexandra Golk
"Das ist mental manchmal n bisschen schwierig zu greifen – gerade eben saß ich noch am Schreibtisch und jetzt bin ich n Hippie auf der Bühne aber man nimmt so viel mit und man findet so tolle Leute hier und lernt so viele Menschen kennen."
Daniel Ris, Intendant Neue Bühne Senftenberg
"Wir sind n kleines Schauspielhaus und machen `n Riesenmusical – und ich hätte das ohne die gar nicht machen können."
Der Film endet als großes Hippiedemonstration – in der Senftenberger Inszenierung tragen die Blumenkinder am Ende Trauer. Das passt leider gut in das aufgewühlte Jahr 2024.
Autor: Steffen Prell